Die 32. Art Brüssel geriet zu einem weiteren Exerzierplatz der Versuche, dem Kunstmarktgeschehen die Aura der ästhetischen Respektabilität zu verschaffen
Ein Aluminium-Lineal auf einem grauen Holztisch – “Portrait Bruno van Lierde”, die Arbeit, die der niederländische Fluxus-Künstler Stanley Brouwn 2010 für den belgischen Industriellen Bruno van Lierde schuf, ist nicht gerade das klassische Porträt eines Sammlers. Aber womöglich faszinierte gerade diese radikale Abstraktion den Mann, der sie in Auftrag gab. Zu sehen war die Arbeit passenderweise in der klitzekleinen Ausstellung “Portrait of the Collector as a Work of Art: An Intimate Journey” nur während der drei Tage der Art Brüssel 2014 Ende April. Markierte die von Katerina Gregos und Frank Lubbers kuratierte Minischau doch eine Art von ästhetisch veredeltem Kniefall vor dem Menschen mit Geld, ohne den keine Kunstmesse dieser Welt existieren könnte.
Die zehn Mitglieder des Sammler-Komitees der belgischen Leitmesse für bildende Kunst durften ein Werk ausstellen, das ihre Persönlichkeit ebenso widerspiegelt wie ihre ästhetischen Präferenzen. Zugleich zeigt die Schau den Versuch, dem schnöden Marktgeschehen vermittels kuratorischer und diskursiver Praktiken eine respektable, nichtkommerzielle Aura zu verschaffen. Nichts anderes stand auch hinter dem Coup, ausgerechnet Gregos zur künstlerischen Direktorin der Art Brüssel zu berufen. Die 1968 in Athen geborene Kuratorin, die sich mit Schauen wie der Menschenrechts-Überblicksschau “The State of Human Rights” (2012) im belgischen Mechelen oder der Mitarbeit an der (traditionell politischen) Manifesta-Biennale im selben Jahr in der belgischen Kohlebergbau-Stadt Genk einen guten, kritischen Ruf erworben hatte, hat diese Strategie nämlich zum Markenzeichen der Messe gemacht.
Monika Ertls Pistole
Mantramäßig wiederholte Marketingselbstdarstellungen wie die, dass die Art Brüssel eine “Entdecker”-Messe ist, sollte man mit äußerster Reserve begegnen. Sehr viel mehr überraschende Entdeckungen als andernorts macht man auch in Brüssel nicht. Ausnahmen bestätigen freilich diese Regel. Dazu gehörten etwa Marco Polonis fotografieinstallativen Feldstudien “The Pistol of Monika Ertl” zu den revolutionären Aktionen des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli bei der Berliner Galerie Campagne Première. Die Serie aus dem Jahr 2013 kostete zwischen 3000 – 6000 Euro.
Oder Andrés Galeanos Fotoarbeiten “Unknown Photographers” beim Berliner Grummuseum. Der spanische Künstler sammelt Fotonachlässe auf Flohmärkten und stellt diese Fundstücke neu zusammen: Zu Landschaftsmotiven etwa oder zu abstrakten Kompositionen (1400 bis 3500 Euro). Zu den Kuriositäten der Messe zählte eine Arbeit des kubanischen Künstlers Lazaro Saavedra. Die staatliche Galerie La Habana aus der kubanischen Hauptstadt bot seine Skulptur eines Marx-Kopfes für 20.000 Euro an. Ob das blutig rot unterlaufene linke Auge des marxistischen Klassikers und revolutionären Übervaters als Metapher, politische Anspielung oder bloß als Joke zu deuten war, ließ der Galerist offen.
Mit durchschnittlich 30.000 Besuchern (2014: 28.800, 2013: 31.000) ist die Messe im gehobenen internationalen Mittelfeld platziert. Nirgends gab es hier Schmuddelecken oder überdurchschnittliche Qualitätsabfälle. Knapp 30 Prozent der 190 Galerien kamen aus Belgien, 88 Prozent aus Europa. Neben der Art Rotterdam ist die Brüsseler Messe mit diesem markanten Fokus ein weiteres Beispiel dafür, dass sich der Kunstmarkt längst noch nicht vollständig ins Internationalistische verflüssigt hat. Was aber auch an den legendären belgischen Sammlern liegt, die für ihren Geschmack und ihren Reichtum berühmt sind.
Kooperation statt Konkurrenz
Im Rheinland dürfte man die Aktivitäten von Gregos auf dem (leider fernab der City gelegenen) Brüsseler Messegelände Heysel, direkt neben dem legendären Fussballstadion und in Sichtweite des Atomiums, mit Argusaugen verfolgen. Zum großen Angstgegner und Konkurrenten der Art Cologne konnte die Brüsseler Messe aber nur deswegen werden, weil die Kölner Traditionsmesse zeitweise von der Berliner Kunstmesse “Art Forum” deklassiert worden war. Nach dem Scheitern der Berliner Hauptstadtmesse hat die Art Cologne ihre Führungsposition nun auf absehbare Zeit zurück erobert. Es spricht für den Realismus und den Weitsinn der beiden Messen, die ihre bislang gleich liegenden Termine seit dem letzten Jahr entzerrt haben, potentiellen Besuchern im nächsten Jahr ein Programm anzubieten, das es ihnen ermöglicht, beide Messen hintereinander zu besuchen. Der Benelux-Raum bietet beiden Messen ein so “reiches” Hinterland, das beide Schauen ernähren kann. Wenn es um Geld geht, hat der Markt keine Problem, die sonst so gelobte Konkurrenz durch Kooperation zu ersetzen.
Positionell ist in Brüssel dennoch für jeden etwas dabei: Neben diesen Newcomern reichte die Skala der Positionen von dem deutsch-französischen Klassiker des Informel, Hans Hartung, den es bei der Knokker Galerie Samuel Vanhoegarden zu sehen und zu kaufen gab bis zu den angesagten, zeitgenössischen Szenestars Cyprien Gaillard, Elizabeth Peyton und Roe Ethridge bei der belgischen Blue-Chip-Galerie Gladstone aus Brüssel. Die Preisklasse variierte dabei von rund 5000 Euro bis zu einem Bereich von 200.000 Euro und darüber. Als Spitzenverkauf wurde ein Werk von Barbara Hepworth gemeldet. Eine europäische Privatsammlung kaufte die Arbeit für über eine Million Euro.
Und man kann ein Wiedersehen mit lange nicht gesehenen Größen abseits des ausgetretenen Klischees von young and emerging feiern. Etwa den Spiegelmosaiken der, inzwischen 90 Jahre alten, iranischen Künstlerin Monir Farmanfarmaian, die die Galerie Third Line aus Dubai und Rose Issa aus London anboten. Die Kreuzungen aus der geometrischen Abstraktion der islamisch-persischen Tradition mit derjenigen unserer Moderne rangierten von 22.000 bis knapp über 300.000 Euro.
Beste Solo-Shows
Die Handschrift von Gregos konnte man daran erkennen, dass sie die Teilnehmer der fünf Sektionen: “Prime” (etablierte Galerien), “Young” (junge Kunst), “First” (erstmals teilnehmende, gesponserte Galerien), “Solo”(Soloshows eines/r Künstler/in) und “Curator’s View”, in die sie die 190 Galerien aus 26 Ländern der 32. Ausgabe der Art Brüssel eingeteilt hat, von renommierten Kuratoren aus Museen und Ausstellungshäusern hat auswählen lassen. Zu ihnen zählten etwa Daria de Beauvais vom Pariser Palais de Tokyo oder Johan Holten, der Direktor der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden.
Das hebt die Qualität der markant zeitgenössischen Messe und schafft die notwendige Abwechslung, die Sammler und Besucher bei Laune hält. Wie man an der Brüsseler Galerie Office Baroque sehen konnte. Sie erhielt für ihre Solo-Show von Catharine Ahearn’s den mit 10.000 Euro dotierten Pirelli-Prize für die beste Solo-Präsentation. Vorselektiert hat diese, am Ende vom “Collector’s Committee” ausgezeichnete Position Direktorin Katerina Gregos selbst.
Die Galerie Transit aus Mechelen etwa zeigte eine sehenswerte, “Spin Doctor” betitelte Schau politisch inspirierter Kunst, bei der die Fotografien von Sergej Bratkov (Ukraine) und Yazan Khalili (9000/27.000 /4000 Euro) ins Auge fielen. Und präsentierte mit dem 1982 in Kiew geborenen Nikita Kadan einen bemerkenswerten jungen Künstler, dessen Wasserfarbenbilder ukrainischer Barrikaden einen der wenigen politischen Akzente der Messe lieferten. Und in Zeiten eines immer unübersichtlicher werdenden Kunstmarktes mag diese forcierte Kuratoren-Strategie auch dem interessierten und kaufbereiten Publikum Übersicht da suggerieren, wo es längst keine mehr gibt. Trotzdem ist dieses, nicht nur in Brüssel zu beobachtende Vorgehen eine äußerst zweischneidige Angelegenheit. Das ohnehin inflationierte Institut des Kurators wird damit nämlich noch mehr zum Feigenblatt des globalisierten Kommerzes.
Ingo Arend
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