Der Datenaktivist
Was haben die Chicks on Speed mit «The Matrix» und Telefonsex zu tun? Der Medienfreak Peter Weibel bringt sie alle zusammen. Wir gratulieren ihm zum Siebzigsten.
Er hat die Sache mit dem Sex in der Stadt, den keiner mehr so richtig hat, schon ganze 16 Jahre vor «Sex and the City» erkannt. In einem Song über Telefonsex nämlich. «Sex in der Stadt» hiess 1982 Peter Weibels Wiener Sommerhit und klang ein bisschen wie die Spider Murphy Gang. Wer sich nicht die dazugehörige LP «Schwarze Energie» kaufen wollte, der konnte in Wiens Telefonkabinen eine bestimmte Nummer anrufen, und bei Anruf gab’s den Song.
Das war, mit den bescheidenen Kommunikationsmitteln jener Zeit, multimedial und interaktiv und irrsinnig aufsehenerregend, und entsprechend selbstbewusst war Peter Weibel. Auf dem Plattencover von «Schwarze Energie» war eine Plattensammlung zu sehen und ein Daumen, der sich ausgerechnet an einer Peter-Weibel-Platte verletzte: «Unsere Platte ist so scharf, dass man sich beim bloßen Hingreifen schneidet», war sein Slogan.
Sein Elend bestand allerdings in der Hauptpublikumsgruppe, die nicht seine Zielgruppe war: «Unseren größten Erfolg hatten wir bedauerlicherweise bei Dreijährigen. Die haben zu unserer Musik wie Roboter gestampft und konnten gar nicht genug davon bekommen. Nur waren sie noch nicht gescheit genug zu sagen: ‹Mama, kauf Schwarze Energie!› Aber sie haben nur danach gelechzt und danach gestöhnt! Wenn Dreijährige ein Taschengeld hätten, dann wären wir heute Millionäre!»
2012 kamen die wilden Mädels der Kunstband von Chices on Speed und coverten «Sex in der Stadt» und Peter Weibel stellte sich mit ihnen auf eine Bühne und gab ein Konzert und lieferte 2013 gleich noch eine neue Sommernummer mit dem Titel «Wir sind Daten», die er eine Hommage an Edward Snowden und Chelsea/Bradley Manning nannte. Er besang darin die Daten-Attentate unserer Zeit, die Datenjäger, Datenträger, es wankten da die Datenbanken und am Ende natürlich – der Absturz. So munter ist das Ganze, dass er sich wünscht, «dass die Kinder, die Sechsjährigen bei den Cornflakes in der Früh singen ‹Wir sind Daten, Daten, Daten! Wir sind Daten, Daten, Daten!›»
Chicks on Speed haben auch diese Nummer einmal mit ihm performt, für das australische Goethe-Institut, und haben bis heute nicht aufgehört, mit dem Herrn, der jetzt seinen Siebzigsten feiert, zu arbeiten, als seine Gäste quasi. Sie recherchierten nämlich zwei Jahre lang bei Peter Weibel am ZKM, am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, wo er seit 1999 Direktor ist und das Haus zu einem Ort mit Weltausstrahlung gemacht hat.
Eine seiner ersten Veranstaltungen war 1999 gleich eine ganze Tagung zum Film «The Matrix», mit Referenten wie Slavoj Zizek, Elisabeth Bronfen und Peter Sloterdijk, das kam einer Revolution gleich, akademische Superstars beschäftigten sich eine Tagung lang mit nichts anderem als einem Science-Fiction-Film, mit der Durchlässigkeit von realer und virtueller Welt, der Entgrenzung, der Ersetzung gar von der alten Welt durch die neue, wie sie sich in «The Matrix» vollzieht.
In seiner Rede sprach Weibel davon, wie sich im Film der Mensch zum lästigen Parasiten der Maschinen entwickeln würde, zum fehlerhaften Wesen, das die Verlässlichkeit, die Exaktheit nicht mehr in sich selbst, sondern nur noch in den Maschinen suchen würde, und dass sich die Welt der Phänomene allmählich zu einer Welt der Programme und Illusionen entwickeln würde. Er stellte das damals ganz ohne Kulturpessimismus fest, er beschloss seine Rede mit den Worten des amerikanischen Dichters E. E. Cummings: «There’s a universe next door. Let’s go.»
Peter Weibel kam am 5. März 1944 in Odessa zur Welt, seine Mutter flüchtete mit ihm über Polen, Tschechien und den Schwarzwald nach Oberösterreich in ein US-Lager für «displaced persons», er selbst nennt sich ein «Migrationsprodukt». Er studierte in Paris und Wien Französisch, Film, Komparatistik, Medizin und schliesslich Mathematik mit dem Schwerpunkt Logik.
Er wurde Musiker, Medienfreak, Medientheoretiker und Medienprofessor in Österreich, Deutschland und Amerika und war schon als junger wilder Wiener Aktionskünstler einer gewesen, der die Auflösung und Verwandlung der immanenten Körperlichkeit gesucht hatte. Einmal liess er sich von der Künstlerin Valie Export als Hundeimitator auf allen Vieren durch Wien ziehen, einmal machten die beiden zusammen eine sogenannte «Tapp und Tastkino»-Performance: Frauen schnallten sich TV-förmige Kisten vor den Busen und Männer durften reinlangen.
Heute ist die Kunst, die er vertritt und ausstellt nicht mehr handgreiflich, sondern beschäftigt sich mit jener immer sublimeren Schnittstelle zwischen der zunehmend kleiner werdenden Realität und dem grenzenlos scheinenden Weltraum der Medialität. Und immer öfter mit dem Thema der letzten Endlichkeit, die den Menschen überhaupt noch einholen wird, dem Tod. Über seine eigenen künstlerischen Arbeiten sagt er: «Die Arbeit liegt zu Hause herum und wird dann irgendwann im Nachlass erscheinen und wird die Leute verblüffen. Ich bin ein idealer Nachlasskünstler.»
PS: Dass Chicks on Speed in seinem Geburtstagsjahr nicht nur ihr neues Album «Utopia» – zu dem neben dem ZKM auch Julian Assange und Yoko Ono beigetragen haben –, sondern auch sechs Apps lancieren werden, das dürfte ihm ganz besonders gut gefallen.
Simone Meier, 05.03.2014 watson.ch
Bild: Peter Weibel (* 1944), österreichischer Künstler, Kurator und Kunsttheoretiker; CC BY-SA 3.0 Artmax
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