Michael André
Michael André wurde 1948 in Vlotho/Kreis Herford geboren. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Düsseldorf und arbeitete in diesen Jahren parallel film-journalistisch für diverse Tageszeitungen.
Nach Studium und Volontariat trat er 1982 in die Redaktion der Westdeutschen Zeitung in Düsseldorf ein. 1987 übernahm er das Fernsehressort des Blatts und baute die Seite zu einer breit gefächerten, auch medienpolitisch orientierten Seite um. Was auf die Dauer weder dem Chefredakteur noch dem Verleger gefiel und was das Ende seiner Zeit in den Printmedien einläutete. Er ging zum WDR nach Köln.
Dort gehörte André 1992 zur Gründungsredaktion des ARD-Morgenmagazins. Nach Jahren in der WDR-Intendanz (Pressestelle) wechselte er Ende 1997 in die Programmgruppe Fernsehfilm. Dort übernahm er zum Einstand das Projekt “Jahrestage”, die Verfilmung des weltberühmten gleichnamigen Romans von Uwe Johnson. Nach Jahren der Finanzierung und eines spektakulären Regiewechsels (von Frank Beyer auf Margarethe von Trotta) erlebte der Film schließlich im Herbst 2000 als Vierteiler in der ARD seine Premiere. Rückblickend begann mit den „Jahrestage“ eine Renaissance der Literaturverfilmungen, ein Genre, das in den 1990er Jahren noch als altmodisch und überholt galt.
Geschichte, immer wieder Geschichte
Schwerpunkt von Andrés Tätigkeit ist die filmische Auseinandersetzung mit deutscher Zeitgeschichte. Auf die “Jahrestage” folgte 2003 Peter Keglevics “Zwei Tage Hoffnung”, ein Stück Gedenkfernsehen zum Aufstand am 17. Juni 1953. Das Pendant dazu bildete drei Jahre später Hartmut Schoens “Die Mauer – Berlin 61″ (2006). Ein aufwändiger, vom Emmy-Award nominierter Geschichtsfilm, der über ein kleines Familiendrama ein die traumatische, deutsche Teilungsgeschichte behandelt. Mit dem vielfachen Grimme-Preisträger Schoen hatte André bereits bei “Der Grenzer und das Mädchen” (2005 – Civis-Preis) zusammengearbeitet. Ein Quoten- wie Kritikererfolg war 2005 das Stasi-Drama “Der Stich des Skorpion” von Stephan Wagner nach einem Buch von Holger Karsten Schmidt. Ein Film nicht ohne Ähnlichkeiten zum zwei Jahre später realisierten Welterfolg „Das Leben der anderen“ von Henkel von Donnersmarck auf. Mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde Jo Baiers Widerstandsdrama “Stauffenberg” (2004). “Die Flucht” (2007) war der Höhepunkt – und womöglich auch Wendepunkt – in der langen Reihe neuer deutscher Geschichtsfilme: Jeweils über 11 Millionen sahen in der ARD Maria Furtwängler als unbeugsame Gräfin Mahlenberg auf dem Weg von Ostpreußen in den Westen.
Dazwischen immer wieder Kino-Koproduktionen: Fatih Akins zwischen Apulien und Ruhrgebiet spielende Geschichte zweier entfremdeter Brüder “Solino” (2002) mit Moritz Bleibtreu und Barnaby Metschurat. Oder zwei Filme mit Detlev Buck. Auf die schwarze Gesellschaftssatire “Liebesluder” (2000) folgte sechs Jahre später das Jugenddrama “Knallhart”. Dafür gab es drei Deutsche Filmpreise. Dazu kommt ein klassischer Autorenfilm wie Jutta Brückners “Hitlerkantate” (2006). Ein Film über deutsche Frauen und deren fanatisch-erotische Verehrung für den Führer, der auf viele internationale Festivals eingeladen war. Oder – ganz anders – Thomas Durchschlags Borderline-Drama “Allein” (2005), ein Debütfilm mit Lavinia Wilson im Zentrum.
Ein blinder Götz George und ein zorniger Burkhard Klaußner lieferten sich in „Der Novembermann“ (2007) ein hinreißendes Duell zweier Männer, die um dieselbe Frau trauern. In „Nichts ist vergessen“ (2007) gewann Nils Willbrandt einem bis zum Überdruss stereotyp abgehandelten Thema, dem des nicht therapiefähigen Triebtäters, neue Züge ab. In diese Liste der Dramen, die von Verdrängtem und über Obsessionen handeln, fügt sich auch der jüngste Film. „In den besten Jahren“ (Dezember 2011), wieder eine Zusammenarbeit mit Hartmut Schoen, rückt eine Frau ins Zentrum, die sich ihr Leben lang als Opfer der RAF gefühlt hat. Ihr Polizisten-Mann ist bei einem Routineeinsatz in den unruhigen 70er Jahren ums Leben gekommen und dieser politische Mord wurde aus Gründen von Kronzeugenregelung und vorgeblicher Staatsraison niemals mit aller Konsequenz verfolgt. „Nicht nur dank Senta Berger ein großes Schauspielerstück“, urteilte Spiegel Online.
Komödien und Berliner Schule
In dieser dicht besiedelten Landschaft voller geschichtlicher wie persönlicher Dramen finden sich auch einige Komödien: Anno Sauls übermütiger Multikultifilm über die erhoffte Aussöhnung verfeindeter Ethnien „Kebab Connection“ (2004): Bernd Böhlichs optimistische Tragödie „Du bist nicht allein“ in Berlin-Marzahn; Dietrich Brüggemanns gar nicht larmoyanter Behindertenfilm „Renn wenn du kannst“ und schließlich Hermine Huntgeburths „Neue Vahr Süd“. Der erste Teil von Sven Regeners berühmter Bremischer Lehmann-Trilogie. Wieder eine Zeitreise, diesmal in die frühen 80er Jahren. Im Zentrum Frank Lehmann. Um ihn herum zwei absurde, geschlossene Welten, die der Bundeswehr und die der alternativ-studentischen Szene. Für diesen frühen clash of cultures, gab es Bayerische Fernsehpreise, Grimmepreise und – eine Seltenheit für ein öffentlich-rechtliches Programm – den Deutschen Comedypreis.
Erwähnenswert auch Hans Steinbichlers „Die zweite Frau“ (2008). Die Geschichte eines spätreifen Mannes, der sich über die Liebe zu einer rumänischen Frau aus dem Schatten seiner übermächtigen Mutter und der deutschen Provinz löst, war der Grimme-Jury einen Preis wert. Als prominenter Vertreter der „Berliner Schule“ hat Christoph Hochhäusler mit „Unter dir die Stadt“ (2010) einen Kinofilm geliefert, der für sich in Anspruch nehmen kann neben einem Liebesdrama auch ein globalgesellschaftliche Drama thematisiert zu haben, das unter der Schlagzeile Banken- und Finanzkrise die Welt in Atem hält.
Drittes Betätigungsfeld in nun fünfzehn Jahren Tätigkeit als Redakteur und Dramaturg im WDR sind internationale Kino-Koproduktionen. Über Arte und die Internationalen Koproduktionen des Europäischen Kulturkanals hatte André das Glück, in Arbeits-Zusammenhänge mit der crème de la crème der europäischen Regisseure zu kommen: Lars von Trier (“Dancer in the Dark”, “Dogville”, “Manderlay”), Patrice Chéreau (“Intimacy”), Stephen Frears (“Liam”), Ken Loach (“Sweet Sixteen”), Michael Glawogger („Das Vaterspiel“) und Michael Haneke (“Caché”). Sehr erfolgreich auf Festivals und bei der Kritik waren aber auch “Die syrische Braut” (Eran Riklis – Publikumspreis in Locarno), “The Golden Door” (Emanuele Crialese – Silberner Leopard in Venedig).
Literarische Vorlagen beschäftigen André auch aktuell: „Die Vermessung der Welt“, Detlev Bucks nach Jahren der Vorbereitung nun endlich zustande gekommene Verfilmung des Erfolgsromans von Daniel Kehlmann. Wobei der Schriftsteller nicht unwesentlich zur szenischen Fassung seiner Doppel-Biographie Gauss und Humboldt beigetragen hat. Jetzt fiebert Kehlmann – wie auch alle anderen bei dieser großen ARD-Kino-Koproduktion – der Wiederbegegnung mit seinem Roman in einer 3D-Version entgegen. Kinostart: Herbst 2012.
Weitere laufende Projekte:
Ulrich Seidls Trilogie „Paradies“. Sehn-Süchte von – nicht nur österreichischen – Frauen in der Post-Moderne werden mit quasi-dokumentarischer Präzision verfolgt, ihr Verlangen nach Liebe, nach Sinn, nach Schönheit. Michael Hanekes „Amour“ ist in bewährter Kombination zwischen Frankreich, Deutschland und Österreich zustande gekommen. Ein Zwei-Personenstück, mit einer hochprominenten Nebendarstellerin: Isabelle Huppert als Tochter von Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant. Und es geht – wie der Titel es verheißt – um die letzten Dinge: Um Liebe, Tod und Liebe über den Tod hinaus. Uwe Tellkamp hat mit „Der Turm“ die literarisch ambitionierte Vorlage geliefert für einen zweiteiligen ARD-Fernsehfilm. Im Herbst 2011 hat Christian Schwochow in prominenter Besetzung diesen Stoff adaptiert. Die versunkene Dresdner Bürgerwelt, die ebenso real war wie die sie umgebende real existierende sozialistische DDR, wird zum Leben erweckt. Sendetermin in der ARD wird 2012 sein. Schließlich Edgar Reitz, der ab April 2012 sich an ein weiteres Hunsrück-Epos begibt: „Die andere Heimat“ – eine Koproduktion mit Degeto und Arte – führt zurück ins 19. Jahrhundert, als bittere Armut in Schabbach herrschte und nur die Hoffnung auf Auswanderung nach Südamerika die Dörfler am Leben hielt.
Neben seiner Tätigkeit als Redakteur und WDR-Mitarbeiter hat André im Lauf der Jahre auch Lehraufträge an verschiedenen Film- und Kunsthochschulen wie der UdK in Berlin oder der KHM in Köln wahrgenommen. Er hat zu film- und fernsehtheoretischen Fragen wie auch anderen Themen in verschiedenen Blättern wie dem “Freitag” publiziert. Er ist Autor eines bei der edition text + kritik erschienenen Aufsatzbandes zu Michael Haneke und ist Mit-Herausgeber von „Plötzlich so viel Heimat“, eines Sammelbands eines WDR-Symposiums zum Thema Heimat.
Seine Liebe zu Journalismus & Literatur, eingeschlossen die Niederungen von Trash & Kitsch, haben ihn nie verlassen.
Seine Lieblingsfilme:
Kino:
Stummfilm: The General “Der General” USA: 1926, von und mit Buster Keaton Komödie: Sullivan’s Travels, USA: 1941, Buch und Regie: Preston Sturges Polizeifilm: Touch of Evil, USA: 1958, Buch und Regie: Orson Welles mit Orson Welles als Polizeichef Hank Quinlan Liebesfilm: North by Northwest, USA: 1959, Regie: Alfred Hitchcock Erotikfilm: Maitresse, (F: 1976), Buch und Regie: Barbet Schroeder mit Bulle Ogier und Gérard Depardieu.
Fernsehen:
Serie + Reihe: Heimat (Chronik in elf Teilen), D: 1984, Regie: Edgar Reitz Featurefilm: Dr. Murkes gesammeltes Schweigen, D: 1964, mit Dieter Hildebrandt
Stand: 29.01.2009
- Johannes Willms: Der General. Charles de Gaulle und sein Jahrhundert - 4. November 2019
- Clemens Klünemann: Sigmaringen. Eine andere deutsch-französische Geschichte - 19. September 2019
- Matthias Waechter: Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert - 1. August 2019
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