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screenshot © ZDF / Frank Dicks

 

Interview mit Kai Schumann

Kriminalkommissar Nikolas Heldt ermittelt seit dem 28. Januar 2015 wieder in der ZDF-Serie „Heldt“, jeweils mittwochs um 19.25 Uhr. Hauptdarsteller Kai Schumann spielt den Bochumer Beamten, der gewisse Parallelen zur Duisburger „Tatort“-Ikone Horst Schimanski aufweist, bereits in der dritten Staffel. Sony Pictures hat 15 neue Folgen in Bochum, Köln und Umgebung produziert. Kai Schumann, 1976 in Dresden geboren, gelang sein Durchbruch in Bora Dagtekins RTL-Serie „Doctor’s Diary“ (2008-2011) als Gynäkologe Dr. Kaan, er spielte den Rechtsmediziner Dr. Reichau im Leipziger „Tatort“ (2009-2013) und parodierte den Ex-Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg in der Sat.1-Satire „Der Minister“ (2013).

Die Gewerkschaft der Polizei ernennt regelmäßig beliebte Fernseh-Ermittler zu Ehrenkommissaren. Rechnen Sie sich als Nikolas Heldt gute Chancen aus?

Kai Schumann: Nein. Ich glaube nicht, dass die Gewerkschaft der Polizei einen ehemaligen radikalen Autonomen auszeichnet. Und falls doch, dann weiß ich nicht, ob ich den Titel wirklich haben möchte. Dadurch würde ich mich ja auch dem polizeiüblichen Korpsgeist unterwerfen, aber den finde ich eher fragwürdig. Ein Preis der Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten wäre mir lieber. Deren Arbeit finde ich gut. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass es grandiose und beherzte Polizisten gibt, aber es gibt leider auch machtbesessene und gewaltbereite Arschlöcher.

Bei welcher Gelegenheit haben Sie die kennengelernt?

Kai Schumann: Ich hatte oft Stress mit dem Gesetz, als ich mich früher in der schwer autonomen Szene bewegt habe. Ich war auf jeder Demo, habe Asylbewerberheime gegen Nazis verteidigt und besetzte Häuser geschützt. Ich bin auch auf Schornsteine geklettert, um Transparente runterzulassen. Dabei gerät man natürlich an die Polizei, meist wegen Landfriedensbruch. Gezielte Aktionen gegen die Polizei gab es nicht, nur Konter-Reaktionen, zum Beispiel beim Weltwirtschaftsgipfel in München. Da haben die Leute friedlich demonstriert, aber bald ist ein Unterstützerkommando reinmarschiert und hat einem von unseren Leuten grundlos die Backe aufgeschlitzt. Als in dieser aufgebrachten Stimmung ein Sixpack der Polizei, also ein Sechserteam, den Kontakt zu seiner Kette verlor und von uns eingeschlossen wurde, hat sich eine enorme Wut entladen. Damals habe ich Gewalt als legitimes Mittel zur Verteidigung gesehen. Heute sehe ich das anders. Ich lehne jede Form von Gewalt ab. Auch Polizeigewalt.

Sind Sie selbst irgendwann Opfer von Gewalt geworden?

Klar, ich habe Knüppel abgekriegt, auch Schläge und Tritte. Mal von der Polizei, mal von den Rechten. Meine erste Klatsche habe ich mir als Teenager bei einem älteren Jungen aus meinem Dorf im Vogtland eingefangen. Der hat mich immer als „Nigger, Jude, Arschloch“ beschimpft, weil mein Vater Syrer ist. Irgendwann hat der Typ mir mit seinem dicken Kumpel aufgelauert, mich mit dem Wasserschlauch von oben bis unten nassgespritzt und mir eine gescheuert. Später hat er mit dem Luftgewehr auf mich geschossen. Sein Motiv war eine Mischung aus purer Dummheit und Angst vor allem Fremden. Mit 14 Jahren kam ich aufs Internat, da musste ich zwei Jahre lang immer mit dem Bummelzug von Plauen nach Gera fahren. Freitags sind die Nazis zugestiegen, auf dem Weg zur Disco im nächstgrößeren Ort. Da musste ich mich oft auf der Toilette verstecken, weil ich leicht als Linksradikaler zu erkennen war. Ich trug Stiefel, rote Schnürsenkel und gefärbte Haare, eine Zeitlang auch Glatze, weil ich mich als linken Skinhead sah. Auf dem Bahnsteig musste ich oft wegrennen, denn in den frühen 90er Jahren herrschten in dieser Region bürgerkriegsähnliche Zustände.

Und heute?

Heute gibt es die Rechten immer noch, aber sie sind viel gefährlicher, weil sie nicht mehr offen als Faschisten auftreten und keine verbotenen Symbole mehr zur Schau stellen. Viele AfD- und NPD-Anhänger sehen inzwischen aus wie die Autonomen, wie Leute aus der hippen Szene. Sogar vegan zu leben ist bei denen total angesagt. Das rechte Netzwerk übernimmt auf eine ganz bürgerliche Art die Betriebe, die Kindergärten und ganze Dörfer. Vor allem die ländlichen und strukturschwachen Landstriche im tiefsten Sachsen, in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg- Vorpommern sind gefährdet. Die ganze Blögida-Bewegung ist natürlich der Gipfel.

Im lezten Jahr haben in Thüringen elf Prozent die AfD gewählt und 51 Prozent sind überhaupt nicht wählen gegangen. Worüber ärgern Sie sich mehr?

Ich ärgere mich über die 51 Prozent Nichtwähler, denn die hätten ja mit ihren Stimmen dafür sorgen können, dass die AfD kein so gutes Ergebnis bekommt. Andererseits sind die 51 Prozent auch eine klare Aussage, wie wenig Vertrauen die Wähler haben, dass ein Kreuz auf einem Stimmzettel etwas bewegen kann. Ich verstehe das total. Schauen wir uns doch mal die Politik an, die von den Mainstream-Parteien gemacht wird. Wir wählen diese Leute, und die treffen nur Entscheidungen zugunsten der Konzerne. Sie haben die politische Macht längst in die Hände der Wirtschaft abgegeben.

Wen wählen Sie?

Ich wähle immer die Linke. Das sage ich ganz ehrlich. Für mich ist das die einzige wirklich interessante Partei. Die nennen die Dinge beim Namen. Ich kann meinen Haken unter jede Aussage setzen, die Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht machen. Ich lasse mich auch nicht von dem Gelaber abschrecken, dass viele Mitglieder früher bei der PDS und SED waren. Ganz ehrlich: Wo kommen denn die CDU, die FDP und auch die SPD her? Da saßen anfangs auch viele alte Nazis drin, auch wenn es länger her ist.

Hat Kommissar Nikolas Heldt eine ähnliche politische Einstellung wie Sie?

Ich glaube schon. Ich lasse viele meiner Gedanken und Emotionen in die Rolle einfließen. Heldt sagt, was ich denke: Warum sind alle so ruhig in Deutschland? Warum nehmen wir hin, dass wir total überwacht werden? Warum akzeptieren wir eine Politik, die sich mehr um die Wirtschaft als um die Bedürfnisse des Volkes kümmert? Warum werden Milliarden in Prestige-Projekte wie die Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und den Berliner Flughafen gepumpt? Dieses Steuergeld zahlt der normale Arbeiter, der Opelaner. Der kann sich aber keine Karte für die Elbphilharmonie leisten. Da gehen nur die richtig Reichen hin, die oft gar keine Steuern zahlen müssen. Mich kotzen Klassenunterschiede an, das habe ich aus der DDR aufgesogen. Heldt denkt genauso, der ist auf der Seite der Arbeiter, deshalb ist der auch gut im Ruhrgebiet aufgehoben. Der Pott hat im besten Sinne was vom Osten, aus dem ich komme. Etwas Raues und Dreckiges. Da gibt es nicht so viel Schickimicki.

Was lässt Heldt sich in der dritten Staffel zu Schulden kommen?

Naja, er ist halt nicht der klassische Beamte, sondern ein Anarchist und Underdog. Er geht an Grenzen des Legalen und riskiert viel. In einer Folge überführt er einen jugendlichen Straftäter. Als er realisiert, dass der in den Jugendknast kommen soll, überredet er die Zeugen, ihr Alibi zurückzuziehen und den Jungen durch Falschaussagen wieder auf freien Fuß zu kriegen. Er will lieber den eigentlichen Täter im Hintergrund finden. Das gefällt mir an Heldt: Er arbeitet zwar innerhalb des Systems, aber er akzeptiert nicht per se die Regeln dieses Systems.

Schwingt da ein Hauch von Horst Schimanski mit?

Bestimmt. Die „Tatorte“ mit Schimanski haben mich geprägt, heute schaue mir gern die Kölner Kommissare an, weil die mich emotional erreichen. Und ich war ein großer Fan von Mehmet Kurtulus als verdeckter Ermittler Cenk Batu.

Was halten Sie von dessen Nachfolger Til Schweiger alias Nick Tschiller?

Den „Tatort“ mit Til Schweiger finde ich geil. Ich mag generell Actionfilme und finde es gut, wenn der „Tatort“ mal aus seiner psychosozialen Ecke rausgeholt wird. Ich mag die Bilder, die von The Chau Ngo stammen, einem der geilsten Kameramänner in Deutschland. Til Schweiger und Fari Yardim liefern mit ihren „Tatorten“ richtig gute Action, und das können nur wenige in Deutschland.

Sie haben in den Leipziger „Tatorten“ von 2009 bis 2012 den Rechtsmediziner Dr. Johannes Reichau an der Seite von Simone Thomalla und Martin Wuttke gespielt. Warum sind Sie freiwillig ausgestiegen?

Meine Rolle war nicht interessant. Ich stand da nur rum, untersuchte die Leiche und sagte vorhersehbare Sätze. Ich wollte gern einen Rechtsmediziner spielen, der einen Gummibaum bei sich hat. Die Pfalnze ist das einzig Lebende an seinem Arbeitsplatz und wird deshalb gepflegt und vergöttert. Auch so hätte man viel über die Toten erzählen können, anstatt immer den blassen Kopf oder die blutige Wunde in Großaufnahme zu zeigen. Parallel zum „Tatort“ habe ich eh schon „Heldt“ gespielt und deshalb gesagt, dass ich künftig nicht mehr zur Verfügung stehe.

Wie haben Freunde und Familie darauf reagiert?

Viele waren erstaunt. Es ist nun mal die landläufige Meinung, dass eine feste Rolle im „Tatort“ ein Ritterschlag ist. Der „Tatort“ war aber bei weitem nicht das grandiose heilige Ding, das ich unterschwellig erwartet hatte.

Sondern?

Der „Tatort“ ist das am meisten überbewertete Format im deutschen Fernsehen. Jedes Jahrlaufen mehr als 30 neue, davon sind vielleicht sechs richtig gut, aber viele sind auch Mist.

Apropos Mist: Welche Jugendsünde würden Sie gern ungeschehen machen?

Während des Studiums sind ein Freund und ich morgens betrunken und pöbelnd durch Prenzlauer Berg gezogen und haben ein bisschen randaliert. Da kam mein Freund auf die bescheuerte Idee, mit seinem Fahrrad über die Motorhauben der Autos zu fahren. Wir hatten kein politisches Motiv, wir waren einfach nur betrunken. Die Polizei hat uns völlig zu Recht verknackt, die Beamten waren aber cool und lustig. Wir hatten keine Fahrradschlösser dabei und durften deshalb unsere Fahrräder zu meiner Wohnung in der Nähe bringen. Danach mussten wir in die Ausnüchterungszelle. Als später die nächste Schicht kam, änderte sich das Klima radikal. Die anderen Polizisten waren wahnsinnig aggressiv und leicht brutal zu uns. Da konnte ich an einem Tag zwei sehr unterschiedliche Arten von Polizisten erleben.

Ihr Sohn ist neun Jahre alt. Was erzählen Sie ihm aus Ihrer Jugend?

Ich rede offen mit ihm über alles, was ich gemacht habe. Ich sage ihm aber auch, was davon richtig dumm war.

Werden Sie tolerant sein, wenn er als Teenager mal Ärger mit der Polizei hat?

Solange er seine Mitmenschen mit Respekt behandelt, hat er das Recht, die gleiche Scheiße zu bauen und die gleichen Fehler zu machen wie ich damals. Obwohl ich zugeben muss, dass ich als Vater ein totaler Spießer bin. Das sagen mir andere auch immer. Es ist wirklich komisch, dass man in der Vaterrolle plötzlich so streng ist. Das irritiert mich selbst am meisten.

Die Fragen stellte Michael Scholten

 

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