Die Reaktionen nach der Uraufführung beim Filmfestival Venedig fielen gemischt aus – es gab gleichermaßen Ablehnung und Zuspruch, beides jeweils heftig.
Etwa ein Jahr lang hat Ai Weiwei mit -x Kamerateams, Drohnen und seinem Mobiltelefon in 23 Länder gedreht. Zu sehen sind Menschen in Zeltlagern, auf Booten, an Grenzzäunen, auf Märschen. Es sind oft Kranke und Verzweifelte. Gelegentlich kommen Einzelne zu Wort. Das immer nur sehr kurz. Hoffnungen werden skizziert, Ängste und Zweifel. Freiwillige und professionelle Helfer äußern sich. Auch sie haben jeweils nur wenig Zeit. Statements werden abgeliefert, mehr nicht.
Fast zweieinhalb Stunden dauert der Film. Rasend schnell geht es von Station zu Station. Es gibt Szenen in Zentralafrika, an der Grenze der USA zu Mexiko, in Syrien, Deutschland, Ungarn, Griechenland, Italien, Afghanistan und mehr. Schlaglichtartig werden unwürdige Lebensumstände deutlich. Eingeblendete Schriftzüge liefern Fakten und Zahlen, deuten politische Situationen an. Auch Dichterworte werden zitiert, Worte, die Menschlichkeit einfordern, beschwören. Und Ai Weiwei selbst ist oft zu sehen, sehr oft. Da filmt er Flüchtlinge mit einem Mobiltelefon, arbeitet mit einem der Kamerateams, lässt sich die Haare schneiden. Vor allem diese Momente der Selbstdarstellung haben Diskussionen ausgelöst. Belegen sie sein Engagement – oder ist das unpassende Eitelkeit?
Wirkliche Tiefe erreicht der Film nie. Ai Weiwei wendet sich nämlich oft ab, wenn es aufschlussreich werden könnte, wenn die Menschen vor der Kamera Geschichten erzählen könnten, von sich, von anderen, was ihnen nie möglich gemacht wird, denn zu schnell wird abgeblendet. Hinzu kommt, dass es einfach viel zu viele Momentaufnahmen sind. Man verliert den Überblick. Die Flut an Bildern erschlägt einen, ermüdet, statt dass man wach gerüttelt wird. Mitgefühl kann so nicht aufkommen. Es ist wie beim Betrachten von TV-Nachrichten: man registriert die Elendsmeldungen, aber sie kommen einem nicht wirklich nah.
Problematisch dazu ist, dass der bildende Künstler Ai Weiwei oftmals zu viel gestaltet hat. Das Leid wird zur Dekoration. Da schaut man zum Beispiel von oben auf eine Vielzahl von Vierecken, rätselt, was das wohl ist. Nur langsam, wenn sich die Entfernung zum Gezeigten verringert, wird klar, dass hier mit einer Drohne auf ein Flüchtlingslager geschaut wird. Das Grauen wird graphisch effektvoll gezeigt. Einsichten oder Emotionen werden dabei nicht vermittelt. Der Moment ist typisch: Es bleibt bei einer Draufsicht. Dadurch bleibt einem das Elend, gegen das der Film angehen möchte, fremd.
Peter Claus
Bilder: © 24 Media | Human Flow von Ai Weiwei
Human Flow, von Ai Weiwei (Deutschland 2017)
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