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Klaus Wowereit sucht einen neuen Kultursenator für die Hauptstadt. Dort steht die SPD vor einem programmatischen Vakuum

“Für eine neue Kulturpolitik”. Pünktlich zum letzten Bundestagswahlkampf entdeckten die Genossen ein unterschätztes Politikfeld. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sammelte kreative Geister um sich: Den Musikproduzenten Tim Renner , den Schriftsteller Michael Kumpfmüller und die Designprofessorin Gesche Joost. Und legte eine schicke Broschüre mit dem Untertitel “Kultur, Kunst und Kreatives Schaffen stärken” in Kreativviolett auf. Darin fanden sich so wunderbare Formulierungen wie die von der “Kunst als schönsten Form der Freiheit” oder die Forderung nach Mindesthonoraren für Künstlerinnen.

Nach der Wahl wanderte das Programm ins Altpapier. Vom Urheberrecht bis zur Künstersozialkasse gelangte zwar manches in den rot-schwarzen Koalitionsvertrag. Doch die Kulturstaatsministerin stellte die Union, die SPD zog sich wie gewohnt auf’s Soziale zurück. Und gerade da, wo die SPD ihre “neue Kulturpolitik” pur umsetzen könnte, passt sie. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise, dem wichtigsten deutschen Bundesland, hat die Kümmerfrau Hannelore Kraft das Politikfeld der Zukunft in einem Gemischtwarenministerium zwischen Jugend, Familie und Sport gut versteckt.       

Am eklatantesten fällt die kulturpolitische Fehlanzeige SPD in Deutschlands Kulturhotspot Nummer eins auf. Berlin sonnt sich gern im Ruf der beliebtesten Kulturmetropole der Welt. Die Politik kann dafür wenig. Künstler und Kreative kommen nämlich trotz der örtlichenKulturpolitik nach Berlin. Und es sieht nicht danach aus, als ob sich an dem perspektivlosen Herumgewurschtele an der Spree etwas ändern würde, wenn Klaus Wowereit in dieser Woche einen Nachfolger des über seine Steuerhinterziehung gestolperten Kulturstaatssekretärs André Schmitz benennen wird.

Wir wollen nicht ungerecht sein: Schmitz hat gute Leute in die Berliner Theater geholt. Er hat den Kulturetat gesteigert. Und seinem Chef  – der Regierende ist in Berlin zugleich selbst Kultursenator – den Rücken freigehalten. Doch sowohl beim Desaster der Kunstausstellung “Based in Berlin” im Sommer 2011 oder dem Unwillen, den Exportschlager Sasha Waltz in der Stadt zu halten, zeigte sich beider paradigmatische Unfähigkeit, mit den neuen, hybriden Kulturformen, subkulturellen Allianzen und Orten, die für das Berlin der Nachwende charakteristisch sind, anders als instrumentalistisch umzugehen.

Aus den knapp acht Jahren des Duos ist vor allem ein nachhaltiges programmatisches Vakuum in Erinnerung. Obwohl sich in Berlin alle Kulturprobleme wie im Brennglas bündeln: Freie Szene versus Hochkultur. Wie kann Kultur mit Migration und Globalisierung umgehen? Wie entgeht sie dem Prekariat? Ist die Kreativwirtschaft der Freund oder der Feind der Kunst? Oder: Wann wird aus Architektur wirklich Urbanität?

In Frankfurt am Main erfand Hilmar Hoffmann einst das sozialdemokratische Gütesiegel “Kultur für alle”. Berlin wäre der paradigmatische Ort, die “kulturelle Demokratie”, die Hoffmann vorschwebte, auf das 21. Jahrhundert auszulegen. Doch dazu hatten weder Wowereit noch Schmitz irgendetwas Grundsätzliches beizutragen.

Wissenschaftsstaatssekretär Nevermann, Kulturprojekte-Chef van Dülmen, Senatskanzlei-Chef Böhning, Philharmoniker-Chef Hoffmann – keiner der Namen, die bislang an der Berliner Gerüchtebörse als Schmitz-Nachfolger gehandelt werden, überzeugt. Schon gar nicht der von Berlinale-Chef-Dieter Kosslick, dem fröhlichen Veteranen einer fadenscheinigen Festivalkultur. Für sein spannendstes Politikfeld braucht Berlin keinen Frühstückdirektor, Administrator oder Blitzableiter seines Herrn, sondern einen – im Wortsinne –  sozialdemokratischen Programmatiker. Und zwar endlich wieder einen, der eigenständiger Senator ist. Alles andere wäre ganz alte Kulturpolitik.

Ingo Arend