MEDIENKRISE

Sprechblasen, geplatzt

Nun schafft die FAZ aus Geldmangel auch noch ihre Comics ab. Dabei ist die Geschichte der Strips von der Geschichte der Zeitung nicht zu trennen

Die Nachricht, dass die FAZ ihre ohnehin schon zusammengeschnurrte kleine Comic-Zugabe einstellen wird, und zwar, explizit, wegen der Honorarzahlung an die Zeichner im niedrigen dreistelligen Bereich, hat vielleicht ein wenig mehr Signalwirkung, als es ihren Urhebern lieb ist. Es ist zunächst im allerwörtlichsten Sinn ein Armutszeugnis. Auf dem bürgerlichen Publizistik-Schiff mit Schlagseite tut man etwas, das sich eigentlich nur Quasi-Monopolisten wie die Deutsche Bahn leisten können: Man reduziert das Angebot und erhöht den Preis. Und man wirft genau das über Bord, was einen kulturellen Zusatzwert zu News und Kommentar bildete, jene Elemente, die einen mehr oder weniger lustvollen Gegenpol zur täglichen Mischung aus Katastrophe und Schwachsinn boten. Eine Abteilung wie Bilder und Zeiten und nun eben: die Comics.

Was haben Comics eigentlich in einer Zeitung zu suchen? Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in die Geschichte der Zeitungscomics. Ihr ökonomischer Ursprung liegt in den „Zeitungskriegen“ der USA am Ende des 19. Jahrhunderts, ihr ästhetischer indes nicht zuletzt in den deutschen „Bildergeschichten“ à la Wilhelm Busch. Die Comics dienten einerseits der Verständigung: Die Bild-Text-Kombinationen halfen den Einwanderern beim Erlernen der englischen Sprache, und umgekehrt konnte man sich in Serien wie „Katzenjammer Kids“ über das broken english und die Mischsprachen (Englisch mit deutschen Wort- und Grammatikresten) amüsieren. Aber zur gleichen Zeit boten die Comics, von ihrem Urbild The Yellow Kid an, ein anarchisches, aufmüpfiges und lustvolles Gegenbild zu den Nachrichten aus Politik und Verbrechen.

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screenshot blondie.com/todays_strip

Schon sehr bald waren die täglichen Comics (sonntags in Farbe) ein wichtiges Element in der Konkurrenz der führenden Zeitungsverleger. Wer eine populäre Serie ergattert hatte, konnte sich des Zuspruchs sicher sein. Und die Comics begleiteten eine um die andere Generationen von US-Amerikanern: Von Mary Worth bis Blondie zeigten sich ideale und nicht so ideale Familien; mit Prince Valiant ließen sich Jungsträume mit hehren Werten verbinden. Little Nemo in Slumberland von Winsor McCay war die größte, vielleicht nie wieder erreichte Synthese von zeichnerischer Begabung, liebevoller Detailarbeit und Autorenfantasie. Die Frage, ob (Zeitungs-) Comics Kunst sein können, lässt sich mit jeder einzelnen Little-Nemo-Seite hinreichend beantworten.

Kritisch-satirische Alltagschroniken

Die Abenteuerhelden begleiteten die Soldaten in den Weltkrieg; mit den Peanuts zog moralische sophistication in die Neurosenvorstadt des Mittelstands; und Dilbert erklärt uns Zeitgenossen, warum das Leben im postindustriellen Angestelltendasein nur als fortgesetzte Psychose möglich ist. Es gab endlich Strips mit afroamerikanischen Protagonisten (The Boondocks); viele der neueren Serien wie Monty oder Get Fuzzy sind postmoderne Spiegelungen eines Alltags, der zum großen Teil selbst schon aus Medien und Reklame besteht. Und in Lucky Cow schauen wir in die hinteren Räume eines Fast-Food-Unternehmens und sehen dem einen oder anderen amerikanischen Traum beim Platzen zu.

Die Funktion der Zeitungscomics, der neunten Kunst neue Möglichkeiten zu verschaffen, Experimente zuzulassen und vor allem kritisch-satirische Alltagschroniken zu entwerfen, hat sich in den über 100 Jahren kaum geändert. Die Zeitungen konnten noch so sehr lügen; die Comics erzählten die Wahrheit. Auf ihre Weise. Anders als die politischen Karikaturen nicht von der Welt der Mächtigen, sondern von der der Leser. Und ihre Kids eingeschlossen. Was sich freilich änderte, waren die ökonomischen Bedingungen. Die Syndikate konnten seit den 1960er Jahren nicht mehr ganz so willkürlich die Löhne für die Zeichner und die Preise für Zeitungen diktieren. Comics wurden insgesamt von einem der billigsten zu einem der teuersten Medien. Und die Zeitungen gerieten unter Spardruck.

bigbeatland 450Noch ist es eher unwahrscheinlich, dass eine amerikanische Zeitung ohne funny pages und Comics erscheinen würde, zu sehr sind die beiden Medien miteinander verknüpft. Der Zeitungsstrip ist schließlich eine ganz und gar eigenständige Ausdrucksform: In der Regel vier Bilder, Ausgangssituation, Bewegung, Retardierung, Pointe. Diese Dramaturgie ist einem in Fleisch und Blut übergegangen, man lebt sie förmlich, jede Woody-Allen-Szene ist aus ihnen gebaut; und Allen wurde umgekehrt auch wieder Held eines Zeitungsstrips. Ohne Comics wäre das, was in der Zeitung steht, und noch mehr das, was nicht darin steht, nicht auszuhalten.

Der Abbau dieser Kultur scheint soziologisch so unmöglich wie ökonomisch unvermeidlich. Aber in diesem Abbau verbirgt sich auch Politik. Um den Verlust zu erkennen, muss man wohl das kritische Potenzial der Comics ins Gedächtnis rufen. Eine Serie wie Doonesbury etwa begleitet nicht nur die amerikanische Außenpolitik, sondern behandelt auch die moralischen Klemmen, in die junge und nicht mehr so junge Amerikaner beim Älterwerden kommen, und wie sich kritisches Bewusstsein und Anpassungszwang zueinander verhalten. An den Schnittstellen von Politik und Alltag: eine Gegen-Erzählung. Die amerikanischen Zeitungscomics sind, wenn man den Begriff sehr weit fasst, „links“, liberal und das, was man bei uns gesellschaftskritisch nennen würde.

Katastrophaler Qualitätsverlust

Eine Kultur der Zeitungscomics wie in den USA hat es hier natürlich nie gegeben. Comics waren im besten Fall kleine Zugaben für Kinder. (Der Verfasser erinnert sich gern an Nachmittage beim Großvater, in denen er die Wochen-Stapel des Münchner Merkur nach den Petzi, Pelle, Pingo-Strips durchforsten durfte.) Neben der Übernahme amerikanischer Serien, vorzugsweise der eher zeichnerisch traditionellen und inhaltlich harmlosen, oder einer „Real Time“-Serie wie der britischen Alex (in der FTD) konnten sich nur wenige deutsche Autoren mit Strips durchsetzen, die in etwa so funktionieren wie die amerikanischen. Darunter in der taz Tom mit Touché oder Andreas Michalkes Bigbeatland und schließlich Volker Reiche mit Strizz. Und natürlich, nicht zu vergessen, das schöne Storyboard im Freitag; wenngleich eher eine Mischung aus Comic und Illustration.

Mit Strizz wären wir wieder bei der FAZ. Die Strips dort, mit denen man im Jahr 2000 begann, hatten einen zweiten Aspekt, nämlich sie einem Publikum näherzubringen, das von den ästhetischen und inhaltlichen Möglichkeiten des Mediums erst überzeugt werden musste. Oft war daher von der Aktualität und der kritischen Alltagsbegleitung des genuinen Zeitungscomics – natürlich immer abgesehen von Reiches großartigem Strizz – kaum etwas zu spüren. Stattdessen handelte es sich eher um gestückelte Vorabdrucke von Serien, deren Qualitäten sich erst in der gebundenen Form zeigten. Man wollte beweisen, dass Comics nicht nur Spaß machen, sondern auch „ernste Themen“ behandeln können. Vielleicht aber liegt gerade darin ein großes Missverständnis: Der „richtige“ Zeitungscomic lebt nicht nur von seiner kritisch-sarkastischen Alltagsbegleitung, sondern auch von einer speziellen Form der Wiederkehr und Variation von Grundsituationen. Die Grundelemente so zu variieren, dass sie immer wieder Überraschendes bringen, ist Kunst und Verkaufstrick.

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Prince Valiant (screenshot www.oregonlive.com/comics-kingdom)

Die FAZ beendet ihr Comic-Engagement nun ganz anders, nämlich mit der Graphic Novel Der Traum von Olympia von Reinhard Kleist, die auch schon als Buchausgabe angekündigt ist. „Entzugserscheinungen“ wird es also wohl nicht geben, aber für die deutsche Comic-Szene ist das nicht nur ein ökonomischer, sondern auch ein kultureller Schlag. Eine Möglichkeit, sich einem nicht von vornherein Comic-affinen Publikum zu präsentieren, fällt aus. Und das Ganze sagt natürlich auch etwas darüber aus, wovon man sich in der Krise am ehesten zu trennen bereit ist. Und schließlich gibt es einen intensiven Zusammenhang zwischen der ökonomischen und der ästhetischen Situation eines Mediums. Andreas Platthaus, dem nun die undankbare Aufgabe zugefallen war, die Einsparung zu verkünden, hatte im Jahr 2009 in der FAZ noch über die Reduzierungen in amerikanischen Zeitungen berichtet: „Die verbleibende Fläche für Comics ist heute nur mehr eine klägliche Andeutung dessen, was früher einmal an Opulenz auf diesem Feld herrschte.“

Wenn also die Möglichkeiten für Comic-Künstler, von ihrer Arbeit zu leben und ihre Kunst im Gegenzug weiterzuentwickeln, weniger werden, wird dies auch Auswirkungen auf die Arbeit selbst haben, ganz so, wie die, natürlich ebenso als „Sparzwang“ legitimierte, Reduzierung von Drehtagen bei Fernsehserien zu einem manchmal katastrophalen Qualitätsverlust führen muss. Populäre Kultur gilt in Deutschland immer noch als eine Maschine, mit der man Geld aus der Blödheit der Adressaten quetscht. Das ist sie natürlich auch, sie kann aber auch etwas ganz anderes sein. Wenn man sie ernst nimmt.

Und: Auch die ästhetische Verarmung der Zeitung entspricht einem großen Missverständnis. Als Informationsmedium ist die Zeitung ersetzbar. Als haptisches, dramaturgisches, ikonografisches und durchgestaltetes „Kunstwerk“ für den Alltag ist sie es nicht. Natürlich kauft sich kaum jemand eine Zeitung nur wegen der Comics. Man kauft sie, wenn man es noch tut, weil man sich in ihr in gewisser Weise zu Hause fühlt. Die genuinen Zeitungscomics wandern derweil ins Museum und in bibliophile Sammlerausgaben ab. Zeugnisse einer einst in der Tat prächtigen und liebevollen, aber eben auch manchmal rotzfrechen Kunst. Einen Little Nemo werden wir wahrscheinlich nie wieder bekommen.

Georg Seeßlen

zuerst erschienen in freitag.de, 14.11.2014

Little_Nemo_1911-04-02-680 Little Nemo comic strip by Winsor McCay 02-04-1911