Wie die Berliner Wohnzimmerkinos zu Hipster-Treffs und exklusiven Kommunikationsräumen werden
„A nice place to go with friends“, „charming and local“, „small and cozy“ – was klingt wie Bewertungskategorien einschlägiger Internetportale für Ferienwohnungen meint die Orte, an denen ein junges polyglottes Publikum derzeit vorzugsweise Filme anschaut. Im Sommer auf begrünten Dachterrassen, in Clubs am Wasser, in den Anlagen von „urban gardening“, in aufgegebenen Puffs, Bäckereien, Bars oder anderen angesagten Locations etabliert sich in den größeren Städten eine Kinokultur jenseits der klassischen Lichtspielhäuser. Setzen diese nach wie vor auf immer mehr Technik und Komfort – noch bessere Bild- und Tonqualität, noch bequemere Sitze, dabei noch mehr Personalabbau – wünscht sich der moderne Großstadt-Twen ganz andere „Traumhäuser des Kollektivs“.
Vor allem die sogenannten Hipster verbinden das Filmeschauen nicht mit den klassischen Kinoorten und Kinokonventionen. In saalähnlichen Räumen seine Zeit verbringen, neunzig Minuten und mehr zwangsverpflichtet still und starr sitzen, und dann auch noch offline sein, all dies verspricht wenig Spaß. Dem Hipster geht es auch weniger darum einen bestimmten vorher ausgewählten Film zu sehen, sondern er wünscht sich das Filmerlebnis eher im Zusammenhang einer gemütlichen Party oder eines gemütlichen Beieinandnerhockes. Letzteres spielt sich vorzugsweise auf alten Sofaecken, Sessellandschaften, oder auf wild zusammengetragenem Retro-Mobiliar ab, dabei trinkt man eine der vielen sogenannten Craft-Beer-Sorten, Club Mate oder andere gerade angesagten Getränke. Statt Popcorn gibt es Frisches, Pasta, gerne vegan, ökologisch p.c. und gesund, was nicht heißt, dass es ein striktes Rauchverbot gäbe. Die gesamte Atmosphäre ist entscheidend. Man will einfach chillen, Leute treffen, die man kennt und vielleicht dabei noch andere kennenlernen. Das Rausgehen, das Sich-Zeigen, all dies wird wichtiger als das eigentliche Filmerlebnis. Dabei darf es ab und zu auch klein und schnuckelig werden.
Hauptsache unkonventionell. Vor allem aber will man sich super locker und leger geben – so wie es die scheinbar wild kombinierten Klamotten und die umgeschnallten Jutebeutel suggerieren. Angesichts der vielen mit Vollbärten und altmodischen Brillen versehenen Gesichter fragt man sich, ob hier vielleicht etwas von der Atmosphäre zurückkommt, die das Kino in seinen Anfängen prägte. In den 1910er Jahren glichen diese eher einem Kommunikationsraum als einer an Theaterritualen orientierten Institution. Damals gab es noch keine festen Sitzreihen, keine glitzernden Vorhänge, großartigen Beleuchtungen und Abdunkelungen, keine Einlasskontrollen, Platzanweiserinnen oder Rauchverbote. Vielmehr liefen die Filme in Kneipenräumen mit einfacher Bestuhlung, mit Essen, Trinken, Musik und einem regen Kommen und Gehen.
Für viele der jungen Großstadt-Menschen von heute sind jedenfalls eine bestimmte Form der Ungezwungenheit und die Location selbst die wichtigsten Kategorien, die bestimmen, ob man irgendwo einen Film anschaut oder nicht, ob man damit zu einer bestimmten Szene gehört oder nicht. Denn der Hipster will genauso wie der ambitionierte Cinephile Teil einer wie auch immer gearteten exklusiven Gemeinschaft sein. Er will sich abgrenzen von ästhetischen und geschmacklichen Standarts eben auch des konventionellen Kinobetriebs. Dazu gehört, dass die Filme vorzugsweise im Original laufen und vor allem, dass man hinterher nicht auseinandergeht, sondern der Abend nach dem Film erst richtig beginnt. Musik, Tanz, weiter Drinks genießen und abhängen, all dies gehört hier entscheidend dazu.
Wichtig ist auch die Verknüpfung über die sogenannten sozialen Medien. Man hält mit dem Smartphone permanent Kontakt mit anderen, tauscht sich über die Orte und Filme aus, gibt Tipps und Hinweise, orientiert sich an den Bewertungen bald nur noch englischsprachiger Websites oder Blogs mit ihren häufig uniform formulierten und schnell geschriebenen Meinungsbildern. Gerne postet der Hipster auch ein vorher stundenlang fotografiertes Motiv, vorzugsweise Teller mit Essen oder dergleichen Alltags-Banalitäten mehr. Aber auch Aktivitäten, die direkt mit dem Filmeschauen zusammenhängen, werden über Netzwerke initiiert. Damit wird eine völlig andere Form der Kommunikation und Partizipation normal, aber interessanterweise werden hiermit auch Ausschlußkriterien ermöglicht – so zum Beispiel gibt es durchaus reglementierte E-mail Verteiler, die zumindest für eine kurze Weile eine bestimmte Szene nach außen hin abschotten. Zusammenfassend läßt sich sagen, diese Form des Kinos oder besser des im öffentlichen Raum Filmeschauens, entwickelt sich weg von einem über viele Jahrzehnte herausgebildeten Ritual, hin zu einem Event, welches für Hipster attraktivere Erfahrungen bereit hält. Immer geht es dabei um die Herstellung eines Wir-Gefühls. Offensichtlich verspürt der permanent an seinen Gadgets hängende Existenzbastler letztlich doch eine Vergemeinschaftungssehnsucht, ganz im analogen Hier und Jetzt. Und diese Sehnsucht stillt das Multiplexkino heutiger Tage nicht.
Daniela Kloock
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