Wiedersehen mit Dr. Mabuse 

Der großkriminelle Psychoanalytiker Dr. Mabuse wurde im filmsoziologischen Cabinet des Dr. Kracauer gründlich enttarnt: Leinwand-Sinnbild der kommenden Tyrannei. Das Bindeglied zwischen den „zeitfernen“ Tyrannen wie „Nosferatu“ und der modernen Welt der frühen 1920er Jahre mit ihren Schwarzmarktgeschäften, dem Lebenshunger, der Demokratie mit zu wenig Demokraten und mit den kaum vernarbten Wunden des Krieges. Ein Gesellschaftsverwandter des Dr. Caligari, gewiss, und doch auch seine präzisere Fortsetzung. Der Autor Norbert Jacques, aus Luxemburg stammend, entwickelte seine Figur des Superverbrechers aufgrund seiner Beobachtungen von Schmuggel und Schwarzmarkt am Bodensee des Jahres 1919; er brauchte nur einen Hintergrund zu dem zu phantasieren, was er sah. Und auch Fritz Langs Filme, „Dr. Mabuse der Spieler“ (1922) und „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1933), sollten einst auch wegen ihrer „dokumentarischen“ Qualitäten gerühmt werden. Ein unfassbares, allgegenwärtiges und maskiertes Grauen, das durch die Modernisierungs- und anderen Krisen schlich, eine Verschwörung, die das Trivialste mit dem Absurdesten verband, und mit einem leeren Zentrum: Dr. M.

Mabuse wurde zur Chiffre jener modernen Barbarei der terroristischen Verschwörung, die sich als einziges Mittel gegen die Unordnung anbietet, die sie selber angerichtet hat. Die methodische Verwandtschaft zu den Nazis scheint noch überzeugender als es vielleicht eine innere Verwandtschaft tut, der Tyrann als Projektion von Angst und Begehren. So weit die Filmgeschichte, auf die man sich geeinigt hat.

In den 1960er Jahren kehrte Fritz Lang aus dem amerikanischen Exil zurück und versuchte, an einige seiner Vorkriegserfolge anzuknüpfen. Mit seiner „Mabuse“-Figur (oder Un-Figur) gelang es ihm wohl am eindrücklichsten. Arthur „Atze“ Brauner hatte die Rechte gekauft und versprach sich mit einer Serie von Filmen um Dr. Mabuse ähnliche Publikumsrenner wie mit den Edgar Wallace-Filmen dieser Zeit.

So sicher wie bei der Mabuse / Hitlerismus-Analogie der beiden Zwischenkriegs-Filme ist sich die Filmgeschichtsschreibung über die Mabuse-Serie, die zwischen 1960 und 1964 entstand und es auf sechs Filme brachte, bei denen nach Fritz Lang selber die üblichen Verdächtigen des deutschen Genrekinos Regie führten, Harald Reinl, Pal May, Werner Klingler, und in denen die Stars dieses Kinos, Lex Barker, Peter van Eyck, Gert Fröbe, Klaus Kinski, Karin Dor oder Senta Berger ihren Spaß hatten: Purer Kino-Attraktionismus mit gelegentlichen Anflügen von schlechtem Geschmack und unfreiwilliger Komik, heute vor allem: Nostalgie.

Ich habe keine Ahnung, was die Filmgeschichtsschreibung da so sicher macht. Diese Verschwörungs- und Maskierungsthriller mit ihren Gadgets von „Todesstrahlen“, Hypnose und Kugelschreibergeschossen entstanden in der Zeit, als die erste BRD-Nachkriegsgeneration in eine Demokratie hineinwuchs, die ihren Eltern innerlich fremd geblieben war, in der eine Regierung Brandt zugleich „mehr Demokratie wagen“ wollte und einen „Radikalenerlass“ ausheckte und in der das Wirtschaftswunder in Hedonismus und Krise zerfiel. Da sollte einer wie Mabuse keine weitere Bedeutung gehabt haben?

„Dr. M schlägt zu“ entstand im Jahr 1972 und sollte die Serie noch einmal beleben. Arthur Brauner schrieb persönlich ein erstes Drehbuch und führte darin seine wildesten Phantasien von Homunculus, Spionage und Verschwörung Gassi. Die Welt war endgültig aus den Fugen geraten, doch im Unterschied zu den Mabuse-Filmen der 60er Jahre gab es nichts und niemanden mehr, was gegen die Frankensteins, Superverbrecher und verrückten Rollenspieler der Errettung wert gewesen wären. Es war Krise, und der richtige Regisseur für das Krisenkino der 70er Jahre war der Spanier Jess Franco. Wahrscheinlich hätte er, in einem anderen Jahrhundert, katalanische Kirchen mit Schreckensbildern von Märtyrern und Heiligen bemalt. In der Zeit von Franco und Willy Brandt drehte er zwischen Berlin und Madrid ganz preiswert durchaus prächtige Schundfilme. Jetzt war Dr. Mabuse in Farbe, und zwar verdammt viel Farbe, es gab nackte Frauen und weite Horizonte (und andere Western-Zitate), Siegfried Lowitz spielte mit, und Friedrich Joloff, und die Eva Garden und Ewa Stroemberg, da könnte man viel erzählen. Rolf Kühn schrieb die Musik, der das Zeug zu einem deutschen Ennio Morricone gehabt hätte, wenn sich (Jazz-) Musik und Genrekino damals nur gegenseitig ein bisschen ernster genommen hätten.

„Dr. M schlägt zu“ ist natürlich purer Cine-Trash; ein Genuss für Menschen, die einer Filmkamera einmal weniger beim Erzählen und Verstehen, als beim Träumen zusehen wollen. Guilty Pleasure, wie man so sagt. Aber natürlich kann man diesen Film und die Dr. Mabuse-Filme der 60er Jahre auch noch mit einem anderen Blick ansehen, mit dem Kracauer-Blick, als wären sie, nicht anders als die ersten Mabuse-Filme der Vor-Hitlerzeit, ein Blick in die Zukunft. In unsere Gegenwart, mit anderen Worten.

Georg Seeßlen

 

 

 

Dr. M schlägt zu

(Pidax) 1 DVD

 

Dr. Mabuses Meisterwerk

(Die berühmten sechs Mabuse-Filme der sechziger Jahre)

(Universum) 6 DVD:

Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960, ca. 99 Min., FSK 16)

Im Stahlnetz des Dr. Mabuse (1961, ca. 85 Min., FSK 16)

Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (1962, ca. 84 Min., FSK 16)

Das Testament des Dr. Mabuse (1962, ca. 84 Min., FSK 12)

Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963, ca. 86 Min., FSK 16)

Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse (1964, ca. 87 Min.)