Wäre die Welt ein David Fincher-Film, dann sähe es düster aus. Vorwiegend dunkle Farben und kalte Räume würden regieren, wir wären alle Teil einer von Männern geprägten, lieblosen Gesellschaft, in der sich eigentlich niemand um den anderen schert. Gewalt wäre – weniger spektakulär als vielmehr steter Begleiter – zu einer Art Kommunikationsform geworden, die sich oft nur in barbarisch-stumpfer Teilnahmslosigkeit artikuliert. Frauen wären in dieser Welt immer eine etwas außerhalb stehende Größe, die irgendwie Hoffnung auf Veränderung und vielleicht Rettung bedeuten soll oder als Zufluchtstätte außerhalb des Kriegsgeschehens Hoffnung verspricht.
Im weiteren Sinne sind damit Filme wie Alien 3, Sieben oder jetzt The Game pessimistische Ausdrücke der Beziehungen, die man unter dominant fiction zusammenfassen kann – jenen vorherrschenden Repräsentations- und Darstellungsmustern, die ihre bedeutsamste Opposition durch die Definition von „männlich“ und „weiblich“ gewinnt. Auffällig ist bei jedem dieser Filme, wie unmenschlich und falsch sich die darin entfaltete Gesellschaftsform präsentiert. Auf eine Weise bildet der Fincher-Kosmos eine düstere, aber affirmative Kritik jener Welt der dominant fiction, in der Frauen (wie in Alien 3 oder Sieben) den mahnenden Opfertod sterben. Leben jedenfalls scheint hier für alle kaum erträglich zu sein.
In dieser Welt lebt auch Nicholas Van Orton (Michael Douglas) bzw. er hat sie selbst gebaut. Sozial isoliert bewohnt der schwerreiche Konzernchef das Anwesen seines verstorbenen Vaters, routiniert und lieblos versorgt von einer langgedienten Haushälterin (Caroll Baker). Sein Büro ist ähnlich großzügig und abweisend eingerichtet wie sein ganzes Leben. Berührungen finden auf keiner Ebene statt. Seine Ex-Frau, die sich genau deswegen von ihm hat scheiden lassen, wird mit derselben kalten Technik am Telefon abgebügelt, die Van Ortons Existenz organisiert. Zum ersten Mal also dreht sich ein Fincher-Film um einen jener Vertreter, die offenkundig auf der Gewinnerseite seines düsteren Kosmos stehen. Von Glück und Zufriedenheit findet sich hier trotzdem keine Spur.
Mit langen Einstellungen, einem fatalistisch-ruhigen Schnitt-Rhythmus, einer perfekten Ausstattung und nicht zuletzt dank eines Michael Douglas, der seine Rolle ideal ausfüllt, ist The Game eben das, wovon er erzählt. Die eingeschnittenen Super-8-Rückblenden auf den Selbstmord von Van Ortons Vater zeigen einen Teil der Geschichte dieser Existenz, ohne banal psychologisierend zu wirken. Vielmehr erscheinen diese Rückblicke wie das schemenhafte Porträt eines weiteren unglücklichen Gewinners.
In diese hermetische Hölle bricht Van Ortons Bruder Conrad (Sean Penn) ein. Sein Geburtstagsgeschenk läßt den Film ein zweites Mal beginnen: Nick darf kostenlos an einem extra auf ihn zugeschnittenen Spiel, „The Game“ teilnehmen. Das Besondere dabei ist, daß Nick das Ziel des Spiels nicht kennt und nicht weiß, wann es beginnt. Alles in seinem Leben kann von nun an von der „Game“-Firma CRS initiiert worden sein: Die Realität vom Spiel zu unterscheiden wird zur existentiellen und gleichsam unlösbaren Aufgabe.
Nach und nach wird Nick in mysteriöse Zusammenhänge hineingezogen und sein Leben in mehrfacher Hinsicht bedroht. Seine gesamte Existenz scheint sich in Form einer einzigen großen Intrige vor seinen Augen aufzulösen. Exakt die Reihe von Unfällen, seltsamen Begegnungen und Grenzsituationen, zu der Nick beim Eignungstest von CRS noch Assoziationen hätte artikulieren sollen, widerfährt ihm. Seine Isolation ist total – niemanden kann er um Hilfe bitten, weil alles und jeder Teil des Spiels sein kann, dessen Ziel und Zweck inzwischen Nicks Vernichtung zu sein scheint. Das Spiel reflektiert gleichsam auf brutale Weise seine eigene Existenz. Doch im Unterschied zu seiner bisherigen Einsamkeit hat Nick nunmehr jede Kontrolle verloren.
Auch Conrad offenbart sich als Spielball von CRS, der sich mit Nicks Integration in das „Spiel“ aus den omnipotenten Fängen der Firma hatte freikaufen wollen. Dagegen verspricht die (natürlich) undurchsichtige Christine (Deborah Kara Unger), die zunächst selbst als Opfer, dann aber als Miarbeiterin von CRS erscheint, der Schlüssel zur Auflösung des Komplotts zu sein. Eine Frage jedoch schwebt über allen Katastrophen: Geschieht dies „wirklich“ – also mit Konsequenzen – oder sind alle Ereignisse folgenlos fingiert und tatsächlich Teil eines harmlosen Spiels?
Wieder einmal wird also in einer aktuellen Großproduktion die Frage nach der Realitätskonstruktion gestellt bzw. damit gespielt. Vergleichbar mit Total Recall, jedoch ungleich düsterer und mit der ruhigen Unweigerlichkeit eines Teufelskreises, spiegelt sich in The Game das Zuschauer-Film-Verhältnis. Das jedenfalls ist die eine Möglichkeit neben der wesentlich bedrohlicheren, die Nick sein Vermögen, seine Existenz und sein Leben kosten könnte. Bis kurz vor Schluß scheint es immerhin, als sei CRS nichts anderes als eine perfide Organisation zur Auflösung von Identitäten und Schweizer Bankkonten. Tod und Wiedergeburt sind dabei wesentliche Metaphern im Spiel und Film, die nicht umsonst durch den selben Namen verbunden sind.
Wie und in welche Richtung schließlich alles aufgelöst wird, soll hier nicht verraten werden. Zumal der Logik des Filmes folgend kein Ende alle Zweifel vollends zerstreuen kann. Doch allein, daß die so virulente Verwirrung am Ende in eine nahezu eindeutige Erklärung mündet, schwächt The Game genau an dem Punkt, der über zwei Stunden seine Spannung ausgemacht hatte.
Autor: Jan Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 11/97
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