Was tun, wenn klar ist, dass das mit großer Sehnsucht und Liebe erwartete Kind im Bauch der werdenden Mutter nicht gesund ist, dass es das Down-Syndrom hat, bekannt auch als Trisomie 21? – Das ist die Ausgangsfrage dieses oft dokumentarisch anmutenden Spielfilms.
Natürlich: Die Information ist ein Schock für die Betroffenen. Das sind Astrid (Julia Jentsch) und Markus (Bjarne Mädel). Die Zwei freuen sich auf das Kind. Es ist ihr zweites. Die Welt des Paares ist heil: Astrid arbeitet erfolgreich als Komödiantin, Markus ist ihr Manager. Finanzielle Sorgen kennen sie nicht. Nun also der Schock. er ist existentiell. Das Paar grübelt, wägt ab, informiert sich und entschließt sich für das Kind.
Bis zu diesem Moment zeigen Regisseurin Anne Zohra Berrached und ihr Drehbuchmitautor Carl Gerber angenehm direkt, wie kompliziert das Leben für werdende Eltern in so einer Situation ist. Das wirkt überzeugend, authentisch, nicht ausgedacht. Leider haben sie sich aber entschlossen „noch eins drauf zusetzen“: Bei dem Ungeborenen wird auch ein Herzfehler diagnostiziert. Es ist klar, dass das Kind sehr schnell nach der Geburt mehrerer Operationen über sich ergehen lassen müsste, wobei niemand garantieren kann, dass es diese Eingriffe überlebt. Erst recht kann niemand prognostizieren, wie das Leben für den neuen Erdenbürger dann weitergeht, ob es nicht ein langer, langer Leidensweg werden würde. Astrid und Markus müssen also erneut abwägen, nachdenken, entscheiden. Wobei bald deutlich wird, dass die Last nahezu allein auf Astrid liegt. Obwohl bereits im sechsten Monat schwanger, kann sie auf Grund der Diagnose eine gesetzlich sanktionierte, so genannte Spätabtreibung vornehmen lassen. Sie weiß, dass diese nicht „im Vorübergehen“ geschehen kann. Ganz im Gegenteil. Wenn, dann wird sie ein kleines Menschenkind auf die Welt bringen, tot. Astrid weiß weder ein noch aus. Aber sie fasst einen Entschluss. Mit dem geht sie dann sogar an die Öffentlichkeit.
Der Film hat eindringliche Momente, wenn die Kamera ruhig an Astrids und Markus‘ Seite ist, ihre Sorgen spiegelt, Zweifel, Ängste. Mit kleinsten Mitteln porträtiert Julia Jentsch eine Frau in tiefster Erschütterung. Das ist sehr berührend. Auch Bjarne Mädel setzt auf Sensibilität. Man sieht beiden gern zu, fühlt sich gern an ihrer Seite, würde den von ihnen verkörperten Protagonisten zu gern helfen. Die Schauspieler also packen, ja, sie berühren. Nachhaltig wirken daneben einige Momente um medizinische Vorgänge. Deutlich wird gezeigt, was es heißt, wenn ein Neugeborenes operiert werden muss. Manche Augenblicke sind schwer auszuhalten. Wir dann gar detailliert gezeigt, wie eine Spätabtreibung konkret abläuft, dürften sich wohl einige im Kinosaal die Augen zuhalten. Das ist stark. Der Film auf Dauer ist es nicht. Am Ende verärgert er einen sogar, wenn in einer Radio-Talkshow, in der Astrid zu Gast ist, uns, dem Publikum, noch einmal haarklein so was wie eine Botschaft aufgetischt. Da hat man den Eindruck, man halte uns für blöd.
Schade. Schade erst recht, dass Drehbuch und Regie auf übertriebene Dramatik setzen. Wirklich mutig wäre es gewesen, die Geschichte eines Pro und Contras um einen Schwangerschaftsabbruch wegen Trisomie 21 zu reflektieren. Das Für und Wider um einen möglichen Schwangerschaftsabbruch künstlerisch zu spiegeln, ist alles andere als einfach. Bei den Zuschauern werden moralische und ethische Argumente automatisch von heftigen Gefühlen gebrochen. „Ja“ und „Nein“ sind nicht sofort griffbereit. Da sagt denn auch eine Hebamme: „Da darf keiner drüber urteilen!“ Womit jede Diskussion, jeder produktive Streit, sofort abgewürgt wird. Was dann das plumpe Ende manifestiert.
Die Uraufführung war im Februar bei der Berlinale. Manche sagten sofort voraus, der Film werde einen der Hauptpreise bekommen. Dazu kam es nicht. Vielleicht ging es der Jury wie den Kritikern, die den Film verrissen haben? Es sei nicht verschwiegen: Beim Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern gab es hingegen zwei Jury-Auszeichnungen und dazu den Publikumspreis.
Peter Claus
Bilder: © NEUE VISIONEN Filmverleih GmbH
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