Schmuddelarkadien
„Die können Schutzgeld nehmen, die Mieten hochtreiben und alles“. Die beiden Gäste an dem runden Tisch vor der grünen Wandbank reden sich in Rage. Der Hagere mit dem straffen Weißhaarschopf steht im grauen Anzug davor, sein pummeliger Nachbar schaut zu ihm auf. Seit am Tresen ein Zettel hängt, dass die espressolounge wegen der „überzogenen Forderungen“ des Vermieters schließen muss, quillt der Zorn über den Niedergang des Kiezes aus allen Gesprächen.
Richtig schön ist das kleine Kreuzberger Café mit den großen Fenstern zur Bergmannstraße nicht. Abgesessene Sofas, verschrammte Stühle, wacklige Holztische. Seine Insassen spielen dort Stickluft-Bohème, wirken aber wie Protoprekäre, die ihr Zeitungsabo sparen. Jetzt dämmert allen, dass das Schmuddelarkadien tatsächlich das ist, was die Cafè-Besitzerin händeringend sucht: ein Ort, „wo sich Menschen treffen können“.
„Weißt Du irgendwas?“, fragt der Zopfträger, der immer demonstrativ ein Buch von Handke oder Hessel vor sich legt, dann aber doch lieber Gäste agitiert, den introvertierten Bouquinisten neben sich. Der schüttelt ratlos den Kopf. „Was liest Du heute?“, fragt er zurück. „Klassiker. 18/19. War ‘ne spannende Zeit“. Am Nebentisch summt „Assange“, ein altersloser Typ mit weißem Bürstenhaarschnitt und Nerdbrille mit geschlossenen Augen unter seinem Kopfhörer. Der Bürstenhändler aus der Heimstraße brütet über einem Kreuzworträtsel.
„Ich wünsch Euch was“, flötet die gesträhnte Dame dem Mann an der Kasse, als sie die kleine Reinigung neben der espressolounge verlässt, „wir bleiben uns treu“. Das frisch gechlorte Jackett in Plastikfolie flattert im eisigen Dezemberwind. Ihr Wort in des Hausbesitzers Weichspülgang. Der letzte Laden, der auf dem Boulevard der Touristen noch Alltagsdienstleistungen statt Batikschals, Olivenöl und Ampelmännchen anbietet, ist sicher als nächster dran.
Ingo Arend
taz | 27-12-2016
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