Beim Lesen von Oskar Roehler neuem Roman „Mein Leben als Affenarsch“ kam mir erstmals überhaupt der Gedanke in den Sinn, wie froh ich wohl sein kann, meine Jugend in Berlin in den 1980er Jahren nicht im West-, sondern im Ost-Teil der Stadt verbracht zu haben. Gut möglich nämlich, dass ich im Rausch der Subkultur abgesoffen wäre. Denn deise Subkultur beschreibt das autobiographische Buch nicht gerade als das Paradies.
Der Film zum Buch nun, mit sehr viel reißerischem Titel bedacht, zeigt das Gleiche. Doch ganz anders. Das Schrill-Satirische nämlich überwiegt in der Kino-Version. Freilich, auch hier ist Roehler selbst als Jungspund Robert (Tom Schilling) der Anti-Held, auf der Suche nach sich selbst. Im Buch heißt es dazu an zentraler Stelle: „Ich habe keine Vorsätze, ich muss nicht schreiben, ich muss erst einmal lernen, mich zu lieben, einen anderen Menschen zu lieben, und eine Familie zu gründen.“
Im Buch ist die Wortwahl hart, es dröhnt nur so von Fäkal- und Sexualbegriffen. Getragen aber wird diese Härte von einem geradezu unschuldig anmutenden Ton des Staunens. Der Film nun ist brutaler, auch zynisch: Robert (Tom Schilling) erlebt das West-Berlin der frühen 1980er Jahre als sündvolles Babel. Er ist Putzer in einer Peepshow, und geradezu Fluten von Sperma wischt er aus den Kabinen in denen die Einsamen und Introvertierten fleißig wichsen. Nach getaner Arbeit torkelt er, selbst im Alkohol- und Drogenrausch, durch die dunklen Ecken der eingemauerten Stadt. Er wähnt sich auf der Suche nach dem ganz großen Kick. Dabei sucht er nichts anderes als das, was alle suchen: ein schlichtes Zuhause.
Vor zwei Jahren, in die „Die Quellen des Lebens“ (inspiriert von Roehles Debüt-Roman „Heimkehr“) faszinierte die Geschichte einer Kindheit und Jugend als packende Ballade voller Fabulierlust, Kraft und Schönheit. Diesmal triumphiert das Hässliche. Wieder aber, und das ist das große Plus, reflektiert Oskar Roehler in dem von eigenem Erleben und eigener Erinnern angeregten Film auf spannende Weise deutsche Geschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Wieder entlarvt er die Selbstgenügsamkeit der Tonangebenden, diesmal symbolisiert durch die Schickeria der Inselstadt West-Berlin. Wieder deutet er damit auf Wurzeln heutiger Saturiertheit der kulturellen Elite. Bei aller Lust am Überzeichnen waltet ein großer, manchmal fast heilig anmutender Ernst. Daran ändert auch der flapsige Ton nichts, im Gegenteil, er betont das. Rohler erweist sich erneut als begnadeter Erzähler.
Wie in seinem bisher wohl bekanntesten Spielfilm „Die Unberührbare“ verarbeitet Oskar Roehler auch hier die Geschichte seiner Familie. Die Geschichte der Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elster (Hannelore Hoher), und die des Vaters, des Schriftsteller Klaus Roehler (Samuel Finzi). Dabei zeichnet er Robert als Kind seiner Zeit. Es ist die Zeit, da die Erkundung der Nazi-Vergangenheit der Großeltern ad acta gelegt wurde, weil der Rausch scheinbar grenzenloser Freiheit alles Interesse an der Wirklichkeit verscheuchte. Nichts mehr von der Wut der Aufbruchzeit nach 1968. Katerstimmung ist angesagt und wird durch Aktionismus übertüncht. Und durch Flucht in Sex, Drugs and Punk. Lustig ist das nicht, eher tragisch. Man wundert sich, wie Roehler es je geschafft hat, sich aus der Flut voller Ekel und Selbsthass heraus zu wühlen.
Als Kinobesucher gräbt man schnell in eigenen Erinnerungen. So wird die Vergangenheit ins Heute geholt. Doziert wird dabei nie. Roehler kommt übers Sinnliche ans Eigentliche – Essen, Trinken und körperliche Lust spielen dabei eine große Rolle. Man glaubt gelegentlich, den Film zu riechen. Manchmal stinkt der auch, etwa wenn Roberts schwuler Freund Gries (Frederick Lau) seine Maxime „Arschficken für alle!“ voll auslebt. Oder wenn Kultfiguren wie Blixa Bargeld (Alexander Scheer), Nick Cave (Marc Hosemann) und Rainer Werner Fassbinder (Fritz Roth) als einsame Exzentriker enttarnt werden, deren schrilles Auftreten nichts als die Leere eines zur Schablone verkommenen Individualismus ist. Das wirkt nie bösartig, sondern eher traurig. Roehler, ganz klar, ahnt, dass auch seine Selbstinszenierung als Bürgerschreck leicht als Tarnung eines in Wahrheit hoch sensiblen, sich seiner selbst mit Mitte 50 noch immer unsicheren Suchenden erkennbar ist. Wenn er Robert eine so schrille wie traurige Liebesgeschichte mit der Stripperin Sanja (Emilia Schüle) durchleiden lässt, möchte man den jungen Mann tröstend umarmen und ihm sagen, dass er sich nicht dafür schämen muss, weil auch er, wie die Mehrheit, ganz simple durchschnittliche Wünsche nach Zuneigung und Geborgenheit hegt. Die von Anfang an als Illusion aufleuchten. Das Scheitern ist programmiert. Wie wohl auch, und darauf zielt der Film ab, das Scheitern bürgerlicher Ideale an sich.
Wie anrührend das gelegentlich auch ist, kitschig wird’s nie. Oskar Roehler geht mit allen Figuren, auch mit Robert, also mit sich selbst, schonungslos um. Immer wieder zeigt er in bissig-satirischen Szenen die Hohlheit allen Posierens und Palaverns. Geradlinig erzählt ist das nicht, so wie auch das Leben keinen geraden Linien folgt. Die Schauspieler geleiten durch die Episodenflut. Sie agieren durchweg exzellent, allen voran Tom Schilling, der eine erstaunliche Authentizität erreicht.
Es heißt, Oskar Roehler plane einen dritten Roman und einen dritten Spielfilm um Robert. Darauf darf man sich freuen – und jetzt erstmal Rückblick zwei in Sachen Roehler genießen.
Peter Claus
Bilder: X-Verleih
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