Kaum zu glauben, aber wahr: Angaben zum Mischungsverhältnis von Beton können knisternde Krimispannung ausstrahlen.
Beton bestimmt den Berufsalltag von Ivan Locke (Tom Hardy). Der Bauingenieur ist dafür – neben vielem anderen – verantwortlich. Wie selbstverständlich natürlich auch für sein Privatleben verantwortlich ist. Beides, Berufs- und Privatleben, sind bei ihm in verdammter Schieflache. Ivan wird nämlich Vater. Die werdende Mutter allerdings ist nicht seine Frau, mit der er bereits zwei Kinder hat und eine glückliche Ehe führt. Zu viel Alkohol hat Ivan die erneute (und von ihm nicht gewollte) Vaterschaft eingebracht. Der Schwangeren hat er, ganz Ehrenmann, versprochen, bei der Geburt des gemeinsamen Kindes dabei zu sein. Und diese Geburt steht nun an. Also lässt Ivan alles stehen und liegen und rast mit dem Wagen Richtung London. Auf der Fahrt versucht er per Telefon sein berufliches wie privates Leben zu ordnen und zu sichern, wobei dann auch der Beton ins Spiel kommt. Doch nicht nur der erweist sich als harte Aufgabe …
Die enorme Spannung resultiert aus einem kraftvollen Drehbuch voller scharfer Dialoge. Da wird noch das Banalste zum Bild eines Daseins am Rande der Vernichtung. Schon als Autor hat Steven Knight ganze Arbeit geleistet. Das hat er dann als Regisseur fortgesetzt. Wobei er mit Tom Hardy den idealen Protagonisten für das Ein-Mann-Drama engagiert hat. Der als Batman-Widersacher in „The Dark Knight Rises“ bekannt gewordene Schauspieler fesselt mit einer grandiosen Präsenz. Egal, was er sagt: man hängt an seinen Lippen. Der Brite erweist sich als großer Könner. Mit einem minimalen Spielraum, und nahezu auf sich allein gestellt (andere Figuren sind allenfalls als Stimme am Telefon dabei), gestaltet er eine überaus komplexe Charakterstudie. Dank seiner weitet sich die Story zum Psychothriller.
Die Idee, einen Film von einem einzigen Akteur tragen zu lassen, ist nicht neu. Im Horrorgenre punktete damit jüngst zum Beispiel „Buried – Lebendig begraben“. Da allerdings erwächst die Spannung aus der Frage, ob am Schluss der Sensenmann triumphiert. Selbst der philosophische Ein-Mann-Exkurs „All is Lost“ mit Robert Redford verzichtete nicht darauf. Steven Knight tut genau das. Und auch deshalb wird die Geschichte des persönlichen Versagens und des Versuchs, sich selbst an den eigenen Haaren aus dem Dreck zu ziehen, zum existentiellen Drama von erstaunlicher Dichte. Man wankt tatsächlich mit schlotternden Knien aus dem Kino.
Peter Claus
No Turning Back, von Steven Knight (Großbritannien / USA 2014)
Bilder: Wild Bunch / Studiocanal
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar