Sieht man sich, etwa im Internet, den Trailer zu „Cold War – Breitengrad der Liebe“ an, möchte man einfach nur kreischend wegrennen. Da wabert falsches Pathos, dröhnt fader Kitsch. Da fragt man sich, wie die Jury im Mai in Cannes dem Polen Paweł Pawlikowski dafür den Regie-Preis geben konnte. Sieht man den Film im Kino, ist ein Aufatmen der Erleichterung angesagt. Die Werbung wird – in diesem Fall ist das äußerst erfreulich – ihrem grundsätzlich schlechten Ruf gerecht, dumm und verlogen zu sein.
Die Filmerzählung verfolgt eine nach dem Zweiten Weltkrieg beginnende und bis in die Mitte der 1960er Jahre reichende Lovestory im Bannstrahl des Kalten Krieges. Ein romantischer Musiker und eine pragmatische Sängerin und Tänzerin sind die Protagonisten. Sie lernen sich kennen, als im Polen der Nachkriegszeit ein Folkloreensemble gegründet wird. Das soll und möchte Traditionen pflegen, Heimatliches ehren. Doch die politisch Verantwortlichen wollen anderes, nämlich damit Geld machen, und die Kunst obendrein dazu verbiegen, den Stalinismus zu festigen. Im Schatten dieser Indoktrination mag das Paar nicht leben. Er setzt sich bei einem Gastspiel in Ost-Berlin Richtung Westen ab, arbeitet schließlich als Jazzpianist in Paris. Sie verspricht, mit ihm zu gehen, bleibt jedoch in Polen. Eines Tages aber treffen sie einander wieder …
In konturenscharfen Schwarz-Weiß-Bildern, gehalten im altmodischen, fast quadratischen Wiedergabeformat, entwickelt das Melodram sehr schnell eine unwiderstehliche Anziehung. Was – neben der Präsenz sämtlicher Akteure, das Hauptdarsteller-Duo allen voran – der klugen Inszenierung zu danken ist. Zum einen begeistert, wie raffiniert die Abhängigkeit jedes einzelnen Individuums von gesellschaftlichen Möglichkeiten gespiegelt, zum anderen, wie formal geschickt jede drohende Sentimentalität vermieden wird. Das geschieht etwa dadurch, dass nicht alles auserzählt wird, Zeitsprünge eingesetzt und nicht alle Motivation der Handelnden von Dialogen erklärt werden. Kurzum: Kino für Erwachsene.
Das Finale, man ahnt es von Anfang an, mündet nicht in ein schwereloses Happy End. Die wirklich guten Liebesfilme sind schließlich nahezu alle „Liebeskummerfilme“. Und doch: Man geht nicht bedrückt aus dem Kino. Denn Paweł Pawlikowski baut bei aller Bitternis auf Hoffnung. In den bürgerlichen Gesellschaften, in denen wieder mehr und mehr reaktionäres Denken um sich greift, wirkt das fast schon utopisch.
Peter Claus
Cold War – Breitengrad der Liebe, von Paweł Pawlikowski (Polen 2018)
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