Pegida680

 

Heiter predigen glaubende Holzköpfe

Das „Volk“ überbietet sich gegenseitig mit Hetzreden und berauscht sich an abstrusen Lügen. Kann es sie auch ernsthaft als wahr befinden?

Eine Frage, die mich, was die „Dumpfbacken“ (Wolfgang Schäuble) von AdF, Pegida und Internet-Hate Speech anbelangt, so umtreibt, ist diese: Glauben die wirklich an den bösartigen Wahnsinn, den sie verbreiten, oder tun die nur so? Lügen sie uns an, lügen sie sich selber an, lügen sie sich untereinander an, wollen sie belogen werden, leben sie schon in einer Lügenwelt, oder was? Immer wieder wird man mit der Nase darauf gestoßen, dass da allerdreisteste Lügengeschichten verbreitet werden, von Flüchtlingen, die angeblich alten deutschen Großmüttern ihre „prall gefüllten“ Einkaufswägen mit den Worten „Merkel zahlt“ entwenden oder „Luxusschuhe“ mit Einkaufsgutscheinen verlangen, über die Abschaffung von „Weihnachtsmärkten“ auf Druck von „Islamisten“ bis zu steigenden Verbrechens- und Vergewaltigungsraten, welche durch Asyl-SoKos festgestellt würden. Diese Lügengeschichten müssen nicht einmal mehr einen Rest von Glaubwürdigkeit haben, um auf den entsprechenden Foren begeistert aufgenommen zu werden. Wer sie zurechtrückt, und sei’s mit der Autorität von Polizei, Justiz und Politik, erntet den nächsten braunen Shit-Storm. Die Überbietungsimpulse betreffen offenbar immer beides, die Gewalt- und Mordphantasien gegenüber allem, was nicht zur eigenen Seite gehört, und die Lügengeschichten gegenüber einem Feind, den es in der schnöden Wirklichkeit gar nicht gibt und den man sich also erst zusammenlügen muss.

Das Kontrafaktische in den Hasspredigten ist so offensichtlich, die meisten der Gerüchte so häufig und „amtlich“ widerlegt, die Konstruktion der Geschichten so durchsichtig, und immer wieder sozusagen voneinander abgeschrieben und immer weiter überdreht, dass sich die Rede davon eigentlich erübrigt. Niemand, nicht einmal der vernageltste Holzkopf, kann so etwas ernsthaft glauben. Und doch scheint es: Ein gutes Drittel der Bevölkerung tut es – mehr oder weniger. Glaubt, will glauben, tut so, als glaubte es, will sich von keiner Lügenpresse, keiner Demokratie, keiner Wirklichkeit den Glauben nehmen lassen: Wir sind das Volk, und da sind die anderen, und die müssen weg, weil die uns, dem Volk schaden. Und da ist jede Erinnerung an die Wirklichkeit genauso „Volksverrat“ wie ein Anflug von Mitleid, Verständnis oder Solidarität.

Dass man sich bei seinen wohligen Hetzritualen nicht um die einfachsten Begriffe von Logik und Anschauung schert (von Anstand wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht mehr reden), dass man sich mit Hetzreden gegenseitig überbietet wie betrunkene Cowboys mit Aufschneidergeschichten, dass man jedes noch so abwegige Gerücht begierig aufnimmt, wenn es nur ins dumpfe völkische Weltbild passt, alles das ist für propagandistische Verblendung und Verschwörungsparanoia ja „normal“. Was nicht „normal“ ist: Wie schnell und weit das in die „Mitte“ geht, wie viel davon sich die Demokratie gefallen lässt, die sich ansonsten gern einmal „wehrhaft“ nennen lassen möchte, wie abgewiegelt am Ende immer wieder alles wird. In ihrer Neujahrsansprache warnt die Kanzlerin vor einer Spaltung der deutschen Gesellschaft. Aber die ist längst vollzogen: Die völkisch-nationalistisch denkende und vor allem „glaubende“ Rechte und die demokratische Zivilgesellschaft können miteinander nicht mehr reden. Es gibt weder eine Bezugsperson oder -institution, noch einen Werte-Begriff und nun eben, nicht einmal mehr eine Wirklichkeit, auf die man dabei Rekurs nehmen könnte. So fremd kann der fremdeste Flüchtling nicht sein wie sich die Segmente der deutschen Gesellschaft mittlerweile gegenseitig sind.

Diese „besorgten Bürger“, verhalten sich, wenn sie beim offensichtlichen Lügen und Denunzieren erwischt werden, wie jene Kinder, bei denen entschieden pädagogisch etwas schiefgelaufen ist: Wenn sie beim Lügen erwischt werden, reagieren sie nicht mit Einsicht und Reue, sondern mit Wut und Verleugnung. Statt ihre Lügen zu gestehen erfinden sie neue, möglicherweise gleich über den, der sie überführt hat. Sind das Leute, die sich an ihrem eigenen Lügengeflecht so berauschen, dass sie irgendwann selber dran glauben, oder sind es im Gegenteil gewiefte Propagandisten und Taktiker, die ziemlich genau wissen, welche Trigger sie betätigen müssen, um bei ihresgleichen höhnische Zustimmung und bei den anderen Entsetzen und Empörung zu ernten? Offenbar passt auch, wenn man genauer hinsieht, das Bild von den „Scharlatanen“ als zynische Verführer und das von kindlich-dummen Verführten nicht. Inhaltliche Blödheit und rhetorische Heimtücke scheinen sich beinahe in jeder einzelnen Dumpfbacke zu entsprechen. Der Inhalt der Lügen mag noch so dumm sein, die Techniken zu ihrer Erzeugung und zu ihrer Verbreitung sind es nicht.

Die Frage, ob die wirklich geglaubt haben, was sie da als „ideologische“ Rechtfertigung von Raub, Mord und Niedertracht verzapft haben, die Geschichten von der Rasse, dem Volk, dem Führer, der Vorsehung und dem Reich usw., die habe ich schon bei den historischen, den „echten“ Nazis nicht wirklich beantworten können. Ein wesentlicher Grund dafür lag daran, dass diese echten Nazis die Frage selber nicht in einer solchen Weise beantworten konnten und wollten. Daran-Glauben, Mitgerissen-Sein, Zynisch daneben stehen, Mitlaufen, Innerlich Widersprechen, dem Druck-Nachgeben, die Lust-Spüren, die im wahrsten Sinne des Wortes tolle Gemeinschaft, die Gelegenheiten nutzen, das Unterdrückte rauslassen, endlich selber nicht mehr denken und fühlen müssen, sondern alles dem großen anderen überlassen, … das alles scheint durcheinander gegangen zu sein, bei der einen so, beim anderen so. Man hat geglaubt, man hat mitgemacht, man hat profitiert, man konnte nichts dafür, man hat von nichts gewusst. Und jetzt ist das wieder da: Ein „Volk“ berauscht sich an etwas, das nicht nur gelogen, sondern schlecht und dumm gelogen ist, und ist gleich wieder bei der Mordlust angelangt. Wie kann so was passieren?

Ein bisschen hilfreich, wenn auch ein wenig über Bande gespielt, erscheint mir da ein kleiner Artikel von Slavoij Zizek in der F.A.Z., den „Glauben“ der meisten Menschen hierzulande an Weihnachten und seine Mythologie betreffend. So gut wie niemand „glaubt“ an das weihnachtliche Geschehen und seine Abbildung. Aber alle glauben an den Glauben daran.

Man glaubt, so Zizek, an Weihnachten, weil die Kinder an Weihnachten glauben sollen. Man glaubt an Weihnachten, weil andere daran glauben (sollen), man glaubt daran, weil man das Glauben daran gut, nützlich und, nun ja, schön findet; immer muss jemand gefunden werden, der „wirklich glaubt“, damit man einen Glauben zweiter Art pflegen kann: „Auf unheimliche Weise scheint Glaube immer auf Distanz zu funktionieren. Damit er funktioniert, muss es einen ultimativen Garanten für ihn geben, einen wahren Gläubigen, doch ist dieser Garant nie persönlich anwesend. Das Subjekt, das wirklich glaubt, muss also überhaupt nicht existieren, damit der Glaube wirksam ist. Es reicht aus, seine Existenz vorauszusetzen, als mythische Gründergestalt oder als ein unpersönliches ‚man’“ (Zizek).

Eine Lügengeschichte innerhalb des rassistischen und xenophoben Hass-Diskurses hat also nicht unbedingt den Zweck, im einfachen, „realistischen“ Sinn des Wortes „geglaubt“ zu werden, sondern vielmehr den, einen abwesenden Glaubenden zu konstruieren. Diesen abwesenden anderen, das Kind, dessen Glauben unbedingt erhalten werden muss, auch gegen die Wirklichkeit, den „wahren Gläubigen“, der nicht wirklich existieren muss, nennt man nun einfach „Volk“. Übrigens begreifen wir so einen Teil der faschistischen Ästhetik, der in den Analysen neben dem Todeskult, dem Heroismus und dem Ornament der Masse immer ein wenig zu kurz kommt, nämlich die Bilder der von „Gläubigkeit“ vollkommen durchdrungenen Kinder und Frauen, und eben das „Volk“, das authentisch und einfach sein sollte in seinem Glauben. Das Volk (zusammengeschwurbelt aus „Rasse“, „Nation“, „Heimat“ und einfach „Wir“) als abwesender Glaubender scheint unausrottbar. Und dieses Volk der neuen Hetze, noch ohne Führer, aber schon wieder mit einem kleinen Reich, ist der wahre Gläubige, der befiehlt zu hassen, und vielleicht auch das eine oder andere „Asylantenheim“ anzuzünden. Später wird es auch schuld gewesen sein, und man selber hat nichts dafür gekonnt. Bis zum nächsten mal.

Nun mag es vielleicht ein klein wenig blasphemisch erscheinen, von einem allgemeinen nicht-gläubigen Glauben an Weihnachten als Begründung eines Lebens-Mythos, Geburt, Geschenk, Essen, Licht und all das, was ja auf einer tieferen Ebene einfach bloß „Glück“ bedeuten mag (Glück im Unglück, wenn man das Narrativ dazu ansieht), auf das nicht-gläubige Glauben an die Begründung von Hass, Vertreibung, symbolische und irgendwann auch reale Mordlust zu schließen. Deswegen gilt es auch, die Gleichung nicht über Gebühr zu strapazieren. Und dennoch scheint da ein Ansatz möglich für die Erklärung eines Verhaltens, das in keinem der uns geläufigen Muster abläuft. Es ist nicht vernünftig, es ist nicht moralisch, es ist nicht logisch, es ist nicht rechtens, es ist nicht einmal in jedem Fall „opportun“. Aber es lässt etwas offensichtlich lange aufgestautes hinaus. Es erfüllt irgend etwas, es macht etwas möglich, was „eigentlich“ unmöglich ist. Man darf endlich laut und offen sagen, was lange hat verheimlicht werden müssen.

Da ist es schon beinahe unnütz zu sagen, dass man bei der Pegida-Versammlung am 21. Dezember in Dresden auch Weihnachtslieder gesungen hat. Wie obszön, wie zynisch, wie gottverlassen muss man sein, wenn man die Musik zu einem großen mythischen Drama vom Ausgestoßenwerden und Beherbergtsein missbraucht, um seinem Hass auf Flüchtlinge Ausdruck zu verleihen? Wenn man in jener Mischung aus Sentimentalität und Verrohung, die einst Theodor W. Adorno aufzeigte, von der Liebe singt, um seinen Hass zu befeuern? Wie ist das zu verstehen, dass Menschen ein Kind besingen und dabei anderen Kindern Hunger und Tod wünschen? Wie können sie vom Frieden auf Erden singen und zugleich solche Rohheit praktizieren?

Man muss, fürchte ich, das Zizeksche Weihnachtsmärchen noch einmal herumdrehen. Der wahre Gläubige ist zugleich der wahre Hassende, darin sind sich Pegida-Anhänger und Dschihadisten vollkommen einig. Sie erfüllen da nur den Befehl von außen, den der andere neben einem ebenso erfüllt, und der vielleicht ebenso ahnt, dass der wahre Gläubige in Gestalt des wahren Hassenden gar nicht existieren muss, genau so wenig, wie die Verleumdungserzählungen „real“ sein müssen, um geglaubt zu werden. Und nur als wahrhaft Hassendes verspricht „das Volk“ Heimat und Zuhause. Der Glaube ist nur durch die Gewalt zurück zu bekommen, den man in Wahrheit längst verloren hat – den Glauben, in einer Erzählung, in einem Land, in einer Gesellschaft, in einer Mythe wirklich daheim zu sein. So als könne jemand seinen Glauben an Weihnachten zurück bekommen, indem er alle umbringt, die ihn nicht teilen (dürfen). Die „Wahrheit“ ist nicht die denunziatorische Lügengeschichte, es ist nicht die Hasspredigt der „halbfaschistischen Hampelmänner“ (so hat Marilyn Monroe einst die Vertreter des Ausschusses für unamerikanische Umtriebe genannt, und so können wir die Vertreter der Umtriebe gegen undeutsches Verhalten nennen) und Hampelfrauen, die ihr Handwerk bei den Fernsehentertainern gelernt haben. Die Wahrheit ist einzig und allein der Hass. Der braucht nur ein Opfer, nichts weiter. Möglichst eines, das sich nicht wehren kann. Ein möglichst schwaches Opfer.

Womit man also einem Pegida-Anhänger nun wirklich nicht kommen braucht ist ein „Argument“, ist „Wirklichkeit“, ist gar noch der Hinweis darauf, wie „nützlich“ am Ende die Flüchtlinge sein können (der Zynismus der Realpolitik). Worauf es ankommt ist einzig und allein eine Zivilgesellschaft, die selbst ein klares Wort findet. Dieses Wort lautet „Nein“.

Georg Seeßlen
gekürzt erschienen in taz 10. 1. 2016

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