Mann, Moses!
Ridley Scotts Kino-Blockbuster ist nur einer von vielen Versuchen, den unbegreiflichsten unter den Religionsstiftern zu fassen
Irgendwie ist Moses an allem schuld. Am Monotheismus und an der Religion eines eifersüchtigen Gottes, der keine anderen neben sich dulden will. An religiösem Fanatismus und dieser furchtbaren Unterscheidung zwischen dem Wahren und dem Falschen. An einem Bilderkrieg gegen alle Konkurrenz. An der Verschmelzung eines universalen, pazifistischen Sonnengottes mit einem kriegerischen Lokalgott namens Jahve. Aber Moses war natürlich auch der Befreier aus der Sklaverei, derjenige, der in seiner Religion Zivilisation und Recht brachte, der Zweifler, der zum Führer wurde und der immer wieder seinen strengen Gott dazu überreden konnte, seinem Volk, mehr oder weniger, zu verzeihen. Das, wenn wir Sigmund Freud glauben, ihn dann doch erschlagen hat, bevor er selbst einen Blick in das Gelobte Land werfen konnte, in dem Milch und Honig fließen würden.
Ein widersprüchlicher Kerl und gerade darum so faszinierend. Ehrfurcht und ein bisschen Angst einflößend, so wie ihn Michelangelo modelliert hat und Cecil B. De Mille von Charlton Heston verkörpern ließ, der die Zehn Gebote so in die Höhe reckte, wie er später als Testimonial der American Rifle Association sein Gewehr in die Höhe reckte. (Da war der Burt Lancaster der späteren Version schon ein gesitteterer, nachdenklicherer Charakter.)
Moses ist das Urbild des Helden einer Gründungsmythe, immer doppelt lesbar, als Ägypter wie als Hebräer, als Mann des Volkes wie als abtrünniger Vertreter einer Herrscherkaste, als einer, der sich einem strengen Gott unterwarf wie als einer, der sich einen strengen Gott erfand, um sein Volk zu unterwerfen. Als der Entschlossenste von allen, und als der Zweifelndste von allen. So kehrt Moses wieder als Westerner, der die Siedler in die Prärien führt und selbst keine Heimat mehr findet, als Noir-Held, der stets an der banalen Bosheit seiner Mitmenschen zu verzweifeln droht, als zerrissener Held, der zum einen nicht mehr und zum anderen noch nicht gehört, Lawrence in der Wüste, Weltraumfahrer, Missionar, der seine Kinder durch den Dschungel der Tausend Gefahren führt.
Es hat ihn nie gegeben
Wie alle Helden, die das Widersprüchliche in sich vereinen sollen, um zugleich Tradition zu begründen und den revolutionären Bruch zu symbolisieren, hat er nur einen klitzekleinen Fehler. Es hat ihn nie gegeben, jedenfalls in der einen, alles Politische, Religiöse, Juristische und Soziale umfassenden Gestalt nicht. In der ursprünglichen Version der Exodus-Erzählung kommt ein Moses gar nicht vor. Der Moses, von dem besonders Strenggläubige annehmen, er habe seine eigene Geschichte bis vor seine Geburt zurück und über seinen Tod hinaus selbst geschrieben, der mythische Selbstschöpfer, der neben der Eingott- auch die „historische“ Religion erfunden hat. Alle späteren Moses-Konstrukte scheinen auf ihn, den Befreier-Tyrannen, all das zu projizieren, was an der Geschichte nicht stimmt. Nicht stimmen kann. Weil es mindestens zwei Götter gab, die widersprüchlicher nicht zu denken waren, mindestens zwei Definitionen der Kinder Israels (als „Volk“ und als versklavte Klasse), mindestens zwei Ziele der Einheit von Religion und Politik, Herrschaft und Vergeistigung, mindestens zwei Länder, in denen sich die Einheit der Geflohenen bilden sollte.
Die Suche nach historischen Materialien und Vorbildern, aus denen die Moses-Gestalt zusammengesetzt wurde, der Abgleich des (gewiss: lückenhaften) Faktischen mit der Gedächtnisgeschichte ist das eine. Das andere ist die beständige Transformation dieser Figur, eine epochenhafte Wiederkehr des Moses-Mythos in immer neuer Interpretation: Wir haben einen Moses des Mittelalters und der Renaissance, einen Moses der Aufklärung, einen durch Geschichte und Psychoanalyse dekonstruierten und einen restaurierten Moses. Und am Ende jene Aussage von Adolf Hitler (in einem seiner Gespräche mit Hermann Rauschning im Jahr 1933), er selbst werde eines Tages den Zehn Geboten, die Moses vom Sinai herab brachte, „ein neues Gesetz“ entgegenstellen, „gegen den Fluch der sogenannten Moral, die man zum Idol gemacht hat, um die Schwachen vor den Starken zu schützen“. Kurzum, dieser wahnsinnige Kleinbürger Hitler wandte sich gegen den Moses der Aufklärung, den Moses der Zivilisation, um sich selbst als einen neuen Moses der arischen Herrenmenschen und der organisierten Barbarei zu fantasieren. In einer letzten abscheulichen Volte siegte noch einmal im faschistischen Diktator der Moses-Mythos in seiner widersprüchlichen Faszination. Gelernt haben wir nicht viel daraus.
Höchstens, den Moses auf seine märchenhaften, kindlichen, heroischen Elemente zu reduzieren. Der Moses, der so vielen in die Kindheit schien, das war das Findelkind im Schilfkästchen auf dem Nil, das von einer ägyptischen Prinzessin aufgenommen und in ein glanzvolles Leben geleitet wird. Der Moses, der die brutale Behandlung der hebräischen Sklaven nicht mehr ertragen kann und erfährt, dass er selbst einer von ihnen ist. Der Moses, der sein Volk dann aus der Gefangenschaft führt, nachdem sein Gott furchtbare Plagen über die Ägypter brachte, durch das rote Meer, das dann die Verfolger mitsamt ihren Streitwagen verschlang, nicht einer blieb übrig, weiß die Bibel, der Moses, der in so furchtbaren Zorn geriet, als er vom Berg herabkam mit den Zehn Geboten und das Volk um ein goldenes Kalb tanzen sah.
Freundlich ausgeblendet, in den Religionsstunden und Erbauungsfibeln, den Hollywood-Filmen und TV-Serien, auch im neuen Moses-„Schinken“ des Ridley Scott, natürlich in der Animationsversion „Der Prinz von Ägypten“ unter der Ägide von Steven Spielberg, das war die Maßlosigkeit dieses Zorns, der von seinen Getreuen verlangte, Freund, Bruder, Nachbar, Kind zu erschlagen, nur weil sie um ein Götzenbild getanzt hatten. Aber immerhin begriff man auch als Kind: Die Bilder waren das, worum sich Geschehen in seinem gewalttätigen Kern drehte, das Bilderverbot, das als Zentrum des Monotheismus wirkte, gewiss nicht immer so gütig und weise gemeint, wie es, nur zum Beispiel, Thomas Mann auslegte, in seiner im amerikanischen Exil entstandenen Novelle „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Das war Moses: ein archetypischer Märchentraum, der zur großen Religionsstifter-Erzählung werden musste. Und eine manische Bilderproduktion setzte ein rund um die große Erzählung vom Bilderverbot.
Es passte ja nie etwas zusammen in der Abfolge der starken Bilder, die sich einprägten und schließlich zum Repertoire der populären Kultur sogar über den christlichen Teil der Adressaten hinaus wurden. Dieser etwas windige Trick mit dem Stab, der sich in eine Schlange verwandelt, der brennende Dornbusch, aus dem Gott selbst spricht (mit der Stimme eines tüchtigen Versicherungsvertreters in der deutschen Version des TV-Zweiteilers, mit dem der Regisseur Kevin Reynolds dem Publikum noch einmal einen vollkommen naiven, bibeltreuen Moses geben wollte und in den Niederungen der Lächerlichkeit landete), die Blut-Färbung des großen Stroms, die Heuschrecken und das Kindersterben (der Horror-Aspekt der Geschichte). Oder die Aspekte des ägyptischen Familienromans, die vielleicht nicht umsonst in den Jahren des Milleniumswechsels in den Vordergrund traten, wohingegen die auch nicht gerade unkomplizierte Beziehung zwischen Moses und seinem Bruder Aaron zurücktrat, den er zu seinem Sprecher erkoren hatte (wie auch hätte man einen stotternden oder aber der Sprache „seines“ Volkes kaum mächtigen Moses auf die heroische Leinwand bringen sollen?). Auch Ridley Scott widmet in seinem Exodus viel Aufmerksamkeit der Beziehung zwischen Moses und seinem ägyptischen „Bruder“, den er übrigens, entgegen dem biblischen Text, die Flutkatastrophe im Meer überleben lässt.
Es passte nie was zusammen
Ridley Scott, dem es gelungen war, so unterschiedliche Genres wie den Science-Fiction-, den Gladiatoren-, den Ritter- und sogar den Agentenfilm „erwachsen“ zu machen, versuchte zweifellos, und im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern bei Moses-Filmen der Traumfabrik, mit dem eher asketischen als heroischen Christian Bale in der Hauptrolle einen erwachsenen Moses auf die Leinwand zu bringen.
Einen agnostischen Moses, der neben der religiösen auch eine historische und neben dieser sogar eine psychopathologische Deutung zulässt. Für alle Wunder und Plagen gibt es auch mögliche rationale Erklärungen, und ob Moses Begegnungen mit Gott (in der Gestalt eines kleinen Jungen) Visionen oder Halluzinationen sind, bleibt ebenso offen wie der Ausgang des Unternehmens (was nur cineastische Spötter auf Exodus II hoffen lässt). Scott wollte wohl nicht nur einen Moses für Erwachsene, sondern auch einen Moses für eine Zeit, in der Konfusion das vorherrschende Empfinden ist. Auffällig oft (und zynisch genug) wird zwischen Moses und seinem brüderlichen Widersacher, dem jungen Pharao, ökonomisch-strategisch argumentiert. Der Kampf, so wäre eine Lesart von Exodus, ging weniger um das richtige oder falsche Gottesbild, der Kampf ging um das richtige oder falsche Menschenbild. Nach vorherrschender Meinung von Kritik und Publikum bislang ist Ridley Scott mit seinem Versuch eines zeitgemäßen Moses-Bildes gescheitert. Das kann, neben einem Drehbuch, das Effekt-Blockbuster-Kino mitsamt digitalem 3-D-Look mit einer leichten Version von Mythen-Dekonstruktion verbinden wollte, mehrere Gründe haben.
Einer davon liegt wohl darin, dass viele Zeitgenossen mit einem Moses von Widerspruch und Zweifel, einem, der eine Religion lebt wie unsereins eine Neurose, nicht viel anfangen kann. Die furchtbare mosaische Unterscheidung zwischen dem Richtigen und dem Falschen trifft am Ende sein eigenes Bild. Moses ist einfach zu kompliziert für unsere Kultur von Konfusion und Vereinfachung.
Georg Seeßlen
Dieser Beitrag erschien in der Freitag 2/15 vom 10-01-2015
Bild: Twentieth Century Fox
- MISCHPOKE II - 4. März 2024
- Bruno Jasieński: Die Nase - 27. Juli 2021
- Manifest für ein Kino nach Corona | Brauchen wir andere Filme? - 27. Juli 2021
Schreibe einen Kommentar