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Romanverfilmungen punkten oft mit Anspruch. Literatur verpflichtet. Da darf man sich denn auch als Erwachsener und sogar als Denkender angesprochen fühlen. So auch jetzt bei der Adaption des schwedischen Bestsellers.

Das Buch von Jonas Jonasson hat sich weltweit millionenfach verkauft, stand auch in Deutschland auf -x Hitlisten. Die vom schwedischen Regisseur Felix Herngren inszenierte Leinwandversion wurde auf der diesjährigen Berlinale freundlich beklatscht. Die Rezensionen fallen jedoch eher gemischt aus. Leider zu recht. Tatsächlich reflektiert der Film die gedankliche Weite der Vorlage doch nur in einem recht bescheidenen Rahmen. Das jetzt zu sehende road movie arbeitet besonders spektakuläre Situationen der im Buch mit sehr viel Sprachwitz und -lust entfalteten Geschichte: Allan Karlsson (Robert Gustafsson) klettert aus dem Fenster. Er will seinen 100. Geburtstag auf keinen Fall im Altenheim verbringen. Der einstige Sprengstoffexperte möchte noch einmal ein handfestes Abenteuer erleben. Abenteuerlich muten allerdings vor allem seine Erinnerungen an, etwa an Begegnungen mit Leuten wie den spanischen Diktator Franco und dessen grausamem georgischen Bruder in Geist und Tat, Stalin. Immerhin sorgt der Zufallsfund von 50 Millionen Kronen für aktuelle Turbulenzen der schrillen Art. – Schrill ist  d a s  Stichwort für die Verfilmung. Drehbuch und Regie setzen mit Vehemenz und, ja!, durchaus Charme in erster Linie auf die Momente schwarzen Humors der Vorlage. Die von Jonas Jonasson in die skurrile Story eingebaute Auseinandersetzung mit Schrecklichem der schwedischen Historie, etwa der Zwangssterilisierung von Menschen noch vor wenigen Jahrzehnten, wird, wenn überhaupt, allenfalls am Rande gestreift und durch eine Überfrachtung mit zweideutigen Gags bewusst anrüchiger Art entschärft. Bei allem Verständnis dafür, dass ein vielseitiges Buch nicht eins zu eins in einen Spielfilm halbwegs hundert_320verdaulicher Länge verwandelbar ist, ärgert dies. Wo Jonasson meist mehrdeutig erzählt, begnügen sich Herngren und Co. mit ziemlich eindimensionalem, ja, flachem Amüsement.

Aber das Amüsement ist über weite Strecken ein sattes. Was vor allem dem Hauptdarsteller Robert Gustafsson zu danken ist. Wo die Inszenierung oft übertreibt, so werden die Szenen um Franco zur vordergründigen Posse, bleibt der in seiner Heimat ungemein populäre Komiker erfreulich oft verhalten, setzt angenehm häufig auf leise Mittel und gibt der Figur eines „durchgeknallten“ Individualisten dadurch eine schöne Selbstverständlichkeit. Gustafssons Präsenz ist sicherlich in erster Linie zu danken, dass die in Schweden bereits zu Weihnachten in den Kinos angelaufene Komödie innerhalb weniger Tage in der Liste der zehn meistgesehen schwedischen Filme aller Zeiten gelandet ist.

Die Story steigert sich übrigens recht schnell zur handfesten Gaunerballade: Allan hat bald gemeinsam mit Bahnwärter Julius (Iwar Wiklander) nicht nur die Millionen auf dem Hals, sondern auch eine Leiche. Und die Zwei sind, wenn auch ungewollt, die Mörder. Student Benny (David Wiberg), der das Duo in seinem Wagen mitnimmt, hat, wie das Publikum, erst einmal keinen Durchblick. Doch der ist dringend notwendig. Denn einige Kriminelle wollen Rache und, natürlich, den Zaster. Es ist also unvermeidlich, dass es turbulent wird.

Ganz klar: Allan Karlsson ist ein Geistesverwandter des legendären Forrest Gump. Auch er ist ein Tor. Auch er beeinflusst, ohne dass es ihm klar würde, die Weltgeschichte. Auch er ist eine wunderbare Symbolfigur für die Macht der Menschlichkeit. In den Rückblicken auf sein Leben wird das besonders klar. Heraus sticht die Begegnung mit Albert Einsteins Bruder Herbert (David Shackleton), den es übrigens in Wahrheit nie gegeben hat. Da darf eine zündende Anarchie fröhliche Urständ feiern. In Momenten wie diesen erreicht der Film auch eine der wesentlichen Qualitäten der Romanvorlage: Mit scharfem Witz wird aller so genannten politischen Korrektheit eine scharfe Absage erteilt – und die kleinen grauen Zellen eines denkfreudigen Publikum bekommen bei allem Schmunzeln und Lachen einiges zu tun. Mehr davon hätte dem Film und dem Vergnügen daran gut getan. Anfang April kommt eine andere Literaturverfilmung in die deutschen Kinos, „The Long Way Down“, basierend auf einem Text von Nick Hornby. „Der Hundertjährige… “ ist so etwas wie ein Versprechen, dass von dem Film exquisit eingelöst wird.

Peter Claus

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, von Felix Herngren (Schweden 2013)

Bilder: Concorde