In einer laborähnlichen Versuchsanordnung konfrontiert Ra´anan Alexandrowitcz Studierende einer US-Amerikanischen Universität mit Internet-Videos. Diese zeigen gewalttätige Szenen der israelischen Besetzer, bzw. militärische Aktionen in der Westbank.
Gefilmt wurden diese entweder von der Menschenrechtsorganisation B´Tselem oder von eher rechts stehenden politischen Gruppierungen. Die Studierenden werden darüber aber im Unklaren gelassen.
Der Regisseur will erforschen, welche Reaktionen, welche Gedanken die jungen Leute haben, wenn sie diese Bilder sehen. Sie können die Videos jederzeit anhalten oder rückspulen. Bei all dem werden sie gefilmt. Wir, die Zuschauer, sehen beides, die Videos und die Gesichter der Rezipierenden. Wir hören ihre Kommentare, verfolgen ihre Einfälle. Eine der Studentinnen, Maia Levy, eine jüdische Amerikanerin, fällt dem Regisseur dabei besonders auf. Sie fragt sich immer wieder, ob etwas gestellt sein könnte, und wenn ja, warum? Es ist ein regelrechtes Zwiegespräch, welches sie da führt. Dadurch, dass die Videos in keinem Kontext stehen, auch nicht kommentiert werden, bilden sie eine ideale Vorlage für eigene Interpretationen.
Sechs Monate später wird Maia zu einem zweiten Screening eingeladen. Sie sieht sich nun selbst dabei zu, wie sie sich das Filmmaterial, welches ihren politischen Überzeugungen zuwiderläuft, ansieht. Was hierbei zum Ausdruck kommt, ist vielschichtig, verwirrend und auch aufschlussreich. Maia „rudert“ bei vielen ihrer Einfälle wieder zurück, ist deutlich defensiver und vorsichtiger als beim ersten Mal. Der Regisseur ist enttäuscht. Er hatte gehofft, sie bleibt bei ihren grundsätzlichen Fragen, Zweifeln und Verunsicherungen. Nun aber ist sie eher „auf Linie“.
„The Viewing Booth“ geht es um das Erleben von Bildern und die Frage, was wir als echt, als authentisch begreifen, und warum. Der israelisch-palästinensischen Konflikt ist nur der Aufhänger dafür, wie in der Rezeption von Bildern Wahrheit konstruiert wird, damit sie zu unseren Überzeugungen passt. Nicht zuletzt geht es dem Film auch darum, was und wie wir überhaupt wahrnehmen, deuten und bewerten. (Be)Wertungen jedoch sind immer abhängig vom eigenen Standpunkt. Diese Lektion ist Alexandrowitcz gelungen. Zumindest eine Weile lang wird man sich selbst gegenüber aufmerksamer sein, und – vor allem beim Filme schauen – nicht vergessen, dass Sehen nicht immer glauben heißen muss.
Daniela Kloock
ganz oben: The Viewing Booth (Regie: Ra´anan Alexandrowicz, ISR, USA) |© Zachary Reese
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