Biopics sind wieder in. Wie schon in den 1930er Jahren. Damals, in der Zeit großer wirtschaftlicher und sozialer Probleme in den USA und anderen Industriestaaten, hat Hollywood geradezu am laufenden Band Porträts bedeutender Persönlichkeiten auf den Markt geschmissen: Queen Victoria, Voltaire, Louis Pasteur und und und.
Die Spielfilm-Sagas um berühmte Charakterköpfe mit Führungsqualitäten dienten auch der Aufbau-Arbeit, sollten Mut machen in mutloser Zeit. Als solche wird auch die gegenwärtige von vielen empfunden. Und siehe da: die Biopics schießen wieder ins Kraut. Der Chemikerin und Physikerin Marie Curie konnten wir jüngst im Kino begegnen, dem Mathematiker John Forbes Nash jr., dem Politiker Winston Churchill und anderen. Der Staatsmann wird uns nun schon wieder vorgeführt. Im Vorjahr war die britisch-US-amerikanische Ko-Produktion „Churchill“ zu sehen. Das war das launige Porträt eines schwierigen Charakters. Ist mehr drin? Ist es! Der hier zur Rede stehende Film geht inhaltlich und künstlerisch über den Vorgänger hinaus, weit hinaus.
Der durch die „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ bekannt gewordene Autor Anthony McCarten und der mit Hits wie „Stolz und Vorurteil“ oder „Abbitte“ erfolgreiche Regisseur Joe Wright haben mehr im Sinn als einen Anekdotenreigen, gewürzt mit psychologischen Deutungen und philosophischen Statements. Sie haben tatsächlich die politische Wirkung dieses Mannes im Visier. „Die dunkelste Stunde“ ist ein Zitat aus der berühmten Rede „This Was Their Finest Hour“ (Dies war ihre beste Stunde) des da gerade installierten britischen Premierministers im Juni 1940. Hitler-Deutschland hatte Frankreich überrollt. Churchill nannte dies in der Rede die „dunkelste Stunde in der Geschichte Frankreichs“. Und diese Rede wurde damals nicht nur einmal, sondern mehrmals, von der BBC im Radio übertragen. Das hat den Widerstandsgeist der Briten gegen den Feind, da sind sich viele Historiker einig, entscheidend mit gestärkt. Was nötig war. Denn auf der Insel ging die Angst vor den Schergen Deutschlands um, war die Furcht vor einer Invasion der Nazi-Truppen groß. Winston Churchill, seinen Landsleuten bereits als Militär und Minister in verschiedenen Verantwortungsbereichen bekannt, sah es als seine Aufgabe an, das Königreich zu retten. Wie der Film davon erzählt, ist von wirklich mitreißender Dynamik.
Hauptdarsteller Gary Oldman darf sich ein großen Anteilteil am Erfolg des Films anrechnen. Gerad erhielt er, es war keine Überraschung, einen „Golden Globe“ dafür. Nicht erst seitdem gilt er als einer der aussichtsreichsten Kandidaten im gegenwärtigen „Oscar“-Rennen. Oldman, weithin berühmt als Interpret des Sirius Black in den „Harry Potter“-Adaptionen und als James „Jim“ Gordon in der „Dark Night“-Trilogie, wurde und wird seit etwa dreißig Jahren immer wieder für seine Arbeit ausgezeichnet. Er gilt als Star mit oft unglaublicher Wandlungsfähigkeit. Dabei setzt er in diesem Fall nicht allein auf äußere Ähnlichkeiten, wiewohl die Maskenbildner Erstaunliches geleistet haben. Entscheidender für die Wirkung: Oft hat es den Anschein, als höre Oldman während des Spiels in sich hinein, um die richtige Haltung zu finden, die aussagekräftigste Mimik und Gestik. Da trifft er sich ganz offenbar mit dem von ihm verkörperten Staatsmann. Denn der hat zweifellos die Fähigkeit besessen, Zuhörer und Zuschauer mit seinen Auftritten nicht nur momentan zu beeindrucken, sondern nachhaltig zu beeinflussen. Besonders deutlich wird das in den zentralen Szenen des Films, die Churchill im Gespräch mit König Georg VI. (Ben Mendelsohn) zeigen. Oldman offenbart hier durchaus den Machthunger Churchills, zeigt aber zugleich, wie er die Macht tatsächlich zum Wohle seiner Heimat nutzen möchte. Anthony McCarten hat dafür brillante Dialoge geschrieben. Das Ringen um Entscheidungen ist mit größter Spannung aufgeladen. Doch erst die Präsenz von Oldman und seinen durchweg ebenfalls exzellent agierenden Mitstreitern macht daraus einen ungemein an den Nerven zerrenden Thriller. Und das, obwohl die Geschichte überwiegend als Kammerspiel offeriert wird. Der größte Teil der Handlung spielt nämlich hinter den Kulissen der Politik und im Privaten. Da kommt dann Churchills Gattin Clementine, verkörpert von Kristin Scott-Thomas, eine besondere Rolle zu. Ohne Sentimentalität zeigt die Schauspielerin, wie diese Frau, eine engagierte Kämpferin für die Gleichberechtigung der Geschlechter, ihren Mann gestärkt, ja, ihm gedient hat, ohne ihre eigene Persönlichkeit aufzugeben. Scott Thomas ist insbesondere dann für Oldman eine wichtige Partnerin, wenn Churchill im Verborgenen mit seinen Zweifeln ringt, einfach auch Angst hat, das Falsche zu tun. Im Zusammenspiel entwickeln die beiden Stars eine erstaunliche Intensität. Dabei gelingt es ihnen, dem Publikum jeweils einen Blick in die Seele, das Innere, des Gegenübers zu ermöglichen. Überzeugende Schauspielkunst!
Die Begeisterung ist also groß. Und dennoch verlässt man das Kino auch mit einem gewissen Grübeln. Denn da gibt es doch gelegentlich arg pathetische Szenen, etwa in der Bebilderung der Kriegsgräuel. Wirklich störend wirkt, wie das ansonsten facettenreiche Porträt Churchills in einigen Momenten durch überzogene Heldenverehrung ersetzt wird. Dies ist vielleicht dem Umstand geschuldet, dass im derzeit vom Brexit-Wahn gebeutelten Großbritannien die Sehnsucht nach einer integren und intelligenten, dabei auch wagemutigen poltiischen Führungspersönlichkeit mit echtem Charisma besonders ausgeprägt ist. Denn ja: Es schimmert nicht nur durch, es wird überdeutlich darauf verwiesen, daß die Regierenden in London heutzutage dringend nach einer nicht allein klug redenden, sondern auch klug handelnden politischen Persönlichkeit wie Winston Churchill gieren. Hier wäre weniger wirklich mehr gewesen. Das schmälert aber letztlich nicht die Begeisterung ob der weithin gebotenen inszenatorischen Eleganz und schauspielerischen Brillanz. Beides macht dieses Biopic zu einem Hochgenuss. Und damit nimmt das Filmdrama in der Fülle der Kino-Spielfilm-Biografien eine herausragende Stellung ein.
Peter Claus
Bilder: © Universal Pictures International Germany
Die dunkelste Stunde, von Joe Wright (Großbritannien 2017)
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