Kaum jemand kennt ihn noch, weder in seiner Heimat, noch anderswo, den jüdisch-rumänischen Dichter Max Blecher (1909 – 1938). Zwar wurden in den letzten Jahren einige Werken von ihm und über ihn veröffentlicht – doch von wirklich breiter Wirkung war das nicht. Man wünscht, dass diesem Film – nach einer seiner Erzählungen – einige Wirkung vergönnt sei. max Blecher hat es verdient, der Film nicht minder.
Der Film beleuchtet das Leben eines jungen Mannes in einem Sanatorium. Die Hauptfigur der Erzählung, Emanuel (Lucian Teodor Rus), leidet, wie Blecher selbst, an Knochentuberkulose. Das Kurhaus mit seinen vielen Sälen, Arzträumen, Patientenzimmern und schier endlosen Gängen wirkt wie ein Labyrinth zwischen Himmel und Hölle. Die gekachelten Böden scheinen direkt ins Jenseits zu führen. Nur wenige der hier nach Hilfe Suchenden laufen über diese Wege. Meist über lange Zeit in Gips eingepackt und zur Bewegungslosigkeit verdammt, werden sie vom Personal hierhin und dorthin gerollt. Im fahrbaren Betten geht es um Essen, zur Behandlung, und auch mal zu einem Rendezvous. Als Zuschauer fühlt man sich den Gequälten erstaunlich nah. Die Strenge der Erzählung und der Bilder, der Inhaltsreichtum der Dialoge, das exzellente Schauspiel faszinieren.
Radu Jude gehört zu den erfolgreichsten Filmregisseuren Rumäniens. Viele wichtige Preise hat er national und international bekommen. Sein bisher jüngster abendfüllender Spielfilm wurde im letzten August auf dem Internationalen Filmfestival in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury geehrt, der wichtigsten Auszeichnung nach dem Goldenen Leoparden. Die Jury tat gut daran. Denn die erfrischend unkonventionelle Erzählweise, die im besten Sinne eigenwillige Bildsprache, verdienen höchste Anerkennung.
Der Inhalt lässt sicher viele schnell an Thomas Manns „Zauberberg“ denken. Doch das trifft nicht. Denn anders als dort, wabert hier nichts Mythisches, breitet sich keine düstere Melancholie aus. Vielmehr liegt über allem eine erstaunliche Gelassenheit, ja, oft sogar Frohsinn. Denn die Siechenden begegnen ihrem Dasein vor allem mit Humor, mit Willenskraft, mit Charakterstärke. Sie welken nicht dahin. Sie stemmen sich in das, was sie an Leben haben, voller Lust. Dies zeigend, beleuchtet der Film, auch die „Krankheit“ außerhalb des Sanatoriums, das Dahinsiechen des Landes Rumänien in faschistische Barbarei. Der Kampf gegen den Untergang bleibt somit kein privater. Es ist ein gesellschaftlicher. Und es ist einer, der ans Heute denken lässt.
Mex Blecher ist auch dadurch präsent, weil einige Zitate aus seinen Werken wie Zwischentitel eingeblendet werden. Und, natürlich, durch die Hauptfigur. Man erlebt sein alter Ego Emanuel als außerordentliche Persönlichkeit, gesegnet mit handfestem Selbstbewusstsein, gern scharfe Ironie wie eine Waffe gegen alle Unbill nutzend. Es ist staunenswert, wie es Hauptdarsteller Lucian Teodor Rus gelingt, den Charakter zu beleuchten. Die meiste Zeit liegt er. Die Kamera kommt ihm nur selten zu nah, bleibt meist in einer gewissen Distanz, betont damit das Gefangensein im Gips, ohne den Emanuels Körper wegen der kranken Knochen in sich zusammenfallen würde. Lucian Teodor Rus arbeitet mit vielen Klangfarben in seiner Stimme und insbesondere mit seinen faszinierend aussagereichen Augen. Er offenbart damit einen Menschen, der nicht aufgibt, an das Gute zu glauben. Als Zuschauer weiß man, dass er irrt. Denn der Ausgang seiner Geschichte und der Fortgang der Historie sind bekannt: Er muss sterben. Rumänen wird zu einem ultranationalen Staat, dessen Ende erst durch den Horror des Zweiten Weltkriegs herbei geführt werden wird. Was der Film nicht marktschreierisch ausstellt. Kleine Bemerkungen in den Dialogen und Randbeobachtungen offenbaren die politische Entwicklung, zeigen die Zunahme von Fremdenhass, Judenfeindlichkeit, das Vergehen aller Humanität im Geschrei der rechten Ideologie. Während sich all das vollzieht, passiert Erstaunliches: Emanuel, noch keine 30, verliebt sich. Und seine Liebe wird erwidert. – Wie davon erzählt wird, wie die Seligkeit im siebten Himmel beschworen wird, ohne Klischees zu bemühen, fern von Sentimentalität, bar jeglichen falschen Tons, das ist beglückend. Man verlässt das Kino berauscht.
Peter Claus
Bilder: Real Fiction
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