Zwölf Jahre ist es schon her, dass Regisseur Wolfgang Becker mit „Good Bye, Lenin!“ einen sensationellen Publikumserfolg verbuchen konnte. Erst jetzt kommt ein neuer Spielfilm von ihm. Ein Unternehmen der Kategorie „Risiko“. Becker hat Daniel Kehlmanns Roman „Ich und Kaminski“ adaptiert. Und das, es sei gleich geschrieben, souverän.
Problem der kurz vor der Jahrtausendwende spielenden Geschichte im Hinblick auf eine Verfilmung: die Protagonisten sind Ekel. Erst einmal jedenfalls. Da hat man als Zuschauer keine Lust zur Identifikation, ja, nicht einmal zu Empathie. „Ich“, das ist der Journalist Sebastian Zöllner (Daniel Brühl). Mit fieser Energie hofft er auf den Tod des betagten blinden Malers Manuel Kaminski (Jesper Christensen). Denn wenn der erst einmal unter der Erde ist, lässt sich dessen Biographie besonders gewinnbringend verhökern. Die muss erst noch geschrieben werden. Was Sebastian Zöllner nicht für sonderlich schwer hält. Macht er mit links, meint er. Nur: Manuel Kaminski ist ebenfalls ein einziger Ego-Brocken. Beide aber wollen das Buch, den Ruhm, das Geld. Also müssen sie miteinander auskommen. Was ihnen erst einmal nur holprig gelingt. Dann aber wendet sich das Blatt …
Für Spannung also ist gesorgt. Die Geschichte rollt wie am Schnürchen – zum einen als Groteske um ein seltsames Paar, zum anderen als Reflexion über Altern und Tod. Wenn der greise Kaminski nach Jahrzehnten der (von Geraldine Chaplin mit fast schon surrealer Komik gespielten) großen Liebes seines Lebens wiederbegegnet, hat der Film einen ebenso witzigen wie zutiefst anrührenden Moment. Als aller erstes, das bietet sich an, ist „Ich und Kaminski“ eine Satire auf die Auswüchse des Kunsthandels. Man fragt sich etwa, ob Manuel Kaminski wirklich blind ist. Oder hat er das nur vorgetäuscht, um den eigenen Marktwert zu steigern? Der Film lässt die Antwort im Dunklen. Wunderbar! Geheimnisse tun Geschichten immer gut.
Bisher kennt man Daniel Brühl als den netten Typ von nebenan, als Traum vom lieben Wunschschwiegersohn. Nun also verkörpert er einen dummdreisten Scharlatan. Dabei gelingt es ihm, die Figur nicht zu denunzieren. Ja, man lacht oft auch über Sebastian Zöllner, beispielsweise wenn er folgenreich in einen Kuhfladen tritt. Man versteht jedoch zugleich, dass er biografischen, emotionalen und ökonomischen Zwängen ausgesetzt ist. Am Anfang des Films würde man ihm am liebsten den Hals umdrehen. Später möchte man ihn, man glaubt’s zunächst absolut nicht, schützend umarmen. Jesper Christensen als Manuel Kaminski offeriert viel sanften Schelmenhumor. Selten trumpft er mimisch oder gestisch auf, wenn er Pointen setzt. Und auch er rührt einen an. Denn es gelingt dem Schauspieler, den Mensch hinter allem Granteln und Grimassieren zu zeigen.
Famos ist auch die Form. Anfangs begeistern raffinierte Pseudo-Dokumentaraufnahmen. Sie zeigen Sebastian Kaminskis Weg zum Weltruhm. Er kannte sie alle – und alle kannten ihn. Hitchcock, Warhol, Picasso und viele andere Berühmte des 20. Jahrhunderts hat er getroffen. Bilder belegen’s. Ein großer Spaß. Wie auch der Abspann. Achtung: Sitzenbleiben! Die einzelnen Kapitel der Erzählung werden übrigens jeweils tricktechnisch eingeleitet. Dabei wird der Kunst des Malens aufs Schönste gehuldigt.
Nichts zu mäkeln? Doch. Ein bisschen, ein kleines bisschen. Hier und da und auch dort stören ein paar zu vordergründige Monolog- und Dialogzeilen. Gelegentlich wird mit dem Wort noch einmal erklärt, was das Bild schon erzählt hat. Gelegentlich. Ins Gewicht fällt das nicht. Die Inszenierung, sehr elegant, oft fast graziös (da haben selbstverständlich Kamera und Montage ihren Anteil!) und die Intensität des Schauspiels lassen einen gern darüber hinweggehen. Und am Ende, da hört man sowieso nur auf die Stimme in sich selbst. Sie mahnt einen, doch auch mal bitteschön auf das eigene Leben zu schauen. Damit erreicht Becker, was Film zu Kunst macht: er unterhält herrlich und verstört einen aber auch ein wenig. Großartig!
Peter Claus
Bilder: X Verleih
Ich und Kaminski, von Wolfgang Becker (Deutschland 2015)
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