Im Mai 1946, vor siebzig Jahren, wurde die DEFA gegründet, die erste große deutsche Filmfirma nach dem Zweiten Weltkrieg. DEFA – das war die Abkürzung für Deutsche Film-AG. Der Schauspieler Hans Klering, einer der ersten Lizenzträger, interpretierte das Kürzel auch pathetisch mit „Diene ehrlich friedlichem Aufbau“. Später hieß es dann auch mal: „Dürre Ernte für Amor“, das war in den fünfziger Jahren, als die DEFA fast gänzlich in den Dienst politischer Propaganda genommen zu werden drohte und der Publikumsfilm, mit Liebe und so, vorübergehend am Verschwinden war.
Die DEFA verstand sich zunächst als gesamtdeutsches Unternehmen, aus München etwa schickte der Kabarettist Werner Finck den Gruß: „Ein ferner Wink / von Werner Finck / damit das Ding / Euch wohl geling.“ Ganz so leichtfüßig ging es, als die DEFA zur einzigen Filmfabrik der DDR avancierte, dann leider nicht mehr zu. Wobei die überlieferten Anekdoten durchaus darüber Auskunft geben, dass die Studios keineswegs nur als schnöder Arbeitsort galten, sondern als pulsierendes Lebenszentrum. In den DEFA-Studios entstanden mehr als 5.000 Spiel-, Dokumentar-, populärwissenschaftliche und Trickfilme, ein gewaltiges Konvolut. Sie wissen alle, dass dieses Erbe in der Zeit nach dem Mauerfall zersplittert zu werden drohte; finanzkräftige Filmhändler hatten sich die Perlen schon herausgepickt. Doch es gab Künstler und auch Politiker, die eine solche Zersplitterung ablehnten. So wurde, nach langen Mühen, 1998 die DEFA-Stiftung gegründet, die sich seither der Pflege und Veröffentlichung dieses Erbes widmet. Eine Aufgabe, die von unserem Team und all unseren Partnern, ich nenne in erster Linie Progress, Icestorm, die Stiftung Deutsche Kinemathek und die DEFA Film Library an der University of Massachusetts, mit großer Leidenschaft betrieben wird.
In der DEFA-Geschichte gab es, wie in jeder Kinematographie dieser Welt, Höhen und Tiefen. Manch schreckliche Filme wurden gedreht – und viele sehr gute; es gab die graue Masse, aber auch das ästhetisch anspruchsvolle Angebot, es gab vielfältige Verbindungslinien zum Weltkino und, gelegentlich, auch mehr als nur einen Hauch Provinz. Das DEFA-Erbe in seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit spiegelt immer auch die Geschichte jener Zeit, in der es entstand.
In der DEFA-Stiftung behandeln wir den Filmstock als Gesamtheit; er ist unteilbar: ein Zeitdokument mit unzähligen Facetten. Filme, die zur politischen, ästhetischen, ethischen, sozialen und soziologischen Spurensuche einladen. Viele DEFA-Filme versuchten, menschliche Werte, die menschliche Würde zu stärken. Manche leisteten einen leisen Widerstand: nicht, indem sie zum Sturz des Systems aufforderten, daran wurde nicht gedacht, sondern indem sie an der Utopie, der Hoffnung, dem Traum, vielleicht auch der Illusion einer gerechten Gesellschaft festhielten – teils in heftiger Reibung mit der realpolitischen Praxis. Gute DEFA-Filme dienten den Zuschauern, für die sie gemacht waren, als emotionaler Schutzraum. Die in ihnen vertretenen Werte – Humanität, Solidarität, Zivilcourage, das Bewahren des Individuellen, die Ablehnung von Krieg und Rassenhass, gerade nach den deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts – sollen uns heute und in Zukunft wichtig sein.
Kunst verbindet Zeiten und Generationen. Zu den drängenden Aufgaben der DEFA-Stiftung gehört also, die „alten“ Filme immer wieder neu ans Publikum zu bringen – oder es zumindest zu versuchen. Nun unterscheiden sich die Rezeptionsgewohnheiten der jüngeren Generation ja grundlegend von denen der Eltern und Großeltern. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen in vielen Bereichen die Bodenhaftung zu sich selbst und ihrer Vergangenheit zu verlieren drohen. Das Heute wird zum Nonplusultra erklärt, das Gestern interessiert kaum. In einer von Konsum und Kommerz bestimmten Welt sind Überlieferungen und Traditionen oft hinderlich. Wen interessiert eine abgeschlossene Vergangenheit, wenn am Horizont eine imaginäre Zukunft leuchtet, und sei dieses Leuchten noch so trügerisch? Im Zeitalter der Eventisierung, einer Multi-Optionsgesellschaft, in der viele vor allem ihren Spaß haben, sich von möglichst vielen Angeboten überraschen lassen wollen, kann es durchaus zur Sisyphusaufgabe werden, Filmgeschichte zu vermitteln.
Ich bin mir sicher, dass wir bei unserem Nachdenken über eine Strategie der Vermittlung deutscher, auch DEFA-Filmgeschichte ans jüngere Publikum noch ganz am Anfang sind. Wir stehen in den Startlöchern, vielleicht sogar noch davor. Denn wir müssen ja überhaupt erst einmal die Voraussetzung schaffen, um unseren Filmen eine Zukunft jenseits des Archivs zu ermöglichen. Diese Grundvoraussetzung, wir wissen es alle, heißt: den Schritt ins digitale Zeitalter zu gehen. Halten wir kein digitales Material vor, wird das Filmerbe auf den Leinwänden unsichtbar.
In den letzten Monaten gab es vielerlei Mühen, die Digitalisierungsoffensive umfassend in Gang zu bringen. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), die Filmwirtschaft und die Bundesländer sollen gemeinsam zehn Jahre lang jeweils zehn Millionen Euro für die Digitalisierung des Filmerbes zur Verfügung stellen, so ist der Plan. Die Verhandlungen laufen, leider etwas stockend, aber die Zeit drängt. Schon jetzt ist die DEFA-Stiftung sowohl mit dem BKM, der Filmförderungsanstalt FFA als auch mit einzelnen ostdeutschen Bundesländern in regem Kontakt. Insgesamt erhalten wir jährlich rund 500.000 Euro Fördermittel, dafür herzlichen Dank. Im letzten und auch in diesem Jahr gelang es uns, jeweils rund sechzig lange und kurze DEFA-Filme aller Gattungen und Genres zu digitalisieren.
Sehr wichtig ist uns, dass alle digital bearbeiteten Filme auch in die Öffentlichkeit kommen. Die Digitalisierung nicht als Selbstzweck, sondern um aktiv zu arbeiten. So freuten wir uns zum 70. DEFA-Geburtstag über mehr als hundert Fernsehausstrahlungen, vor allem im mdr, aber auch auf Arte und 3sat. An den 70. Geburtstag erinnerten wir auf nationalen und internationalen Festivals, die uns die Möglichkeit eröffneten, in Retrospektiven auf uns aufmerksam zu machen: Ich nenne hier nur die Berlinale mit einer Rückschau auf das Jahr 1966 und einer Präsentation der restaurierten Fassung von Heiner Carows Film DIE RUSSEN KOMMEN. Ende November beginnt eine DEFA-Retrospektive in Tokio und anderen japanischen Städten, insgesamt 24 Abende, ein tolles Programm.
Die gemeinsam mit Icestorm und anderen Partnern veröffentlichten DVDs öffnen unseren Blick dafür, dass der DEFA-Film kein homogener Block war und ist, sondern ein lebendiger Organismus. Da führt der Weg von Iris Gusners munteren Frauenfiguren der 80er Jahre, ALLE MEINE MÄDCHEN, zurück zum legendären FRÄULEIN VON SCUDERI, auch einer eigenwilligen Dame, gespielt von Henny Porten, mit der die DEFA sogar noch einen Star der Stummfilmzeit an sich binden konnte. Jürgen Böttchers Ofenbauer, Rangierer und Wäscherinnen korrespondieren auf höchst merkwürdige Weise mit den Models aus der SPIELBANK-AFFÄRE, einem DEFA-Unterhaltungsfilm der 50er Jahre, der den Westen in so leuchtenden Farben zeigte, dass er in der DDR nur in Schwarzweiß laufen durfte. In den kommenden Jahren werden wir die bisher unveröffentlichten Filme von Herrmann Zschoche, Helmut Dziuba und Ralf Kirsten auf DVD herausbringen. Zur Berlinale starten wir eine DVD-Reihe mit Spiel- und Dokumentarfilmen über Berlin; eine Box mit dem Kino-Gesamtwerk von Konrad Wolf ist in Vorbereitung.
Indem wir diese Filme wieder zugänglich machen, erinnern wir auch an deren Regisseure, Autoren, Kameraleute, an die Darstellerinnen und Darsteller. Unser Anspruch ist, uns schnelllebigen Zeiten entgegen zu stemmen und ein Vergessen nicht zuzulassen. Oft sind diese Erinnerungen ja auch mit Abschieden verbunden. Abschied von Rolf Losansky, dessen Kinderfilme, DIE SUCHE NACH DEM WUNDERBUNTEN VÖGELCHEN oder MORITZ IN DER LITFASSÄULE, unsere Kindheit und Jugend begleiteten. Abschied von Hilmar Thate, dessen gefesselter, mit verbundenen Augen zur Hinrichtung geführter Gefangener im Fall Gleiwitz“ in die deutsche Filmgeschichte einging. Und Abschied von Manfred Krug, der einst aus vollem Herzen sang: „Geh doch mal ins Kino / dort vergeht die Wut / koche mit Liebe, würze mit Bino / hin und wieder tut ein DEFA-Lustspiel gut.“ Das war übrigens in einem Film, der, voll naivem Optimismus, AUF DER SONNENSEITE hieß.
Aus der Rede von Ralf Schenk, Vorstand der DEFA-Stiftung, auf der 16. Preisverleihung der DEFA-Stiftung am 18. November 2016
Bild ganz oben: Spur der Steine | ©DEFA-Stiftung/Klaus D. Schwarz
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Ein Zusammenschnitt von Hannes Linhard.
Die DEFA-Stiftung gibt regelmäßig jungen Menschen die Möglichkeit sich mit dem DEFA-Film und der DEFA-Geschichte kreativ auseinanderzusetzen. So entstehen großartige Projekte, wie die szenische Collage mit dem Titel „Zügiger Tanz“. Dieses eigenständige Projekt realisierte Hannes Linhard im Rahmen seines Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur (FSJK) 2015/2016.
Das Ergebnis ist ein Zusammenschnitt verschiedener DEFA-Klassiker, der thematisch Zug- sowie Tanzszenen zu einer neuen Geschichte vereint. Für die Collage wurden ausschließlich Ausschnitte aus neu digitalisierten DEFA-Filmen der vergangenen Jahre verwendet.
Produktionsjahr: 2016
Mit Ausschnitten aus folgenden DEFA-Spielfilmen:
– Berlin – Ecke Schönhauser…
– Bis dass der Tod euch scheidet
– Coming out
– Der Dritte
– Ein irrer Duft von frischem Heu
– Frauenschicksale
– Der Frühling braucht Zeit
– Der geteilte Himmel
– Das Kaninchen bin ich
– Karla
– Die Legende von Paul und Paula
– Lots Weib
– Die Mörder sind unter uns
– Sieben Sommersprossen
– Spur des Falken
– Spur der Steine
– Der Tangospieler
– Der Untertan
Video und Text: DEFA-Stiftung
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Die Rechte an der gesamte Kinoproduktion der DDR-Filmstudios aus fast fünf Jahrzehnten – das sind rund 950 Spielfilme und Kurzspielfilme, 820 Animationsfilme, 5.800 Dokumentarfilme und Wochenschauen, 4.000 deutschsprachige Synchronisationen ausländischer Filme – hält heute die DEFA-Stiftung.
Seit dem Jahr 1998 sorgt die gemeinnützigen Stiftung dafür, dass der rund 12.000 Produktionen umfassende DEFA-Filmstock als wesentlicher Teil des deutschen Filmerbes erhalten bleibt und so umfänglich wie möglich ausgewertet wird.
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