45years-680

Bei Preisvergaben auf Filmfestivals sind sich Kritiker und Zuschauer nicht immer einig. Zum Abschluss der Berlinale war das nicht anders. Zwei Preise aber wurden unisono bejubelt: die für die beste Schauspielerin und den besten Schauspieler. Charlotte Rampling und Tom Courtenay haben die Silber-Bären geholt. Völlig zu Recht. Ihre Interpretation eines krisengeschüttelten Paares im Kammerspiel „45 Years“ sind intensive Charakterstudien voller Herzenswärme und Lebensweisheit.

Die Story hat es in sich: Kate (Charlotte Rampling) und Geoff (Tom Courtenay) sind seit 45 Jahren miteinander glücklich. Beide sehen das selbst so. Die seelischen Abgründe aber, die nicht wegzudiskutieren sind, übersehen sie geflissentlich. Genau die beleuchtet der britische Regisseur Andrew Haigh. Anlass ist ein grausiger Fund: Aus dem ewigen Eis wird nach fünf Jahrzehnten die Leiche der Jugendfreundin Geoffs gefunden. Sie war damals bei einer Wanderung abgestürzt. Kate treibt nun die Frage um, ob Geoff ihr auch dann seine Liebe geschenkt hätte, wenn der Anderen damals nicht das schreckliche Unglück zugestoßen wäre. Eifersucht beherrscht ihr Denken. Und er? Er wird ebenfalls von einigen bitteren Fragen gequält. Nach Außen hin wahren beide die Contenance. Doch in ihnen brodelt es. Furcht, Wut, Unsicherheit schlagen sich mehr und mehr Bahn. Nach all den vielen Jahren droht das Glück zu zerbrechen …

Auf der Berlinale erzählte Autor und Regisseur Haigh, was ihn an der Story interessiert: die Frage, wie sich das Verlangen von Menschen aufeinander im Lauf des Lebens verändert. Charlotte Rampling und Tom Courtenay geben der Suche nach möglichen Antworten eine heftige emotionale Intensität.

Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte. Gelegentlich merkt man ihm die Herkunft aus der Literatur an. Doch Charlotte Rampling und Tom Courtenay sorgen mit facettenreichen Charakterstudien für eine enorme Faszination. Die Zwei wissen, dass es klug ist, nicht jede Nuance der Figur auszuloten. Sie lassen Kate und Geoff Geheimnisse. Was die Spannung anheizt. Auf dem Nachhauseweg fragt man sich dann, wie es einem selbst erginge, wenn plötzlich nicht wegzuwischende Zweifel am Fundament des eigenen Lebens auftauchen. Dank Rampling und Courteney gerät man in gehörige Selbstzweifel. Was sehr anregend ist.

Peter Claus

Bilder: © Piffl Medien

45 Years, von Andrew Haigh  (Großbritannien / 2014)