Ein dunkler Tag
„Es geht mehr ums Überleben als ums Leben“, sagt nach ihrem Rücktritt die Kuratorin der kleinen Canakkale-Biennale. Die Kunstszene in der Türkei gerät Schritt für Schritt unter immer stärkeren Druck. Wird das Land ein geschlossenes Land?
Als Beral Madra vor Kurzem die Lage der Kunst in der Türkei nach dem Putsch beschrieb, sprach sie auch von sich selbst. Anfang des Jahres musste die 74 Jahre alte Doyenne der Istanbuler Kunstszene ihr Galerie-Projekt „Kuad“ wegen des Einbruchs auf dem Kunstmarkt schließen. Wenige Tage später schlug man ihr das letzte Standbein weg. Nach heftigen Angriffen aus der regierenden AK-Partei trat sie vergangene Woche als Kuratorin der 5. Canakkale-Biennale zurück. Ergreift Erdoğans Säuberungsfeldzug nach dem gescheiterten Militärputsch Mitte Juli nun auch den Kunstbetrieb?
Begonnen hatte alles mit einem Mann namens Bülent Turan. Der AKP-Abgeordnete der Stadt Canakkale, einer Universitätsstadt an den Dardanellen im Nordwesten der Türkei, hatte Beral Madra, legendäre Kuratorin der ersten Istanbul-Biennalen 1987 und 1989, bezichtigt, die Putschisten und die prokurdische HDP unterstützt zu haben. In einem Tweet habe sie zudem die nationale Großdemonstration „Demokratie und Märtyrer“ nach dem Putsch mit NS-Aufzügen in Deutschland in den Dreißigerjahren verglichen. „Die Stadt sollte besser ehrenwerte Künstler mit dieser Aufgabe betrauen“, forderte Turan öffentlich von Bürgermeister Ülgür Gökhan.
Das liberale Oberhaupt einer der letzten, von der oppositionellen CHP regierten Städte in der Türkei, ist der Regierung schon lange ein Dorn im Auge. 250 000 Euro schießt die 100 000 Einwohner zählende Gemeinde bei jeder Biennale zu. „War – Krieg“ hieß das Motto der Biennale vor zwei Jahren. In diesem Jahr hatte Kuratorin Madra 42 Positionen zum Thema „Homeland – Heimat“ zeigen wollen. Doch auch Madras Rücktritt nützte nichts. Um die eingeladenen Künstler nicht in eine politische Schlammschlacht zu ziehen, zog die Biennale-Stiftung Cabinin die Notbremse. „Tieftraurig über eine politische Agenda, in der Kunst keinen Platz“ habe, sagte sie die Biennale ab.
Der Vorgang spielte sich nach einem schon bei den Gezi-Protesten 2013 erprobten Muster ab. Recep Tayyip Erdoğan, damals noch Ministerpräsident, hatte den mit den Protesten liebäugelnden Schauspieler Mehmet Ali Alabora öffentlich einen „Capulcu“, einen Marodeur, genannt. Der Schauspieler musste sich daraufhin eines Shitstorms und tätlicher Angriffe erwehren. Die Wiederholung der Taktik in Canakkale ist ein Zeichen der Entmutigung für die unabhängigen Kunst-Initiativen in der Provinz, die für das Land womöglich wichtiger sind als die mondäne Biennale in Istanbul.
Eine „Plattform für Demokratie“ nennt Bürgermeister Göhkan „seine“ Biennale nicht umsonst. Wie wenige andere Biennalen hat sie ihre Basis in dem Ort, in dem sie veranstaltet wird. Ins Leben gerufen wurde sie von nichtkommerziellen Frauen-, Jugend- und Behindertenorganisationen. Zwei Jahre lang erarbeiten diese zusammen mit den Kuratoren das Programm. Gökhan hält die zeitgenössische Kunst für „unglaublich wichtig, damit die Menschen fähig sind, das Prinzip des demokratischen Streits zu internalisieren“.
Zugegeben: Noch ist kein bildender Künstler in der Türkei inhaftiert, noch ist keine Kunst-Institution geschlossen worden. Immerhin verloren Kunstprofessoren ihre Jobs, die sich für eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit den Kurden eingesetzt hatten.
Beral Madra ist sich sicher: „Die Zeugnisse von 200 Jahren moderner und postmoderner Kunstproduktion können nicht von einem auf den anderen Tag verschwinden.“ Der Streit um die kleine Biennale zeigt jedoch, dass der Druck auf die türkische Kunstszene zunimmt. Meist, wie im Fall Canakkale, orchestriert in einer Mischung aus konservativer Stimmungsmache und behördlicher Gängelei.
Zwar legen die Initiatoren der Sinopale, einer weiteren basisdemokratischen Kunstbiennale, diesmal am Schwarzen Meer, Wert auf die Feststellung, dass sie die internationale Ausstellung ihres Events, die sie Anfang August, wenige Tage nach dem gescheiterten Militärputsch, hatten eröffnen wollen, nur auf das nächste Jahr „verschoben“ haben. Die Formel von dem „sensiblen Prozess“, in dem sich das Land befinde, belegt aber, dass sie sich der Gefahren für ihre Arbeit bewusst sind.
Schon vor dem Putsch hatte das Kunstprogramm der Akbank auf Istanbuls Flaniermeile Istiklal Caddesi Anfang März eine „Peace“ betitelte Ausstellung mit Hinweis auf die „heikle Lage“ in den kurdischen Gebieten ohne Rücksprache mit den Kuratoren abgesagt. Nach dem Putsch cancelten die kleine Kunstmesse ArtInternational und das Jazzfestival Istanbul ihre Events.
Die Liste der Fälle von Zensur und Vandalismus, die die von der Soziologin Asena Günal mitbegründete NGO Siyah Bant (Black Tape) dokumentiert, war schon vorher beachtlich, nach dem Putsch explodierte sie förmlich. Was die unduldsame Stimmung im Lande für die Design-Biennale der Istanbuler Stiftung Kunst und Kultur Ende Oktober und die traditionelle Kunstmesse Contemporary Istanbul des Touristik-Unternehmers Ali Güreli im November bedeutet, wird sich zeigen.
Immerhin hat der Fall Madra die verfeindeten Flügel der türkischen Kunstcommunity einander wieder nähergebracht. Madra wird nicht nur von dem frankophilen Soziologen Ali Akay, dem intellektuellen Guru der Szene, verteidigt, sondern auch von dem Kurator Vasif Kortun, ihrem ewigen, 16 Jahre jüngeren Gegenspieler, 2005 ebenfalls Kurator der Istanbul-Biennale und heute Direktor des zu Beginn des Jahres unter ominösen Begleitumständen geschlossenen Salt-Kunsthauses in Beyoğlu (SZ vom 24. Januar). Kortun, der nach dem Putsch die Verhaftung der Gülenisten begrüßte, verurteilte Turans Vorgehen als „schrecklichen Angriff“, sprach von einem „dunklen Tag in der kulturellen Geschichte des Landes“.
Selbst unter den Großindustriellen-Clans, ohne die es in der Türkei keine Kunst gäbe, grassiert die Furcht vor willkürlichen Verhaftungen. Dass man von Bülent Eczacıbaşı, Ömer Koç oder Güler Sabançi bislang noch kein Wort der Solidarität mit der bedrängten Kunstszene gehört hat, hat aber auch damit zu tun, dass sie von den ungeliebten Machthabern durch vielerlei Aufträge profitieren. Einzig Bige Örer, Direktorin der privaten IKSV-Stiftung, die die Istanbul-Biennale organisiert, sprach von Kunst als „wichtiger Form des Widerstands“.
Unter der Hand können manche Künstler der jetzigen Situation freilich etwas abgewinnen. Der übersteigerte Markt, der sich in Gestalt des „Kunstwunders Istanbul“ am Bosporus breitgemacht hatte, so orakeln sie, könnte wieder auf Normalmaß zurückgestutzt werden, die Künstler könnten sich wieder auf das Wesentliche besinnen: Kunst.
Für Osman Kavala wäre das eine Katastrophe. Der Unternehmer und Chef der Anadolu-Kültür- Stiftung, die den Projektraum Depo im Stadtteil Galata unterhält, ist am Bosporus selbst immer wieder als Liberaler unter Beschuss. In Berlin beschwor er kürzlich deutsche Künstler und Kulturinstitutionen, die kulturellen Kontakte zu seiner Heimat nicht zu kappen.
„Die Türkei“, so sein Argument, „darf kein geschlossenes Land werden“. Genau daran arbeitet die Regierung. In der vorigen Woche beschloss auf ihren Druck der Rat der staatlichen Theater, ab der neuen Saison Anfang Oktober dürften auf türkischen Bühnen nur noch Stücke türkischer Autoren aufgeführt werden: Für Shakespeare, Brecht und Dario Fo das vorläufige Aus am Bosporus.
Ingo Arend
zuerst erschienen in SZ | 16. September 2016
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