Einmal musste es ja so kommen: Dies ist der erste Film von Philip Gröning, mit dem ich so gar nichts anfangen kann. Gröning, ein Meister der stillen Subversivität, hat bisher als Spielfilmregisseur und Dokumentarist immer wieder begeisternd bewiesen, dass sich Spektakuläres ganz unspektakulär zeigen lässt, so, dass die Zuschauer angeregt werden, das behandelte Thema nach dem Kinobesuch weiter zu bedenken. Dieses Mal, meine ich, erschlägt er seinen Film mit sich selbst, sorgt durch ein zu starkes Formbewusstsein für eine unlautere Verschiebung des Interesses am Inhalt auf das an der Form. Die Jury des Filmfestivals in Venedig sah es im letzten September anders: Philip Gröning wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.
Das Thema: Gewalt in der Familie. In fast drei Stunden und in beinahe 60 Kapiteln, die jeweils langsam ein- und ausgeblendet werden, schaut Gröning auf eine alles andere als idyllische Vater-Mutter-Kind-Beziehung. Christine und die kleine Tochter werden von Uwe, dem Gatten und Vater, terrorisiert. Erst ist es eine Ohrfeige, die Christine von Uwe bekommt, bald ist es mehr, sehr viel mehr. Christine wird von ihrem Mann, einem Polizisten, seelisch und körperlich schwer misshandelt. Ein Entrinnen erscheint unmöglich.
Es ist allgemein bekannt, wie schwer es für Opfer von familiärer Gewalt ist, der Tyrannei zu entkommen. Einfach so weggehen, das ist unmöglich. Die Verstrickungen und Abhängigkeiten sind zu komplex. Die Tatsache, dass die Frau mit ihrer Tochter in der Hölle bleibt, halte ich für absolut realistisch. Dem Realismus abträglich aber ist die für mich nicht nachvollziehbare Gestaltung des Films. Eine soziale und psychologische Einbindung der Protagonisten bleibt nahezu vollkommen aus. Die szenischen Arrangements wirken extrem künstlich. Das führt – für mich dazu, dass die Gewalt ausgestellt anmutet, ich mich in die Rolle eines Voyeurs gedrängt fühle. Ich bin ein Schlüssellochgucker. Damit wird mir eine Schmuddelrolle zugewiesen, die mir ein weiteres Nachdenken austreibt. Mir wird nicht mehr erzählt, als dass es grauenvolle Gewalt in vielen, vielen Familien gibt. Das wusste ich schon. Mir ist das als Erkenntnis eines Kinoabends zu wenig, viel zu wenig. Da interessiert mich dann die formale Qualität keinen Deut mehr. Mich! Dennoch: eine Empfehlung. Denn: Lange schon ließ sich über einen deutschen Spielfilm nicht annährend derart gut streiten, wie in diesem Fall. Und Meinungsstreit, zumal ausgelöst durch Kunst, ist immer vortrefflich!
Peter Claus
Die Frau des Polizisten, von Philip Gröning (Deutschland 2013)
Bilder: 3L
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