„Ein geheimnisvoller Verbrecher, Verfolgungsjagden in den winterlichen Alpen mit Auto und Motorrad sowie die Sprengung einer Brücke liefern filmische Schauwerte und bieten Gelegenheiten zu halsbrecherischen Stunts.“
Was hier wie die kurze Zusammenfassung eines James-Bond-Films klingt, ist die Wikipedia-Inhaltsangabe eines deutschen Stummfilms, der am 19. Mai 1922 in der „Schauburg“ am Berliner Potsdamer Platz uraufgeführt wurde. Einem Privatdetektiv, der im Laufe der Handlung sein Vermögen verliert, werden in dunklen Briefumschlägen unterschiedliche Aufgaben überreicht.
„Der schwarze Kuvert“ war von der Harry Piel Film Co. mbH produziert worden. Harry Piel hatte auch als Co-Drehbuchautor fungiert und die Regie übernommen. Und für die Rolle des Serienhelden, dem Detektiv und Tausendsassa Harry Peel, besetzte er sich ebenfalls selbst. Nicht zum ersten und letzten Mal.
Harry Piel (1892-1963), eigentlich Heinrich Piel, 1909 in Hamburg sieben Monate Kadett auf einem Segelschulschiff der Handelsmarine, danach kurz Kaufmanns-Lehrling in Düsseldorf und Kunstflieger in Paris, hatte es 1912 zur Kinematographie gezogen. Dort verstand er sich als Spezialist für Abenteuer und Action. So wurden beispielsweise in einem seiner Filme erstmals waghalsige Raubtierszenen integriert, – in „Unter heißer Zone“ (1916). Geschickt und zum Teil äußerst kostengünstig gelangten ihm immer wieder eindrucksvolle Filmaufnahmen.
Ein östlich von Berlin (bei Rüdersdorf) gelegener und seit Jahrhunderten betriebener Kalksteinbruch und der durch den Bergbau entstandene Heinitzsee hatten es ihm besonders angetan. Die Kalkfelsen und das glasklare Seewasser boten eine großartige Filmkulisse. Außerdem kannte er einen Sprengmeister, der ihn mit Informationen über bevorstehende Objekt-Sprengungen versorgte, die Harry Piel filmen und in die Handlungen einbauen konnte.
1919 begann Piel, der offiziell sich nie doubeln ließ, mit dem Film „Der große Unbekannte“ auch international populär zu werden, etwa in Dänemark und in den Niederlanden. Selbst in der Sowjetunion waren seine Sensationsfilme erfolgreich, so lief nach Lenins Tod auch „Der schwarze Kuvert“ in den dortigen Kinos.
Ein Plakat (Farblithografie, 107,5×71,5 cm) dafür, entworfen von den Grafik-Designern Nikolaj Prusakov (1900-1952) und Grigorij Borisov (1899-1942), wird z.Zt. im Sprengel Museum Hannover ausgestellt. Mit dessen sachlichen Raster-Optik, den Kontrastfarben und der Montage-Technik wirkt es wie eine Vorläufer-Arbeit der amerikanischen Pop-Art. Dass dieser Eindruck keine Ausnahme ist, zeigen die anderen Exponate in der von Karin Orchard kuratierten Ausstellung „El Lissitzky und eine Rolle Plakate. Filmplakate der russischen Avantgarde“.
Zum ersten Mal wird dabei ein spannendes Konvolut russischer Filmplakate aus den Jahren 1924-28 präsentiert, das bislang in einer geheimnisvollen Rolle im Museumsdepot geschlummert hat. Irgendwie ist sie in die Plakat-Kollektion von Alexander Dorner im hannoverschen Provinzial-Museum geraten. Eventuell geschah dies durch den russischen Multimedia-Künstler El Lissitzky, der bekanntlich enge Kontakte nach Hannover unterhielt. Es könnte sein, dass sie von ihm von der legendären Kölner PRESSA-Ausstellung (1928), wo er künstlerischer Leiter bei der Gestaltung des Sowjet-Pavillons war, abgeschickt wurde. Glücklicher Weise hatte die eng verschnürte Sendung dann im Gegensatz zur eigentlichen „Sammlung vorbildlicher Plakate“ die Kriegszerstörungen überstanden. Vermutlich 1982 wurde sie dem neuem, auf moderne Kunst spezialisierten Sprengel Museum übergeben. Dort blieb dieses Geschenk lange Zeit unbeachtet liegen.
Gut, dass es nun entdeckt, bearbeitet und der Inhalt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht ist. Von Künstlern wie Aleksandr Rodčenko, Aleksej Gan, Georgij und Vladimir Stenberg, Aleksandr I. Naumov, Anton Lavinskij oder Nikolaj Prusakov und Grigorij Borisov entworfen, zählen die ausgestellten Druckwerke zu den Höhepunkten sowjetischer Plakatkunst und spiegeln die Experimentierlust dieser historischen Phase, in der in Medien wie Film, Fotografie und Theater, aber eben auch bei gedruckten Veröffentlichungen, Neues ausprobiert werden durfte.
So erinnert die Ausstellung beispielsweise nebenbei an Kinowerke, die bis heute stilbildend geblieben sind. Die Technik der Montage, egal ob das direkte Aneinanderreihen von unterschiedlichen, kurzen Filmszenen oder Fotoaufnahmen bzw. Ausschnitten davon, wurde seinerzeit als Möglichkeit optischer Narration mit starker Wirkungskraft erkannt. Dies sorgte bei den jungen Künstlern in den 1920er Jahren für eine ausgeprägte Lust, mit ästhetischen Umsetzungen dieser damals ganz modernen Idee sehr unterschiedlich zu spielen.
Plakate mit einer avantgardistischen Formsprache können so die Besonderheiten einiger Filmarbeiten konvenabel aufgreifen, sogar betonen, wie etwa die Exponate zu „Kino-Auge“ (1924) von Dsiga Vertov oder zu „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925) und „Oktober“ (1928) von Sergej M. Eisenstein.
Dass in der Sowjetunion damals auch pure Unterhaltungsstreifen aus dem Westen mit einer ähnlichen Formsprache beworben wurden, scheint mit heutigen Abstand eher verwunderlich.
Das ist etwa der Fall bei dem Plakat der Brüder Stenberg, wie bei ihnen üblich mit „2Стенберг2“ signiert, für die Hollywood-Komödie „The Yokel“ von James D. Davis mit dem schnauzbärtigen Snub Pollard in der Titelrolle, in der sich ein vom Land stammender „Tölpel“ mit den Problemen der Großstadt auseinandersetzen muss. Oder bei dem Plakat von Aleksandr I. Naumov für die Paramount-Produktion „The Heritage of the Desert“. Diese Western-Romanze wurde 1924 von Irvin Willat nach dem gleichnamigen Roman von Zane Grey („Das Erbe der Wildnis“) in Technicolor gedreht. Die weibliche Hauptfigur Mescal, ein spanisch-indianisches Mündel, wurde mit Bebe Daniels besetzt, einem in London geborenen Stummfilm-Star. Ihr Porträt, quadratische, grün bzw. beige unterlegte Rasterflächen, füllt das Plakat fast vollständig aus. Drei Männerköpfe darunter. Zwei tragen Hüte, wahrscheinlich als Hinweis auf das Genre und den Wilden Westen.
Das anfangs erwähnte Plakat zu „Der schwarze Kuvert“ von und mit Harry Piel gehört ebenfalls in diese etwas irritierende Kategorie. Piel-Film wurden vom Staat eigentlich als „demoralisierend und kleinbürgerlich“ eingeordnet, sollen bei Fans aber sogar für Schwarzmarktpreise gesorgt haben. Eintrittskarten, die an der Kasse eigentlich 40 Kopeken kosteten, stiegen dadurch auf 2 Rubel.
Im Plakat ist wieder ein großflächiges, modern gestaltetes Porträt als Hauptillustration angelegt. Zwei kurze kyrillische Textzeilen nennen Titel und Star. Dazu als Action-Andeutungen ein ziemlich steil bergab fahrendes Fahrzeug sowie in Rot eine Person, die an einem Fallschirm hängt.
Unabhängig von der Ausstellung bietet der gleichnamiger Katalog (ISBN 978-3-89169-248-6) einen sehr guten Eindruck von dieser Filmplakat-Sammlung und gibt Antwort auf Fragen seiner Herkunft.
Hans-Jürgen Tast
Bild ganz oben: Anton Lavinskj, Bronenosets Potemkin 1905 | Filmplakat zu Sergej M. Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ (UdSSR 1925), 1925/26, Farblithographie, 71,6 x 107,7 cm | Sprengel Museum Hannover | Foto: Herling/Herling/Werner, Sprengel Museum Hannover
AUSSTELLUNG
Sprengel Museum Hannover
12. August bis 15. November 2020
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