Autor-Regisseurin Kelly Reichardt macht es einem nicht leicht. Ihre Filme, zuletzt „Night Moves“ (2013), wirken in der Erzählhaltung stets distanziert, dabei achtsam, nachdenklich. Immer fordert sie vom Zuschauer ein Höchstmaß an Mitdenken und -fühlen.
So auch hier. Dabei ist ihr neuer Film so zugänglich, wie es keiner vorher war. Was nicht heißt, dass er oberflächlicher sei. Der scheinbar einfachere Zugang ergibt sich daraus, dass sie dieses Mal mit SchauspielerInnen gearbeitet hat, die derart intensiv anmuten, eine so starke Präsenz haben, dass ein „Draußen-Bleiben“ schlichtweg unmöglich ist.
Geboten werden drei Episoden, die lose miteinander verwoben, aber nicht eng miteinander verbunden sind. Wie stets bei Reichardt sind Alltagsbeobachtungen, Kleinigkeiten, Nebensächlichkeiten wichtiger als eine ausgefeilte Story voller Dreh- und Angelpunkte.
Erst mal ist da der Mief einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Colorado. Und der bestimmt Tun und Lassen aller Figuren. Da ist zum Beispiel die Anwältin Laura (Laura Dern). Sie schlägt sich wacker mit ihrem Klienten Fuller (Jared Harris) herum. Doch der dreht durch und wird zum Schwerverbrecher. War Laura aufmerksam genug? Sie selbst ist nämlich schwer beschäftigt, mit einem Flirt mit Ryan (James Le Gros). Ein Flirt, der längst zur Affäre geworden ist. Dabei liebt Ryan Gina (Michelle Williams). Das Paar baut trotz seiner Eskapaden aufeinander und sogar ein Haus. Was Tochter Patty (Ashlie Atkinson), schwer mit sich und mit ihrer Pubertät beschäftigt, natürlich nicht weiter kratzt. Dann sind da auch noch Beth (Kristen Stewart) und Jamie (Lily Gladstone), die eine besondere Freundschaft versuchen …
Ein Triptychon der Tristesse tut sich auf. Als Nicht-US-Amerikaner in Europa fragt man sich erstaunt, ob der Film, der auf literarischen Vorlagen basiert, so etwas wie eine Studie der Gemütslage jenes Landes ist, in dem ein Mann vom Typ Bauernfänger zum Präsidenten gewählt werden konnte. Sicher lag das nicht in der Absicht von Kelly Reichardt. Offen jedoch zeigt sich ihr Ziel, Realität zu spiegeln. So musste sie zwangsläufig eine Studie zur geistigen Schieflage in „Gottes eigenem Land“ erstellen. Interessant daran: wesentlich ist etwas, dass wir auch hier erleben. Die Protagonisten können kaum mehr miteinander reden, hören sich nicht wirklich zu, verstehen einander kaum. Die Sprachlosigkeit der Bürger findet in diesem Film überaus beredten Ausdruck. Eine Sprachlosigkeit, die fatale Folgen zeitigen kann.
Kelly Reichardt widmet sich Menschen, denen das Leben alles andere als einen roten Teppich ausrollt. Ohne Pathos, ganz leise, hält sie dabei ein Plädoyer für Vernunft im menschliches Miteinander, für Bildung als Voraussetzung aller Vernunft, für Empathie.
Bild: Peripher
Certain Women, von Kelly Reichardt (USA 2016)
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