Die Forderung, mit den Anhängern von Pegida zu reden, ist eher dem Prinzip Talkshow als dem Prinzip Demokratie verpflichtet. Sie lässt sich leichter aus dem Leben im Medienbrei erklären als aus dem aufklärerischen Diskurs. Der, vielleicht, begänne mit der Frage: Wer soll da mit wem auf welche Weise worüber sprechen?
Die Grundlage eines demokratischen Gesprächs ist so einfach wie schwer zu erfüllen: Dass man einander auf Augenhöhe begegnet, dass man einander politisch ernst nimmt. Und schon hier beginnt das Dilemma einer solchen Aufforderung zum Reden: Wer mit Pegida-Anhängern auf eine demokratische Weise sprechen wollte, müsste ihre Parolen, ihre hetzerischen Narrative, den Jubel zu den verbalen Attacken ihrer Rednerinnen und Redner ernst nehmen. Das hieße aber, mit jemandem reden, der die Basis humanistischer und demokratischer Kultur dezidiert verlassen hat. Das Gespräch würde sich wegen der schieren Bösartigkeit eines Gesprächspartners verbieten. Die Argumentation aber geht ja in aller Regel anders: Die meinen es gar nicht so. Es sind, nach dem allgemeinen Polit-Blubber „Bürgerinnen und Bürger, um deren Sorgen und Nöte man sich kümmern muss“, und die unglücklicherweise nur falsche Antworten auf richtige Fragen fanden und rechtspopulistischen Rattenfängern in die Hände fielen. Gleichviel ob dieses Modell der Wirklichkeit entspricht oder nicht, es würde jedenfalls die Grundlage für ein demokratisches Gespräch vernichten, nämlich eben die Notwendigkeit, einander ernst zu nehmen. Ein solches Gespräch ähnelte dann eher der Beschwichtigungsrede gegenüber einem aggressiven Betrunkenen. Umgekehrt wäre ein Gespräch mit Pegida-Anhängern nur dann sinnvoll, wenn diese wiederum bereit wären, ihr demokratisches Gegenüber als gleichberechtigt politisch ernst zu nehmen. Die Rhetorik und Inszenierung der Pegida-Aufmärsche lässt indes keinen Zweifel daran, dass genau das nicht der Fall ist.
So ist, noch bevor man sich fragen mag, ob ein solches Miteinander-Reden wünschenswert und sinnvoll sein könnte, die Frage geklärt: Ein demokratisches Gespräch mit Pegida-Anhängern ist unmöglich, weil man sie politisch ernst nehmen müsste – dann ist ein Gespräch aus Gründen ethischer Unvereinbarkeit nicht möglich. Oder aber man nimmt sie politisch nicht ernst – dann aber ist das Gespräch nicht demokratisch. Was in einer Talkshow gang und gäbe ist, nämlich die Inszenierung gegenseitiger Verachtung, rhetorischer Subversion und taktischer Abwechslung von Provokation und Beschwichtigung, ist im demokratischen Umgang ausgeschlossen.
Ach, wenn es ihn doch noch gäbe. Jedes Miteinander-Reden geschieht auf der Basis von Regeln und Sprachen. Man kann durchaus auch heftig kontroverse Ansichten in einer Sprache gegeneinander stellen; wenn man indes in verschiedenen Sprachen spricht, ist der Sprechakt reine Performance. Eben: eine Show. Der Kommunikationsakt ist inhaltlich leer, während er zur gleichen Zeit Tauschprozesse in der Aufmerksamkeitsökonomie erlaubt. Menschen, Politikern gar, die ein Miteinander-Reden fordern, obwohl sie wissen, dass man sich nichts zu sagen hat, ist leichter als ein soziales Empfinden eine wahltaktische und medienökonomische Absicht zu unterstellen.
Wenn es also kein demokratisches Sprechen mit Pegida gibt, wären dann nicht andere Formen des Miteinander-Redens möglich und notwendig? Denn natürlich dürfen wir jedes Gespräch als willkommen ansehen, dass geeignet wäre, eine politische Gewalttat, eine Eskalation der Konflikte zu verhindern. Nun ist es indes ja nicht so, dass wir in einem kommunikationsfreien Raum miteinander leben; so etwas gibt es gar nicht. Pegida und Demokratie sprechen durchaus miteinander, in sehr verschiedenen Sprachen. In Bildern, in Narrativen, Parolen, in Internet-Chats, durch Besetzungen von öffentlichen Räumen. Auch in Form von Justiz, Kritik und Diskurs. Da ist niemand dem anderen ein Geheimnis. Doch diese Präsenz ist von vornherein als Machtkampf angelegt. Eine völkisch-nationale steht gegen eine humanistisch-demokratische Einstellung. Was wäre das erhoffte Ziel eines Redens? Kompromisse? Einsichten? Verständnis?
Das Gesprächsangebot geht, bei alledem, an der Unvereinbarkeit der Ausgangspunkte ins Leere. Die Antwort auf die erzwungene Migration dieser Tage kann für demokratische, aufgeklärte und humanistische Menschen nur in einem Miteinander von sub-nationalen (kurz gesagt: menschlichen) und trans-nationalen Impulsen (kurz gesagt: einer europäischen, einer globalen Solidarität) bestehen. Für Pegida-Anhänger besteht sie, um das Mindeste zu sagen, nur in einer extremen Nationalisierung. Daher könnte man ein Gesprächsangebot an Pegida durch Politiker auch als Versuch verstehen, eine eigene Unentschlossenheit in dieser Frage zu verschleiern. Dann freilich stände es wahrlich nicht gut um das demokratische Sprechen.
Georg Seeßlen
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23. November 2015 um 15:53 Uhr
In den beiden letzten Sätzen halte ich den Konjunktiv für entbehrlich; hier ist die praesentische Form angezeigt.
Ein kluger, lesenswerter Artikel. Danke!