„So entsteht eine Egalität der Bilder“
Kuratorin Susanne Pfeffer über die neuen imaginären Bilder, Bill Gates sowie ihre Ideen für die Venedig-Biennale 2017
„Speculations on Anonymous Materials“, „nature after nature“ und „Inhuman“ hießen Ausstellungen, mit denen das Kasseler Fridericianum seit 2013 die Post-Internet-Art reflektiert. „Images“ heißt die neue Schau, mit der Direktorin Susanne Pfeffer mit neun internationalen Positionen zeigt, wie die Kunst den Umbruch der zeitgenössischen Bildkultur reflektiert. Ende Dezember berief Außenminister Steinmeier Pfeffer zur Kuratorin des Deutschen Pavillons auf der Venedig-Biennale 2017.
taz.am wochenende: Susanne Pfeffer, der World-Press-Photo-Wettbewerb vor zwei Jahren endete mit einem Skandal: Jedes fünfte Bild war digital manipuliert. Stimmt der alte Satz, dass die Bilder lügen, also doch?
Susanne Pfeffer: Ich finde es problematisch, Bilder für einen Ausweis von Wahrheit, Authentizität oder Realität halten zu wollen. Bilder, egal ob Kunst oder nicht, sind immer auch Trugbilder und aus einer bestimmten Perspektive aufgenommen. Es gibt immer eine Divergenz zwischen Bild und dargestellter Realität. An der Empörung über den Wettbewerb können sie ablesen, dass die Gesellschaft noch nicht so weit ist: Sie will echte, wahre Bilder.
Ihre jüngste Ausstellung will den Umbruch unserer Bildkultur reflektieren. Was geht da vor sich?
Wir können in Bilder digital eingreifen. Sie lassen sich jederzeit von jedem manipulieren. Man hat sofort Zugriff auf sie. Eine einzige Google-Suche bringt Tausende von Bildern hervor: kunsthistorische Bilder, Privatfotografien, aus historischen Archiven, Nachrichtenfotografien, Ausschnitte von Bildern, bearbeitete Bilder. Alle Bilder stehen gleichwertig nebeneinander. Sie werden ortlos, insofern Bilder, zum Beispiel im Netz, ohne Existenz eines Originals, einer festen Referenz, entstehen. Die ganze Distribution von Bildern hat sich verändert. Eine Folge davon: Die Bildgenese in der Kunst wird immer unwichtiger. All das will die Arbeit „Made in Heaven“ (2004) des britischen Videokünstlers Mark Leckey demonstrieren. In der glänzenden Oberfläche von Jeff Koon s ’ Skulptur „Rabbit“ spiegelt sich nichts weiter als der leere Raum, der ihn umgibt. Der Fotograf mit seiner Kamera, der Bildproduzent, ist nicht zu sehen. Leckey hält es für wichtiger, mit vorhandenen Bildern reflektiert umzugehen, als ständig neue zu machen
Empfinden Sie es als Problem, dass die Bilder heute austauschbar geworden sind?
Es geht darum, sich dessen bewusster zu werden. Darauf will ein Künstler wie der Österreichischer Oliver Laric mit seinem Video „Versions“ (2009) hinaus. Mit dem berühmten iranischen Propagandafoto von den angeblichen Raketentests 2008, das in unterschiedlichsten Variationen in den Nachrichten auftauchte, thematisiert er die Möglichkeiten der Manipulation von Bildern. Aus vier Raketen werden acht und schließlich Dutzende. Irgendwann fragt man sich, welches Bild nun das echte, welches das originale war.
Das Eintauchen in die virtuellen Bilder, etwa bei dem Computerspiel „Second Life“, gehört auch zu dem Umbruch. Der Hype darum scheint jetzt aber wieder abgeflaut …
… weil dieses Eintauchen Teil unseres Alltags geworden ist. Die Grenzen zwischen Realität und Virtualität verschieben sich ja schon, wenn ich mit einer Künstlerin wegen einer Ausstellung skype, parallel aber am Telefon hänge, weil der Kontakt so schlecht ist, das Bild aber am Rechner wahrnehme. Besonders enttäuschend an „Second Life“ finde ich, dass die Leute dort das Gleiche wie in ihrem alltäglichen Leben tun: Häuser kaufen usw. Da fragt man sich doch, was dieser neue imaginäre Raum eigentlich bewirkt. Sind die Menschen in der Lage, etwas Neues zu erfinden, oder reproduzieren sie nur das, was man ihnen vorgibt?
Wie reagieren Künstlerinnen auf den derzeitigen Umbruch der Bildwelten?
Die Malerei hat schon den Angriff durch die Fotografie überstanden. Dennoch ist der aktuelle Bruch epochal. Das wird man aus der historischen Distanz noch deutlicher sehen. Und das Retardierende, Verlangsamende das zahlreiche Arbeiten in unserer Ausstellung haben, zeigt deutlich das Bewusstsein vieler Künstler. Krass, jeder Mensch kann heute jederzeit potentiell Schöpfer von Bildern werden. Die Bedrohung für die Kunst ist offenkundig. Es ist aber die Frage, ob man auch die neuen Chancen erkennt.
Nennen Sie uns ein konstruktives Beispiel?
Zum Beispiel der 2002 verstorbene Künstler Michel Majerus. Er hat schon früh mit Bildprogrammen wie Photoshop gearbeitet. Und er malt keine neuen Motive, sondern vorhandene neu – jedes Bild ein Zitat. In einem seiner Bildensembles, das wir in Kassel zeigen, kann man sehen, wie Majerus visuelle Zitate aus Kunstgeschichte, Game Culture und Cyberspace sammelt und sampelt. Da steht dann eben Super Mario gleichwertig neben Gerhard Richter. Damit entsteht eine vorher nie dagewesene Egalität der Bilder.
Hat Bill Gates sein riesiges Bildarchiv Corbis mit Tausenden historischen Aufnahmen kürzlich deshalb an die chinesische Agentur Visual China Group verkauft, weil sich mit den guten alten Bildern kein Geld mehr verdienen lässt?
Die Tatsache, dass permanent und in dieser Geschwindigkeit Bilder produziert und reproduziert werden können, ordnet diesen Markt – und mit Corbis ging es Gates nie um etwas anderes – vollkommen neu. Doch der Verkauf zeigt zugleich, dass sich auch mit diesen Bildern immer noch viel Geld verdienen lässt.
Ihre Ausstellung will zeigen, dass das imaginäre Potenzial des Bildes die Realität beeinflusst. Was ist mit dieser Formel gemeint?
Das meint, dass dieser virtuelle Raum mein Reales verändert. Und dass das immer alltäglicher wird. Diese Imagination beginnt schon vor dem Bildschirm. Was ich da sehe, ist ja nicht das Reale. Das steckt auch hinter dieser massenhaft gesteigerten Bildproduktion. Die Leute wollen sich ein Bild machen, fragen sich, wie die Welt anders zu denken wäre. Und wenn ich die TV-Serienfigur einer Lehrerin in der Erinnerung für meine eigene Lehrerin halte, wenn ich das Fernsehen oder Internet und das Erlebte nicht mehr auseinanderhalten kann, was bedeutet das für meine Erinnerung, für mein Leben? Das Trugbild ist genauso echt wie jedes andere Bild.
Sie sprechen von „konzentriertem Innehalten“ als Möglichkeit dieser Entwicklung zu begegnen. Ist das ein kulturpessimistischer Warnruf?
Eher ein Plädoyer für Subversion. Künstler wollen dieses Mittel auch als Kritikinstrument nutzen. Die stroboskopartig erhellten Gegenstände in einem Video der amerikanischen Künstlerin Trisha Donnelly oder ein langsam, rhythmisch wiederkehrender Riesentintenfisch in Philippe Parrenos Videoarbeit „Alien Seasons“ (2002) sind schöne Beispiele dafür. Sie wollen einen Moment der Reflexion bewirken.
Realisiert sich heute, wo jeder Bilder beliebig herstellen kann, Joseph Beuy s ’ Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler“?
Beuys hat das eher in dem Sinne von Sein-Leben-selbst-Gestalten gemeint. Aber klar: Die Tools, die heute jedem zur Verfügung stehen, sind faszinierend. Zum Filmen braucht man keine Kamera mehr, dazu reicht ein Handy. Trotzdem ist nicht jeder, der ein Bild machen kann, auch in der Lage, komplex damit umzugehen. Dafür brauchen wir dann doch die Kunst.
Das Bild der Zukunft wird auch im Mittelpunkt Ihrer Arbeit in Venedig stehen?
Über dieses Thema denken Künstlerinnen wie Kuratoren immer nach, wenn sie Kunst machen oder Ausstellungen vorbereiten. Dennoch kann ich mir auch wieder Brüche und das Gegenteil des Vorherigen vorstellen.
Der Deutsche Pavillon in Venedig ist ein schwieriges Gebäude. Was reizt Sie daran?
Ich finde es gut, dass die Architektur des Deutschen Pavillons die deutsche Geschichte nie leugnen lässt.
Was halten Sie von der Wahl von Christine Macel zur Kuratorin der 57. Biennale?
Christine Macel ist eine experimentelle, interessante Kuratorin, die sehr präzise arbeitet. Sie entwickelt ihre Themen extrem aus der Kunst heraus. Ich bin gespannt.
Drückt sich in Ihrer Wahl ein Zurück zur Ästhetik aus? Okwui Enwezors Polit-Biennale „All the Worlds Futures“ im letzten Jahr wurde zwiespältig aufgenommen.
Dass Macel aus der Kunst heraus arbeitet, muss nicht heißen, dass es unpolitisch wird.
INTERVIEW: Ingo Arend
taz vom 27.02.2016
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Susanne Pfeffer
geboren 1973 in Hagen, ist seit 2013 Direktorin des Fridericianums in Kassel. Sie kuratierte zuvor in Bremen, Bozen und Lyon. Von 2007 bis 2012 war sie Chefkuratorin der Kunst-Werke in Berlin. 2017 wird sie den Deutschen Pavillon auf der 57. Biennale von Venedig leiten.
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AUSSTELLUNG
Images
Fridericianum, Kassel
Noch bis zum 1. Mai 2016
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