Der Anreger
DEFA-Regisseur Kurt Maetzig wird 100
Wer heute 100 wird, kann den ersten Weltkrieg noch erinnern, er war bereits erwachsen, als der zweite begann. Und manchmal sind diese Menschen tatsächlich Symbole vergangener Zeiten. So wie Kurt Maetzig. Kurt Maetzig steht für das Scheitern eines Kunstbegriffes, der seine Aufgabe als einen übergeordneten politischen Aufklärungsfunktion begreift. Getragen von einer politischen Haltung, die sich mit selbst gewählter Disziplin dem Tage unterwirft und denen, die die jeweilige ideologische Agenda des Tages bestimmen. Diese Haltung schloss beträchtliche künstlerische Leistungen nicht aus, doch sie verhinderte mitunter die Verwirklichung der individuell möglichen Kunstleistung.
„Das Kaninchen bin ich“. Ausgerechnet die Arbeit des überzeugten Kommunisten gab den Namen für eine Art von Subgenre, das so nur unter der Zensur existieren kann: „Kaninchenfilme“ hießen fortan die verbotenen DEFA-Produktionen dieses Jahres. Gedreht, um die persönlich-schöpferische Krise nach drei „außenpolitischen“ Filmen zu bewältigen, markiert diese Arbeit das künstlerische Ende des Regisseurs, seinen wirklich letzten Film, „Mann gegen Mann“, inszenierte er 1975.
„Das Kaninchen bin ich“ wurde 1965 mit einer beinahe kompletten DEFA-Jahresproduktion „in die Kammfabrik“ verbracht, wie das im sarkastischen Branchenjargon hieß. Der Film kam dann 1990 in die Kinos, zu spät. Es blieb, wie für viele damals Betroffene, Jürgen Böttcher, Iris Gusner, Günther Stahnke die späte Rehabilitation, eine Art wohlmeinender Wirkungslosigkeit. Die Risse in den Lebenslinien blieben. Die Möglichkeit, in ihrer Zeit zu wirken und bewertet zu werden, war ihnen genommen für immer. Und das traf ausgerechnet einen Mann wie Kurt Maetzig, dem nichts als so wichtig galt wie eben das Wirken in der und für die Zeit.
Er war, so sah er es selbst, kein Vollender, kein Ästhet, eher ein früher Anreger, ein Pionier. Mitbegründer der DEFA, Chefredakteur des „Augenzeugen“, ab 1954 für zehn Jahre erster Rektor der Filmhochschule – und, 1947, Regisseur eines der ersten und besten DEFA-Filme, „Ehe im Schatten“. Der Selbstmord des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner jüdischen Frau hat Maetzig, dessen Mutter selbst Jüdin war und sich deshalb angstgetrieben das Leben nahm, wohl sehr persönlich berührt. Und so berührend, und bleibend, inszenierte er dieses Schicksal, das ihm nahe war.
So lebte der Künstler, dessen Familiengeschichte im Thüringischen Weißensee wurzelt und der 1944 Mitglied der KPD wurde, später im Schatten der Themen, die der Tag diktierte, im Schatten eines Begriffs von Disziplin. So wechselte er Themen und Genres, so hatte er nie den Ehrgeiz eines individuellen Stilwillens. So entstanden die beiden ideologisch und ästhetisch monumentalen Thälmann-Epen (1953/55), die das Thälmann-Bild einer ganzen Generation prägten. Auch „Der schweigende Stern“ (1959/60) war kein Meisterwerk, jedoch als der erste utopische DEFA-Film eine wirkungssichere Pioniertat, tricktechnisch international konkurrenzfähig. Immerhin, drei seiner Arbeiten, die beiden Thälmann-Filme und „Der schweigende Stern“ kann man wohl zum kulturellen Gedächtnis der DDR rechnen.
Wenn das Selbstverständnis des Aufklärers mit der Zeit in wirkliche, nicht verordnete, Korrespondenz geriet, dann traten Künstler wie Kurt Maetzig aus dem Schatten.
Text: Henryk Goldberg
Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 25.01.2011
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