Anmerkungen zur Wanderung von Intellektuellen aus dem linken ins rechte Lager
Aus der Geschichte der Religionen und Konfessionen kennen wir die Figur des „Konvertiten“, der mitsamt seinem Glauben auch seine Lebenseinstellung und sein Weltbild ändert und versucht, die neuen Gebote und Dogmen besonders glühend und besonders militant zu vertreten, und der sich durch besonderen Hass auf die Ungläubigen hervorzutun bemüht. Diese Figur des Konvertiten gibt es ganz offensichtlich auch in der Bewegung von demokratisch, modern und links eingestellten Intellektuellen zur extremen Rechten, zum nationalistischen, völkischen und militaristischen Denken hin. In dieser Richtung bewegten sich Intellektuelle in der napoleonischen Zeit, vor dem ersten Weltkrieg und schließlich seit etwa einem Jahrzehnt auch in unserer Gegenwart. Der umgekehrte Weg, vom rechten ins linke Lager, ist eher selten anzutreffen, was uns noch zu denken geben wird.
Wir haben einige besonders drastische Beispiele für diese Wanderung: Horst Mahler, der vom RAF-Anwalt zum Holocaust-Leugner und rechtsrextremen Hassprediger wurde, Bernd Rabehl, der SDS-Pionier, der um ein Haar Präsidentschaftskandidat der NPD wurde und rechtsextreme Artikel in der „National Zeitung“ veröffentlich, oder Jürgen Elsässer, der auf dem Umweg über die Parteinahme für Slobodan Milosevic und eine „anti-imperialistische“ „Querfront“ zum rechtsextremen Publizisten wurde, der Gendermainstreaming, Multikulti und „schwule Subkultur“ geißelt und schließlich angesichts der Flüchtlingskrise in Deutschland im Jahr 2015 die Soldaten der Bundeswehr dazu aufrief, auf eigene Faust die deutschen Grenzen gegen den weiteren Zustrom von seiner Ansicht nach illegalen Migranten zu sichern. Der jüngste Fall einer solchen furchtbaren Konversion offenbarte sich durch den kleinen Skandal, der durch einen Spiegel-Redakteur ausgelöst wurde, der durch etwas unsportliche Methoden das Buch „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle auf die Liste der „Sachbücher des Monats“ brachte, einem Autor, der, einst eher im liberalen Spektrum verortet, nun zunächst in einem allgemeinen Verschwörungs- und Kulturpessimismus-Raunen Anlauf nahm, in dem schon das Tragen von T-Shirts, die Begeisterung für Fussball und die Lautstärke der Musik unzweifelhafte Zeichen des kulturellen Niedergangs sind, um dann freilich in einer wirklich widerlichen Schlussvolte zum antisemitischen Rundschlag auszuholen. Der Spiegel-Redakteur rechtfertigte sich, er habe „bewusst ein sehr provokantes Buch der Geschichts- und Gegenwartsdeutung zur Diskussion bringen“. Mit anderen Worten: Es geht nicht nur um die Rechts-Wendung des Rolf Peter Sieferles, sondern auch um die des Spiegel-Redakteurs (und seines Mediums), der es als diskussionswürdig erachtet, wenn wieder einmal vom jüdischen Gottesmord auf die Instrumentalisierung von Auschwitz geschlossen wird.
Aber neben solchen Extremfällen gibt es eine allgemeine Bewegung die auch bei Persönlichkeiten wie Jean Ziegler, einst Mahner internationaler Solidarität und dann Wahlkampf-Unterstützer für die fremdenfeindliche, rechte SVP in der Schweiz oder dem französischen Philosophen Michel Onfray zu beobachten sind, der sich vom Parteigänger zum Kritiker der Linken entwickelte und nicht nur die „anti-kapitalischen“ Argumente des Front National gerne öffentlich teilt.
Mehr noch: Wir haben auf der einen Seite die spektakulären Einzelfälle, die es offensichtlich gerade darauf abgesehen haben, als „einsame Wölfe“ der Meinungskämpfe um kulturelle Hegemonie zu fungieren, und es in Kauf nehmen, auch von der Mitte aus als „durchgeknallt“ tituliert zu werden, und auf der anderen Seite kollektive Wanderbewegungen. Beim Wahlkampf 2007 in Frankreich zum Beispiel wechselte eine ganze Szene ehemals linker Intellektueller ins Lager des, gelinde gesagt, konservativen Nicolas Sarkozy; André Glucksmann veröffentlichte in Le Monde einen Leit-Text unter dem Titel „Warum ich für Sarkozy bin“ und entwarf dabei gleichsam das Drehbuch für die Wanderung: Unter dem Stichwort eines „Aufstands“ der jenseits von rechts und links vor der Tür stehe, beschwor er das „großherzige Frankreich, das die Bedrängten nie vergessen hat“ und die Rückkehr zu einer heroisch-elitären Politik. Und Pascal Bruckner pflichtet ihm in seiner Schwärmerei für das bei, „was Sarkozy über Erziehung und Patriotismus sagt“.
Was geht in den Konvertiten vor, den durchgeknallten Überläufern wie den vorsichtigeren Lagerwechslern, und welche Bedingungen erzeugen eine solche diskursive Binnenmigration? Was die verschiedenen Gruppen und Einzelnen auch voneinander unterscheiden mag, Schlüsselbegriffe des Konvertierens sind immer Nation, Volk, Geschlecht und Kultur. Es ist als wäre dieser Sog für bestimmte Menschen in einer bestimmten Lebens- und Arbeitssituation einfach unwiderstehlich, als wolle man da mit allen Mitteln und unter allen Opfern an ein verlorenes, wärmendes Feuer zurück. Für einzelne und für gewisse Szenen scheint es diesen Sog schon immer gegeben haben; nun aber, so wird hier und da argwöhnt, hat die Bewegung einen ganzen Berufsstand (oder was von ihm übrig blieb) und mehr noch ihre Medien und ihren Betrieb erfasst. Nicht nach rechts gehen ist schon fast die Ausnahme, oder, um es mit den Worten des französischen Historikers Jacques Juillard zu sagen: „Das Wort Linksintellektueller war lange Zeit ein Pleonasmus, heute wird es zu einem Oxymoron.“
Dieser Umschlag hat sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Gründe, und eine Menge, die zwischen dem einen und dem anderen liegen.
1.These: Verlust und Wiedergewinnung des Heroischen in der Politik
Mit der Auflösung in sozialen Bewegungen und Milieus, die eher defensiver und pragmatischer Art sind, der Ökologie, dem Graswurzelsystem der partizipativen Demokratie, dem Feminismus und der Codierung von Toleranz in der political correctness, in der Friedensforschung als institutioneller Rationalisierung einer einst höchst aktiven Friedensbewegung, in der Ja,aber-Moderierung des „revisionistischen“ Marxismus, der Verlagerung von politischen in kulturelle Kämpfe usw. verlor das Politische von links seinen (männlichen?) Heroismus. Das Heroische in der Politik wurde dagegen von rechts fast im Überfluss angeboten.
Dazu kam als weitere Kränkung für jede heroische Politik-Auffassung der unübersehbare Wandel der Welt: In Europa im allgemeinen, den einzelnen Nationen im besonderen würde sich immer weniger das Schicksal der Welt beweisen. Jede heroische Auffassung von Politik muss daher auf doppelte Weise das Nationale betonen oder gar gegen einen globalen „Brei“ wiederherstellen wollen. (So ließ sich die linke Kritik an der Globalisierung der Ökonomie vergleichsweise einfach in eine rechte Kritik an der universalistischen politischen Kultur umformen. Der „National-Bolschewismus“, der schon immer in einigen linken Szenen spukte, konnte in der Wanderungsbewegung zu sich kommen.)
Von den Bekenntnissen der Intellektuellen, die in Frankreich des Jahres 2007 ihre Wendung nach rechts sehr öffentlichkeitswirksam deklamierten bis zur kriegerischen Rhetorik der neurechten Konvertiten in Deutschland reicht diese Geste des Verlangens nach heroischer Politik.
Dieses Leben in einer „weichen Kultur“ ist unerträglich geworden und wird mit einer Inszenierung von Härten konterkariert. Zweifellos lässt sich hier eine sexuelle Komponente des Konvertierens ausmachen, wenn auch nicht immer so überschäumend wie bei Akif Pirinci. Nicht dass es keine neu-rechten intellektuellen Frauen gäbe, beileibe nicht, aber die große Geste des Übertritts aus linker Vergangenheit in rechte Gegenwart scheint doch weitgehend männlich codiert zu werden.
Den Übertritt von der Linken zur Rechten (einmal durch die Mitte und einmal gleich im Übersprung) ist nahezu immer mit einer Geste der Selbst-Viktimisierung verbunden. Der Ex-Linke betritt die rechte Bühne bereits mit der Mine des Verfolgten, des Gekränkten, des Opfers „weltweiter Kampagnen“, Opfer der politisch Korrekten, der Queeren und – der Frauen. Unter anderem darf so die Selbstüberschätzung ex negativo fortgesetzt werden. Die aggressive Selbst-Viktimisierung, eine Spezialität der mehr oder weniger Neuen Rechten, erlaubt es überdies, nun seinerseits die Schranken der gepflegten und „fairen“ Auseinandersetzung zu überspringen. Man könnte argwöhnen: Die Wanderung von links nach rechts geschehe auch aus dem Impuls heraus, den eigenen Opferstatus zu erhalten, den man als Linker nicht mehr wirklich performen kann. Und nach rechts zu wandern mag in dem einen oder anderen die Illusion aufrecht erhalten, man könne „wild und gefährlich“ bleiben. Jedenfalls darf man wieder sprechen in der Sprache von Hass und Verachtung, was offensichtlich einige Menschen als „Befreiung“ empfinden.
Diese Verbindung zur heroischen Pose, die nur durch den Wechsel nach rechts erhalten werden kann, lässt sich auch auf den Diskurs übertragen. All jene (meist älteren) Männer, denen man in letzter Zeit einen Weg nach rechts unterstellen konnte, von Sloterdijk über Walser bis zu Botho Strauss, retteten in gewisser Weise ihren heroischen Opfer-Status. Mit der Ermattung der Linken aber auch mit der neoliberalen Abwertung der Kultur fiel der begehrte Status der linken Avantgarde weg und konnte nur als rechte kulturelle Elite erneuert werden.
Eine Männerphantasie, womöglich.
2. These: Giftige Altlasten
Gewisse „rechte“ Meme und Bilder spukten schon immer in einer offenen „linken“ Diskursivität. Solche Mischformen, ein Nationalismus oder ein Elitarismus in linkem Gewand, finden sich heute in der Idee der „Querfront“. Horst Mahler hatte mehr oder weniger klar erklärt: „Die nationale Frage war immer auch ein Anliegen der Linken.“ Und schon in der Rhetorik zeigt er dabei, wie ein solcher Akt der Diskurspiraterie funktioniert. Auch die frühen Grünen, da sie sich noch als bunter Haufen und nicht als Partei verstanden, versammelten in ihren Reihen „nationalrevolutionäre“ Zirkel, in denen über „Ethnopluralismus“ als Nebeneinander der organisch gedachten Völker und Kulturen debattiert wurde. Rechte Ökologen, militante „Lebensschützer“ und bizarre Mystiker bildeten in den Anfangsjahren der Partei eine einflussreiche Minderheit. Und heute gibt es auch in der Partei „Die Linke“ eine nationale, ja fast schon völkisch-populistische Tendenz.
Nationalistische Töne waren auch in der alten Linken und natürlich in der Sozialdemokratie nie fremd. Thilo Sarrazin, der große Vordenker der AfD- und Pegida-besorgten Bürger, hat seine Tiraden nicht trotz seiner Mitgliedschaft in der SPD veröffentlicht, sondern als eine ins völkische gewendete Form von sozialdemokratischer Fürsorge. Seine Partei konnte sich so wenig von ihm trennen wie er sich von ihr.
Aber auch dies ist eine Erzählung, die sich medial entfaltet und langsam aber sicher hegemonial wird: „Die revolutionäre deutsche Linke der alten Bundesrepublik hat immer eine Neigung zur alternativen Deutschtümelei gehabt“ schreibt im Spiegel Hendryk M. Broder, einer der frühen Konvertiten, und damit ist ja wohl alles klar, oder? Was ein Horst Mahler sich als Beute von der Linken nehmen will, wird bei Broder zum apodiktischen Ab-Urteil. Broders Weg führt von der radikalliberalen, antiautoritären Publizistik über eine – durchaus verständliche, wennzwar vielleicht an falschen Themen und Personen vollzogene – Abwehr von linkem Antisemitismus zu einem unermüdlichen Prediger gegen ein linkes Phantom-Bild. Die Linke, die es als einheitliches Konstrukt und Ereignis in Europa nie gegeben hat, wird erst im angewiderten Blick des Konvertiten eindeutig.
Überhaupt wird das „Abschwören“ zu einem beliebten (übrigens auch kommerziell erfolgreichen) konvertitischen Diskurs: Manfred Kleine-Hartlage zum Beispiel erklärt wortreich und natürlich in einem der rechten Verlage, warum er kein Linker mehr ist, was, laut Verlagstext auch heißt „wie es sich anfühlt, zur Wirklichkeit (also: zum rechten Blick auf das, was wirklich ist) durchgestoßen zu sein: Keine Ideologie mehr, keine Nebelwand, kein Experiment mehr am lebenden Objekt (dem Menschen), keine Überhebung und keine Verachtung derer mehr, die noch nicht ‚überzeugt‘ sind. Ein autobiographischer, überzeugender Bericht, der jenen in die Hand gedrückt werden könnte, die sich schon fast aus ihrer linken Verblendung befreit haben.“ In diesem Abschwör- und Befreiungsgestus, den man bei fast allen Konvertiten findet, wird Links-Sein als furchtbare Verblendung und Gefangenschaft in einer Art Psycho-Sekte begriffen, gegen die nur die Wiedergewinnung des, nun eben, „rechten Blicks“ hilft.
Nur wenig von der Hysterie nimmt das Muster, das etwa Reinhard Mohr mit seinem Buch „Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken“, zur Legitimierung seiner Wanderung bietet. Er erfindet, da kann er sich gewissermaßen des Beifalls sicher sein, den Altlinken als Schreckbild und Karikatur: „Ein Paradebeispiel war jener ergraute Zopfhansel beim Italiener, der in größerer Runde ausschweifend und gut hörbar dozierte. Es ging um Gott und die Welt, und er erklärte alles, wirklich alles. Er war schon über fünfzig und hatte seinen kleinen gesellschaftskritischen Haar-Rest aus den frühen achtziger Jahren mit einem dünnen Gummibändchen festgezurrt.
Zwischen zwei Gabeln Spaghetti Vongole fragte ich mich, ob er nachts den haarigen Mini-Strunk löst und morgens wenigstens das Gummibändchen wechselt. Das kleine Gesamtkunstwerk aus Zopfzausel und fortschrittlichem Weltethos brachte mich jedenfalls eigentümlich in Rage, und schon nach dem nächsten Schluck Weißwein schoss mir der böse Gedanke durch den Kopf, eine Schere zu besorgen, um dem kleinen Wichtigtuer das revolutionäre Schwänzchen abzuschneiden. Einfach so, ganz spontan, in einer Art spätanarchistischer Aufwallung.“ Wir sind uns ziemlich sicher, dass dieser Zopfzausel, dem ein spätanarchistischer Konvertit das Schwänzchen abschneiden möchte, niemand anders ist als der Autor selber. Die Wendung nach rechts erscheint im bösen wie im hämischen Blick als Befreiung von etwas Erfolglosem, Altbackenen, Peinlichen. Und die Abschwör-Literatur ist die konvertitische Opfergabe für die rechte Erzählung von den „Alt-68ern“, die bekanntlich unser Land verseucht haben und uns noch heute den Appetit auf Spaghetti Vongole verderben.
3. These: Umwege nach rechts
Die Wanderung von links nach rechts geschieht gelegentlich über Umwege, spiritueller, religiöser oder ästhetischer Art. Im übrigen gilt dies nicht nur für Personen, sondern auch für Institutionen. Wir werden indes nicht darum herum kommen, nur zum Beispiel die Entwicklung des „Manuskriptum“-Verlages, vormals verbunden in der „manufactum“– Idee des „gediegenen Handwerks“ für die gehobenen Einkommen als Modell zu sehen. Ein manufactum-Laden war seinerzeit und ist es bis zu einem gewissen Grad immer noch, eine Bühne für den Weg von der linken Subkultur in die neukonservative Suburbia-Kultur. Und immer musste hier schon für den Weg eine mehr oder weniger „ideologische“ Erzählung herhalten, und sei’s die von ehrlichem Handwerk, Nachhaltigkeit, Ökologie und, nun eben, „Schönheit“. Thomas Hoof, zugleich Gründer der Manufactum-Läden nebst Versand und ehemaliger Landesgeschäftsführer der nordrhein-westfälischen Grünen, beschenkt die staunende Öffentlichkeit seit geraumer Zeit mit rechtsextremen Gedanken. Was aus ökologisch-sozialen Milieus entstand, liest sich nun, im Branchenblatt buchreport und als Werbung Akif Pirincis Buch „Deutschland von Sinnen – Der irre Kult um Homosexuelle, Frauen und Zuwanderer“ so: „Wann endlich macht ein rebellischer Buchhändler mal Front gegen die unfassbare Verniedlichung der Sortimente und schreibt in dicken Lettern über seine Ladentür „Garantiert keine Frauenbücher!“
So wie sich Hendryk M. Broder über den Umweg der Antisemitismus-Kritik der Rechten annäherte, wie Hoof und Pirinci offensichtlich über eine Störung ihrer inneren Geschlechterordnung, machte es etwa Heino Bosselmann mit seiner Kritik am deutschen Bildungssystem. Weil er bei den Linken und auch in der Mitte keine Resonanz fand, wandte er sich nach eigenen Aussagen zu den rechten Publikationen „Junge Freiheit“ und „Sezession“. Dann aber erkannte er seine Vereinnahmung und: „Ihr antikapitalistisches Erbteil, die Kritik an der politgefährdenden Herrschaft der Konzerne und der ‚Hochfinanz‘, hat die neue Rechte, mit Ausnahme ihres einstigen französischen Vordenkers Alain de Benoist, nahezu völlig verloren. Eher versucht sie sich in neoliberalen Argumentationen, weil die zu ihrem zweifelhaften Elitebild passen.“
Dahinter steckt vielleicht noch etwas anderes: Die Auflösung der Sozialdemokratie im neoliberalen Projekt und die Reduktion der Linken auf einen harten Kern (auch im Diskurs) hat für viele eher ambigue Parteigänger Artikulation und Interesse erschwert. Man trägt möglicherweise nicht nur „Ansichten“ und Modelle von links nach rechts, sondern auch Interessen, Widersprüche und Ästhetiken. Man glaubt, in der mehr oder weniger Neuen Rechten (Hauptsache: neu!, denn man will ja immer vorn sein) so individuell und offen nun aufgehoben zu werden wie einst in der Linken. Einige, wie Heino Bosselmann, erkennen diesen Irrtum, andere bewegen sich in der Spirale dessen, was man irrtümlich eine „Selbstradikalisierung“ nennt.
Neben dem „Spirituellen“, dem Pädagogischen und dem Ästhetischen spielt offenkundig das Sexuelle eine bedeutende Rolle bei der Wanderung nach rechts. Gekränkte Männlichkeit sucht sich, wie bei Thomas Hoof eine ideologische Heimat: Vom „Kanon medialer Frauenanbetung“ ist bei ihm die Rede, und von Homosexuellen, die angeblich „amtlich als die besseren Menschen anerkannt und diplomiert“ werden wollen. Der Anteil von Sexismus und Homophobie bei der Wanderung nach rechts kann vermutlich als nicht gering eingeschätzt werden.
Der Umschlag vom Linken zum Rechten geschieht nicht nur in der Sphäre der Politik, sondern vor allem in der der Ökonomie. Als Geschäftsmann erkennt man klar, dass die Spielregeln der Demokratie ebenso wie ein egalitäres Denken und sozial-liberale Einschränkungen, falsche Rücksichtnahmen und politische Korrektheit den Wettbewerb beeinträchtigen. Die Verbindung von Rechtsextremismus und neoliberalem Aufstieg ist nicht nur ein organisatorisches Phänomen, sondern zeichnet sich auch in einzelnen ab. Heißt Linkssein nicht automatisch: ökonomisch erfolglos sein? Erst in der militant rechten Pose ist politisch radikal und ökonomisch erfolgreich kein Widerspruch mehr. Heureka!
4. These: Die biographischen Bruchlinien
Links-Sein war für viele Menschen der Nachkriegsgesellschaft eine biographische Notwendigkeit der Selbstbefreiung: Der Bruch mit dem Elternhaus, der Bruch mit der Tradition, die Verweigerung von Rollenmodellen und Karriereplänen etc. Die linke Biographie war mit dem Erreichen bestimmter Ziele verbunden, sie verknüpfen im übrigen das Berufliche, das Soziale und das Familiäre miteinander, und das Erreichen wie das Verfehlen dieser Ziele führt zu einer Neuorientierung: Nehmen wir an, der „Linke“, der seine biographischen Ziele erreicht hat, neige eher zu einer Verbürgerlichung oder zu einer Einrichtung in einer, sagen wir, post-linken, selbstreflexiven Schrumpfkultur, so können wir im Konvertiten wohl einen Menschen sehen, der noch immer nicht geworden ist, was er hat werden sollen.
Der im Rechtsextremismus gelandete Ex-Linke bekämpft nun nicht allein „die Linke“, die ihn irgendwie nicht hat werden lassen, was er hat werden sollen, sondern auch das Linke in sich selbst. Die Konvertiten unter den Rechtsextremisten versuchen ihre neuen Kameraden nicht nur an Härte und an „Größe“ zu übertreffen, sondern auch an der grotesken (negativen) Emotionalität.
In der Verbürgerlichung und Rationalisierung der Linken hat sich ein Konzept zunichte gemacht, nämlich den Vorrang der Politik in einem Leben. Der politische Mensch (nach Carl Schmitt einer, der zwischen Freunden und Feinden unterscheiden kann) hat eine bestimmte Subjekt/Welt-Beziehung gewählt. Er ist paradoxerweise nur in der Politik „zuhause“ und verachtet daher den liberalen Gutmenschen, der das Private mit dem Politischen arrangiert, ebenso wie jenes „Establishment“, das die Welt einrichtet und sich in ihr einrichtet. Der Hass auf das Establishment, den es in einer linken wie in einer rechten Version gibt, entstammt möglicherweise weniger der politischen Überlegung als der Subjekt-Konstruktion, und der Hass auf den „Gutmenschen“ meint einen, der sich nicht vor der Geschichte (und dem „Der Zweck heiligt die Mittel“) sondern vor sich selbst und vor seinen Mitmenschen verantwortet.
Im Einzelfall aber geht es darum, sich erneut „neu zu erfinden“ und einen neuen Echoraum für die eigene Persona zu haben. Das „Epater les bourgeois“ ist von rechts gekapert worden, mit ihm eine spezielle Ästhetik der Rebellion und der Jugend. Im Weg nach rechts scheint man einen Teil der Jugend zu bewahren, denn das Linke ist „alt“ aber in vielerlei Hinsicht auch normal und eben selber: bourgeois. Das linksgrünalternative Milieu ist auf eine furchtbare Weise verspießert und gelähmt, hier kann man „unruhig“ nicht mehr leben.
Der „politisierte Mensch“ muss sich eine neue äußere Wahrheit suchen, da er mit seinem Inneren allein nicht leben kann. „Ich bin rechts, weil es keine Linke mehr gibt“, erklärte der Konvertit Bernd Rabehl im Jahr 2011 einem Reporter der Zeit. Der Satz kann als komplett paranoider Irrsinn gelesen werden. Oder als ziemlich bittere Wahrheit über eine Wanderungsbewegung, die über beides Auskunft gibt: Wo einer herkommt, und wo einer gelandet ist.
5. These: Individualisierung als Schicksal
Man mag sie auch die Eric Dupin-These nennen (niedergelegt in seinem Buch „À droite toute“): Sie erklärt die Wanderung der Intellektuellen nach rechts aus dem Individualismus und der Atomisierung der Menschen in den industriellen und post-industriellen Gesellschaften des Westens: Es ist die Furcht vor der Mediokrisierung, der „Leere“, der Weichheit und Unverbindlichkeit der jeweils aktuellen Linken, die nicht nur die heroische Selbstsicht, sondern auch das Berufsbild verändert. Der „Hyper-Indivudalismus“, den der Neoliberalismus verspricht, sein streng subjekthaften Anarchismus, muss verführerisch sein wie der elitäre Volontarismus. Wer sich in eine linke Tradition stellt, müsste demnach einen Teil seiner selbst verleugnen.
Aber in gewisser Weise verhält es sich auch genau umgekehrt: Mit den Arbeitern und Arbeiterinnen kam der Linken ein mehr oder weniger mythisches Bezugsfeld abhanden. Was da verloren ging, die Klasse, die Massen, das kann nun als „Volk“ wieder errichtet werden; mit der Wendung nach rechts versucht man also nicht, der Individualisierung Rechnung zu tragen, die jeden Linken erst einmal zu einem einzelnen macht, einschließlich einer höchst persönlichen Verantwortung für alles, was er sagt oder tut, sondern ihr gerade zu entkommen. Nur im Auswechseln der Ideologie, von einer erwachsen, müde, alt und unheroisch gewordenen Linken zu einer jungen, aggressiven, eindeutigen Rechten, lässt sich der Bezug auf ein großes anderes, einschließlich der Absentierung von Reflexion und Gewissen aufrecht erhalten.
Die Wanderung nach rechts kann also vielleicht in mehrerer Hinsicht als eine Flucht vor dem Alleinsein, vor der Komplexität, kurz vor dem Erwachsenwerden gedeutet werden. Die Verwandlung des Linkssein von der Ideologie zur Philosophie macht der Konvertit nicht mit.
6. These: Die Schuld des linken Establishment
Diese wiederum ließe sich als „Eribon“-These aufstellen: Der Soziologe Didier Eribon bekennt sich gern zu seiner Herkunft aus der Arbeiterklasse und registriert, dass die Mehrzahl seiner Familie und damit, wie er selbst sagt, seiner Klasse, sich nach rechts orientiert, weil gerade die „sozialistischen“ Regierungen wenig bis nichts dagegen getan haben, dass immer noch Familie, Wohlstand, Klasse und Beziehung die Lebenschancen bedingen. Zugleich waren es aber gerade die sozialdemokratischen Eliten in Europa, die in Politik und Rhetorik die Fortdauer des Klassenkampfes schlicht leugneten. „Die linke Sozialdemokratie hat in gewisser Weise etwas eliminiert, was jetzt von Rechts für sich beansprucht wird.“ Und der Konvertit, nach dieser These, wandert mit diesem Anspruch. Er denkt, paradox genug, dass er nur noch rechts authentisch links sein kann.
Etwas ganz ähnliches ließe sich gewiss auch im Bereich der Diskurse feststellen. Das linke Denken musste zwangsläufig die Einheit von Gedanken und Gefühlen aufgeben. Wie seine Entheroisisierung erfuhr es auch seine Entromantisierung. Nächstes Paradox: Nur als „nüchterne“ und erwachsene wird die Linke dem herrschenden allumfassenden Neoliberalismus zur Gefahr. Aber genau das macht sie für eine Anzahl von Menschen unbewohnbar.
7. These: Ökonomie und Aufmerksamkeit
Nehmen wir den Intellektuellen als Berufsbezeichnung, so muss sich seine politische Ökonomie nach der Aufmerksamkeit richten, welche mit der Arbeit erzielt werden kann. In einer „Medienlandschaft“, die sich insgesamt nach rechts bewegt oder sich in „heller Auflösung“ befindet, und in einem sich vulgarisierenden Betrieb des Intellektuellen, ist das Spiel mit dem Rechten oder auch mit dem performativ Anti-Linken ein Teil der Aufmerksamkeitsökonomie. Der Typ der Stunde ist der nach rechts gewendete Krawallfeuilletonist. Grob gesagt: Rechtes verkauft sich besser als linkes, aber am besten verkauft sich Ex-Linkes auf dem Weg nach rechts. Seine Wanderung von links nach rechts brachte, nur als Beispiel, Michel Onfray den ersten Platz im Ranking französischer Intellektueller ein, was die Häufigkeit von Zitaten, Auftritten und Verkäufen anbelangt.
Jede intellektuelle, politische Tätigkeit bedarf eines Betriebes und eines Milieus. Wenn ein solcher Betrieb eingestellt wird oder ein Milieu austrocknet, fühlt man sich vertrieben, missverstanden, alleingelassen. Die ökonomische Erpressung der Intellektuellen ist leicht beschrieben: Verstummen oder nach rechts gehen. Die bürgerlichen Leitmedien gehen dabei wacker voran.
8. These: Verschwörung, Strategie, Aktion
Der Primat des Politischen führte zu einer Fetischisierung der Macht. Offensichtlich gibt es Menschen, für die die große abstrakte Welterzählung vor allem der Legitimation von Strategie und politischer Aktion dient. So wie wir Menschen kennen, die ihre Fähigkeiten in den Dienst jeder Regierung stellen, so lange sie nur Macht verkörpert, können wir uns umgekehrt auch Intellektuelle vorstellen, die ihre Definitions- und Legitimationskraft in den Dienst der Macht stellen, die am meisten dafür geeignet scheint.
Die Paranoia, die Leute wie Mahler und Rabehl als Linke entwickelten, wird ihnen von rechts als Gesinnung abgekauft. Es ist eine soziale Krankheit, die Welt nicht in ihrer politischen Dimension zu sehen; es ist eine subjektive Krankheit, die Welt nur in ihrer politischen Dimension zu sehen. Bei Konvertiten wie Rabehl, Mahler oder Elsässer sehen wir diese Krankheit sozusagen im Endstadium. Das Politische ist ihnen zum Suchtmittel geworden. Ihre Faschisierung ist zugleich Entzugserscheinung und Substitionstherapie.
9. These: Die katastrophische oder apokalyptische Wende
In der europäischen Geschichte waren Wanderungsbewegungen der Intellektuellen und Künstler von links nach rechts oft verbunden mit einem kommenden fundamentalen Krisenereignis. Das Modell wird dafür immer die Wandlung der Intellektuellen vom linken Pazifismus zur Kriegsbegeisterung am Vorabend des Ersten Weltkriegs herhalten müssen. Denn es war offensichtlich, dass die meisten von ihnen diese Wandlung aus freien Stücken und tiefster innerer Überzeugung vollzogen. Die Katastrophe der jüngsten Wanderbewegung setzt sich zusammen aus der Krise Europas (und eines europäischen Gedankens für eine kommende transnationale Demokratie), dem „islamistischen Terror“ und der Veränderung der Gesellschaft durch Flüchtlinge und Migration. Die, die gerade noch etwas von Grund auf verändern wollten, scheinen nun berufen, etwas noch fundamentaler verteidigen zu müssen. Es ist, vielleicht, das Fundament, auf dem sie ihr Biographie-Schloss errichtet haben. Und so wie man einem Arbeiter die Furcht vor einer Konkurrenz durch die Fremden einreden konnte, so wie man verunsicherten Männern Furcht vor Frauen und vor Schwulen einreden kann, so konnten sich offensichtlich eine Reihe von Intellektuellen eine Angst vor dem Verlust ihrer kulturellen Ressourcen und ihrer Bühnen einreden. Sie gehen nach rechts nicht nur, weil es die Linke für die Rabehls dieser Welt nicht mehr gibt, sondern auch aus Sorge um ihren Status. Nicolas Sarkozy erkannte damals, im Jahr 2007, nur zu gut die Gunst der Stunde: Während sich seine Konkurrentin Ségolène Royale mit basisdemokratischen und populistischen Gesten ihrer „Wurzeln im Volk“ versichern wollte, köderte er die Intellektuellen mit der Aussicht auf ein neues Bündnis von politischer und intellektueller Elite. Man dankte es ihm. Die erwachsene Linke geht, vielleicht radikaler denn je, auf Distanz zur politischen Macht; die neue Rechte dagegen sucht eine neue Funktion in ihr. Nicht nur politische Rhetorik und Aktion, nicht nur die klare Welterzählung und das ideologische Über-Ich, auch das Verhältnis der Intellektuellen zur Macht hat den Charakter einer Droge.
Bemerkenswerterweise docken alle Konvertiten ganz besonders an der „Überfremdung“ an; auch Horst Mahler, der Prophet der Konvertiten, begann seinen Weg nach rechts mit Bemerkungen wie der von den Deutschen als „Minderheit im eigenen Land“. Die Nation, das Volk und schließlich die „Rasse“ werden von Menschen als Leitmotive entdeckt, die am Anfang ihrer Diskurs-Karriere gerade alles dies zu überwinden hofften. Auch Bernd Rabehl, einst ein führender Kopf des SDS, warnte in seiner berüchtigten „Danubia“-Rede in München-Bogenhause vor der „Überfremdung“ und übernahm wie selbstverständlich das rechte Mem von der „Auschwitz-Keule“.
Das Programm der Konvertiten besteht aus einer extremen Form der Komplexitätsreduzierung. Im Wesentlichen sagen sie alle dasselbe. Das, was ihre Väter und Großväter sagten, als sie Adolf Hitler und dem deutschen Reich die Treue schworen. Sie sind die ausgesprochen traurigen Bilder einer fundamental gescheiterten Befreiungsgeschichte.
Aber sie sind auch, das ist die frohe Botschaft, notwendiger Bestandteil einer Selbsvergewisserungsgeschichte der Linken. Wir haben sie nicht verloren, die Konvertiten, wir sind besser dran ohne sie.
Georg Seeßlen
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11. Mai 2018 um 12:27 Uhr
Man hat es hier mit einem geschichtlichen Moment zu tun; ich kann nur die Dynamik des Vorganges beschauen und kopfnickend meiner eigenen These zustimmen, nicht jedoch sagen, worauf es genuin beruht. Die Schneisen in die Rechte wurden hier ja bruchstückhaft aufgezeigt und ich bin sicher, es ließe sich noch mehr finden. Die Ironie ist, dass gerade diejenigen, die sonst verächtlich von der „deutschen Linken“ oder vom „Linksdeutschen“ gesprochen haben, und damit das Fortwähren einer wie auch immer gearteten „deutschen Ideologie“ innerhalb der Linken postuliert und sich selbst scharf davon abgegrenzt haben, heute die ehesten Wanderer nach Rechts und damit notwendigerweise auf dem Weg zur (ob nun „partiellen“ oder vollkommenen) Verteidigung von Nation und Kultur sind. Die Kritik am linken Lager mag einen Kern haben, sofern man denn findet, dass deutsches schlecht ist, doch ich werde sie nie wieder so sehen können wie bisher, denn jegliche Linken-Kritik führt heutzutage nicht etwa in neue theoretische Höhen (oder Tiefen) sondern konsequent in die Rechte. Gegenläufiges ist mir nicht bekannt. Marx hat inzwischen einen beträchtlichen Bart; Beweis genug dafür ist, dass man seinen 200 Geburtstag anerkennend feiert, was Indiz dafür ist, dass von ihm keine Gefahren für die Ordnung mehr ausgehen und man sich beruhigt seinen verstaubenden Thesen widmen, einiges bejahen und anderes verwerfen kann; eine Weiterentwicklung seiner Thesen steht demnach wohl nicht in Aussicht. Ohne den großen Übervater einer kohärenten und dogmatischen linken Ideologie, die die einzelnen Bestrebungen und Momente in sich vereint, in eine neue Bedeutung überführt und hierarchisiert, wird linkes Denken und Handeln diffus, hängt sich an Nebenkriegsschauplätzen auf oder zersplittert ganz und gar in partikuläre „Kämpfe“ einzelner Gruppen, ohne jedoch einen die konkreten Forderungen übersteigenden Gesamtzusammenhang anzubieten oder aufzustellen. Die (post-)moderne Linke ist damit mindestens intellektuell unbefriedigend und dogmatisch unterfordernd; die Neue Rechte mag ähnlich diffus sein, zumal sie im Kern nicht intellektuell oder auch nur besonders stringent philosophisch ist, aber sie hat das Moment der Grenzüberschreitung und des Protestes auf ihrer Seite, was auf viele Menschen dann doch anziehend wirkt. Es ist kaum nachzuzeichnen – doch es wirkt im Moment so, als würde die Rechte auf voller Breite siegen. Das bedeutet nicht, dass der Faschismus wiederkehrt – es bedeutet allerdings, dass er wieder näher rückt und wieder am Rand steht, anstatt jenseits des Randes. Doch den Sieg werden die (National-)Konservativen einfahren, solange sie sich in gewissen Punkten rechtsradikaler Themen und Forderungen bedienen.