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Piotr Uklanski
Nazis, 1998
 (Ausschnitt)

Nach 1945 gab es vier Strategien, den Deutschen, die nun Ex-Nazis geworden waren, zu versichern, dass vorbei nicht vorbei ist. Wir sind nach wie vor Deutsche. Und dass es nur das nach wie vor feindliche Ausland ist, das Deutsche als Nazis vorführt. Solche Filme galten als „antideutsch“.

Sie hatten keine Chance im Kino. Ein Film wie „Casablanca“ wurde um das Antideutsche bereinigt und von 120 auf 80 Minuten gekürzt. United Artists übte „aus verleihtechnischen Gründen“ Selbstzensur und brachte den Film 1952 ins Kino. Den wirtschaftlichen Erwägungen der ausländischen Verleihe, denen sich in der jungen Bundesrepublik Deutschland (BRD) ein relevanter Markt eröffnete, kam bereits 1949 die Britische Besatzungsmacht zur Hilfe, die die Einfuhr des dänischen Films „Die roten Wiesen“ untersagte, da “der Streifen antideutsch sei und deshalb unter den Zuschauern unerwünschte Regungen hervorrufen könnte“.

In den 1950er Jahren wurde im deutschen Film die Strategie des Wir-Deutsche-waren-keine-Nazis schon aus dramaturgischen Gründen verbessert. Es gab im Einzelfall doch einen Nazi, und der war der Böse. Das hatte den Vorteil, dass alle anderen Deutschen die Guten waren. Die vielen Militärfilme dieser Zeit waren nach dem Muster gestrickt, dass es in der Wehrmacht keine Nazis gab, ja dass alles gutgegangen wäre, wenn es nicht einen Verräter, Spion, Kommunisten oder einen fiesen Gestapobonzen gegeben hätte. Zu diesen Filmen zählt auch „Nacht fiel über Gotenhafen“ (1959), der erste deutsche Film über den Untergang der Wilhelm Gustloff 1945 in der Ostsee. Da es seit März 2008 den zweiten deutschen Gustloff-Film („Die Gustloff“) gibt, haben wir Anlass, die Filme „Der Untergang“ und „Die Gustloff“ zu vergleichen.

Zunächst aber ist etwa mit Beginn des neuen Jahrhunderts ein nationalistischer Strategiewechsel zu konstatieren. Es bleibt beim nationalen Wohlgefühl des „Wir-sind-Deutsche-und-bleiben es“. Basta. Neu aber ist: dass es schlimm ist, mal Nazi gewesen zu sein, soll uns das Ausland nicht mehr einreden. Nazis sind Faszinosum. Die coole These: Wir haben klasse Nazis in der VIP-Lounge, vulgo Reichskanzlei, aber die sind bühnenreif, mythentauglich, Popgrößen, Vorbild für uns alle. In einem Film wie „Der Untergang“ (2004) lud der neue Nazi-Modus zum Mitspielen ein und zur Wiederholung. Der Film hätte besser als „The Return of Adolf“ betitelt werden sollen. Mit diesem Hitler identifizierten sich zig Millionen Zuschauer.

Sicherlich kam dieser Film nicht aus dem Nichts. Sehen wir an dieser Stelle vom kaum gesehenen Film „Hitler, ein Film aus Deutschland“ ab (Hans Jürgen Syberberg, 1977), müssen wir die faszinierende Ambivalenz eines Films von Rainer Werner Fassbinder notieren: „Lili Marleen“ (1980). Hitler kommt nicht direkt ins Bild. Umso glamouröser ist die Szene, in der Hanna Schygulla die große Treppe hinaufschreitet. Zu ihm. Die Flügeltüren öffnen sich. Ein unbeschreiblicher Glanz quillt heraus. Der Führer! Der größte Star aller Zeiten!

War aber nur zwölf Jahre vor „Lili Marleen“ nicht das Jahr 1968 gewesen? Gab es nicht linke Filme? Doch erinnert sich wer daran? Spielt diese Zeit heute ein Rolle? Im Film, in Deutschland? Marginal vielleicht, aber was zählt, sind Zuschauerzahlen im Kino und Einschaltquoten im Fernsehen. Beides bittschön zusammenaddiert. Der deutsche Film muss prime-time-tauglich, mindestens aber sendefähig sein, und da das Fernsehen in großem Ausmaß Filme koproduziert, sorgt es auch fürs passende Format. Als Eigenproduktion („Die Gustloff“, 2008) macht das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) schon mal zehn Millionen Euro locker. Die Filmförderungen der Bundesländer finanzieren die TV-Produktion mit. Weiter ist zu beachten, dass die beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten Erstes Deutsches Fernsehen (ARD) und Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) sich von den Gebühren finanzieren, die jeder Fernsehgucker in Deutschland zwangsweise bezahlen muss, auch wenn er ARD und ZDF gar nicht sieht. Zu beachten ist weiter, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten als offizielle wahrgenommen werden. Die Ideologie von Filmen wie „Der Untergang“ und „Die Gustloff“ wird amtlich. Und ihr war durch das offizielle Fernsehen längst der Boden bereit. Nehmen wir als Beispiel die alles dominierende Wirkungsmacht des Chefdokumentaristen Guido Knopp, der im Zweiten Deutschen Fernsehen zig Millionen Zuschauern die alten Nazis nahebrachte, so nah, dass sie von hohem Unterhaltungswert waren, allseits geschätzte Gestalten. Wir dürfen mit Guido Knopp diese Entwicklung auf das Jahr 1998 ansetzen. Ein Film wie „Der Untergang“ wäre ohne diesen Boden, den das ZDF jahrelang bereitete, nicht denkbar gewesen.

Und noch eine letzte Bemerkung, bevor von den beiden Filmen näher die Rede ist. Die Rechtspresse schickte beiden Filmen eine Mordskampagne vorweg. In der linken Ecke blieb man wieder unter sich. Das „amtliche“ Fernsehen wird Meinungsführer der Politik von rechts.

Der Untergang (Oliver Hirschbiegel 2004)…

The Return of Hitler hieße das unter Filmkennern. – Im September 2004 ist „Der Untergang“ gestartet, aber schon Monate zuvor war eine Mordskampagne angerollt. Die Hitlerpresseführer Spiegel/Springer stiefelten als erste los und verhalfen dem Film in einer Großoffensive zum Durchbruch. Das Wochenmagazin Der Spiegel räumte der Hitlertitelstory 20 Seiten ein und war sich „schon jetzt sicher, dass ‚Der Untergang‘ Furore machen wird“, da dem „Drama ein reales Gesicht“ gegeben sei; nein, nicht nur dem Spiegeldrama, sondern „Hitler (sei) ein Gesicht“ gegeben, dem „Hitler als Mensch“, posaunte die Tageszeitung „Die Welt“. Im Text raunt es dann ergriffen vom Antlitz, und es wird uns eingeredet: „Wir schauen in ein Antlitz, das vor Milde schimmert“. Springers auflagenstarkes Boulevard-Organ „Hamburger Abendblatt“ brachte gar das deutsche Abendland zum Klingen und gab der Story über den Hitlerdarsteller den Titel: „Bruno Ganz – vom ‚Faust‘ zum ‚Führer'“.

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Bruno Ganz – vom „Faust“ zum „Führer“ (Hamburger Abendblatt vom 25.08.2004)

In Worten des Produzenten, Bernd Eichinger, soll ein populistisch unterfütterter rechtskonservativer Ruck durch Deutschland gehen. – Nicht Ruck, sondern „Schwung“ heißt bei Hitler („Es muss wieder Schwung in die Sache“). „Der Untergang“ dient einer Politik als Vehikel, die den Führer wieder heim ins Reich holt. 2004: wieder deutsch sein dürfen. Eichinger: „Wir haben diesen Film in deutscher Sprache gedreht, mit deutschen Schauspielern und mit einem deutschen Regisseur, ausschließlich aus eigener Kraft auf die Beine gebracht“. Die rechtskonservative Zeitung „Die Welt“ wird ungewohnt explizit. Im Wortlaut: „‚Der Untergang‘ ist ein Zeichen der Emanzipation. … Das ordnet sich ein in einen allgemeinen Perspektivenwechsel, der etwa seit der Jahrhundertwende im deutschen Geschichtsbewusstsein stattfindet und vielleicht einmal als die entscheidende politische und kulturelle Signatur des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts bezeichnet werden wird. In der anschwellenden Flut der Familienliteratur wird ein Bedürfnis wenn nicht nach Versöhnung mit der ‚Tätergeneration‘ so doch nach Verständnis bearbeitet; Flucht, Vertreibung und Bombenkrieg werden als Leidensgeschichte erinnert und der politischen Instrumentalisierung entrissen; der Erste Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts kehrt langsam auch ins Bewusstsein der Deutschen zurück“. Die „Entscheidungsschlacht“ für die „entscheidende politische und kulturelle“ Wende ist eröffnet. „Der Untergang“, „Signatur des 21. Jahrhunderts“, sagt, dass man endlich das sagen darf, was man immer hätte sagen wollen. Das, was in den 50er Jahren als Kontinuität gebrandmarkt wurde, wird jetzt von unseren neonationalen Campagnarden legitimiert. Hitler ist nicht untergegangen. Ganz im Gegenteil. „Der Untergang“ ist seine Wiederkehr.

… sein Kontext …

Die Propagierung Hitlers als leidenden Menschen, als Opfer, kam nicht von ungefähr. Mit einiger Verspätung wurde lediglich vollzogen und konservativ instrumentalisiert, was seit Susan Sontags „unser Hitler, der Hitler-in-uns“ angelegt war, 1979 in der New York Review. Die Päpstin des camp erhob den Film „Hitler, ein Film aus Deutschland“ (Hans Jürgen Syberberg 1977) zum „größten Film aller Zeiten“ (mehr dazu auf getidan.de). In Italien war es Vito Zagarrio, dem im Syberberg-Film eine „nazistische Utopie mit menschlichem Antlitz“ aufschien. In Deutschland hingegen befremdete der Film. Er wurde damals von wenigen Ausnahmen abgesehen mit Schweigen übergangen.

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Ende der 1990er Jahre veränderte sich die Stimmung. In Berlin/Zürich/New York waren 1999 Piotr Uklanski’s „The Nazis“ erschienen: seine Sammlung von Postern und Filmstills, die Hollywoods Schauspielerelite in Naziuniformen zeigte. Das Buch kommentierte die ganzseitigen Posen nicht (mehr dazu auf ikonenmagazin.de). Die Nazis waren geil geworden. Die Ausstellung wanderte durch Deutschland. In New York wurde sie im Jewish Museum gezeigt. Hitler und die Nazis wurden im Lauf der folgenden Jahre auch in Deutschland enttabuisiert.

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Piotr Uklanski
Nazis, 1998; 
164 high gloss photos (C-prints, Cibachromes, and black-and-white)

Die Verlagerung in den Kunst-, Pop- und Entertainmentbereich entsprach in Deutschland Tendenzen, diesen Wechsel auch für das nationale Schreckgespenst der Roten Armee-Fraktion (RAF) zu versuchen. Prototyp ist der Film „Baader“ (Christopher Roth 2002). Der RAF-Boss Baader posiert als Möchtegern-Popstar. Aber wir können von keinem Trend sprechen, der sich auch nur annähernd mit den Pop-Nazis vergleichen ließe. Wenn die Tabuisierung im linken Bereich anhält, dann spiegelt der deutsche Film die politische Lage wieder, wie sie von den Meinungsführern, und das ist die neokonservative Presse und ihre Medien, definiert wird. Linke Filme sind marginalisiert, die rechten haben extreme Öffentlichkeit.

Den von den rechtskonservativen Medien geführten Kampagnen für die Filme „Der Untergang“ (2004) und „Die Gustloff“ (2008) blieb es vorbehalten, die ins Entertainment gerutschten Nazis zu instrumentalisieren. Stichwort: neu/alte nationale Werte.

… und seine Zeit

Der mit durchschlagendem Erfolg propagierte „Untergang“ – weltweit 500 Millionen Zuschauer – wird nachhaltig das Bild bestimmen, dass sich Deutschland vom obersten Nazi gemacht hat. Dieser Film steht freilich nicht allein. In den Jahren seit 2000 gibt es in Deutschland verwandte Filme, von den weniger oder gar kein Aufheben gemacht wurde, – Filme, die ihrerseits darauf bestanden, dass ihre Nazis die besseren waren, weil sie faszinierten („Napola – Elite für den Führer“), ästhetisch ansprachen („Ewige Schönheit“), so nahe stehen wie die eigene Familie  („Winterkinder“) oder gar zu Juden ins Kuschelbett schlüpften (Adolf Hitler in „Mein Führer“).

Ewige Schönheit. Film und Todessehnsucht im Dritten Reich (Marcel Schwierin 2003)

„Vom Nationalsozialismus geht bis heute eine merkwürdige Faszination aus. Was blieb, waren die Bilder – sehr sorgfältig inszenierte Bilder. In ihren Filmen schufen sie Visionen einer anderen besseren Welt. Eine Welt der Ordnung, der Größe und des Ruhmes, eine Welt der ewigen Schönheit“. Mit dieser These eröffnet Doktorand Marcel Schwierin seinen Film, und selbstverständlich belegt er in einer sorgfältig montierten Bildfolge sein Faszinosum nationalsozialistischer Filmästhetik, seminarmäßig in Ordnung gebracht, beraten von den Professoren, gefördert vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Selten Gezeigtes ist zu sehen. Wie die Juden Kühe schächten, ist immer noch unschön, sagt uns die off-Stimme, und irgendwie hängt das mit dem „Relativitätsjuden“ Einstein und dem „Ewigen Juden“ überhaupt zusammen, womit wie arglos das perfideste Hetz-Werk zitiert wird.

Der Autor will aber woanders hinaus, und wir wollen ihn zu Wort kommen lassen. „Mein Vater ist Politologe, und von daher hatte ich eigentlich das Gefühl, dass sich alle Fragen zum Nationalsozialismus für mich beantwortet hätten. Aber ich hatte mir nie die Frage gestellt, welche positive Motivation Hitler hatte. Wo wollte dieser Mann eigentlich hin, wovon träumte er? Ich wollte wissen, wenn ich den Holocaust ausblende, wenn ich die Verbrechen ausblende, wieweit könnte ich dieser Faszination erliegen? Das war wie ein Selbstexperiment. Mir ging es auch darum, dass man die Bildsprache der Nationalsozialisten nachvollziehen kann. Wesentlichstes Merkmal ist sicherlich die Inszenierung des Realen. Dem Nationalsozialismus schwebte eine ideale Gesellschaft als Gesamtkunstwerk vor, in der alles auf das Schöne ausgerichtet war.“

Treffender kann man das nicht ausdrücken, wenn man das Ergebnis dieses Gesamtkunstwerkes von Film und Dissertationsprojekt betrachtet. Da hat einer die Nase voll von Vätern und Vergangenheitsbewältigern. Unsere jüngste Generation nimmt die Dinge selbst in die Hand und erkennt, so die off-Stimme, dass es den Nationalsozialisten im Grunde nicht um die Juden ging, sondern um ein Anti-Bild, die Welt in gut und böse zu teilen. Und wir sind die Guten.

Napola – Elite für den Führer (Dennis Gansel 2004)

Alles wegen dem realen Herausgeber der hochauflagigen und einflussreichen Wochenzeitung „Die Zeit“, Dr. Theo Sommer, dem „Meinungsmacher“. So Napola-Regisseur Dennis Gansel. Denn als Adolf-Hitler- resp. Napola-Schüler sei der junge Theo ja ausgebildet worden, Herrscher des tausendjährigen Reiches zu werden „mit den Berufszielen Gauleiter von Minsk oder London“, und Gansel, 30 Jahre alt, sinniert: „Hätte der Krieg nur wenige Jahre länger gedauert“, wären Dr. Sommer – und Persönlichkeiten wie Hardy Krüger, Hellmuth Karasek, Alfred Herrhausen – „Manager einer modernen Tyrannei“ geworden. „Das fand ich faszinierend“. – Was „in extrem schwierigen Zeiten“ (Filmverleih) in den „Kaderschmieden des Dritten Reiches“ vorging, sei lange verschwiegen worden. Damit ist nun aber Schluss, denn jetzt klärt uns der Film über die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten auf und über das faszinierende „Erziehungskonzept des Führers“ für die ganze „gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend“. Ein Zitat von Adolf Hitler selbst, wie uns versichert wird.

Friedrich (Max Riemelt) ist 17 Jahre alt und entflieht soeben (1942) der Arbeiterfamilie im Wedding, wo das Klassendenken herrscht. Per Autostop erreicht er mit glänzenden Augen die Napola Allenstein, erfreut sich der dort herrschenden „Jungmannen“-Erotik (nackt, wenn möglich) und freundet sich, da die Klassenschranken niedergerissen sind, mit dem Gauleitersohn Albrecht an (Tom Schilling). Sport (Boxen), Segelfliegen, Kameradschaft! Doch der Krieg ist grausam auch für die Hitlerschüler: „aus ihren Reihen fiel jeder zweite“. Der Film war zum Kriegerdenkmal geworden.

Winterkinder – Die schweigende Generation (Jens Schanze 2003-2005)

Jens Schanze macht in seinem Dokumentarfilm einen Anlauf, die Familiengeschichte zu verarbeiten. „War Großvater ein Nazi?“ Die Mutter windet sich. „Wenn, würde ich Nationalsozialist sagen“. Wieder hat Mutter eine Situation gemeistert. Wer sagt ihr, dass es auch außerhalb des Clans Menschen gab und gibt? Opfer der deutschen Familie? – Sohn Schanze, der Autor, schweigt und reiht sich in der Schlusseinstellung zum Familienfoto ein. Format 35 mm. Gediegene Cadrage. Frontal. Applaus heischend.

Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (Dani Levy 2007)

Zu sehen sind Schauspieler im TV-Format plus Raumausstattung im Nazidesign der „Ewigen Schönheit“. Adolf Hitler ist ein Charakter wie die (fiktiven) Juden Adolf Grünbaum und Frau. Empathie für alle! Für alle drei! Der Führer, allein und einsam, schleicht sich durch ein Fenster aus der Reichskanzlei. Blondi, der liebe Schäferhund ist dabei. Er jault nur ein ganz bisschen, als ihn der Führer vom ersten Stock sanft hinunterschubst. Blondi kommt nicht mit ins Bett der Grünbaums, aber Hitler kuschelt sich liebesbedürftig auf der Ritze zwischen den beiden, und Frau Grünbaum (Adriana Altaras) singt ihn auf jiddisch in den Schlaf. Pscht! Nicht lachen!

Regisseur Dani Levy toppt den „Untergang“. Hitler ist nicht mehr tragisch, er ist entschuldigt. Die Tiefenanalyse ergibt: Hitlers Vater hat schuld. Er hatte den kleinen Adolf geschlagen.

*

Diese Filme waren jedoch nicht wirkungsmächtig genug, den Führer heim ins neue Reich zu holen oder anders gesagt, Hitler stellvertretend für die Seinen zu rehabilitieren. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten befanden sie nicht für quotentauglich. Die rechtskonservative Politik, wollte sie das Naziargument den Linken endgültig aus der Hand schlagen, fühlte sich daher aufgerufen, die leidige Faschismusdiskussion zu entsorgen, indem für allemal und für alle sichtbar, der gute alte Hitler vermenschlicht wurde.

Nach einem Film wie „Der Untergang“ und nach einem schutzbedürftigen Hitler, der zu Juden ins Bett krabbelt, um sich trösten zu lassen, nahm die Öffentlichkeit zur Kenntnis, dass der oberste Nazi so ein guter Nazi war, dass man politisch mit dem Wort „Nazi“ nichts mehr anfangen konnte. Es war als Argument nicht mehr zu gebrauchen, abgesehen von irgendwelchen Fachforschern. Und da dem allgemeinen Sprachgebrauch das Wort Faschist und Faschismus abhandengekommen war, weil keiner wusste, wer oder was gemeint war, müssen wir der konservativen Rechten zugestehen, dass sie mittels Film und Fernsehen das politische Feld zu ihren Gunsten freigeräumt hatten. Wo sollte derjenige sein, der ihnen Faschismus vorwerfen könnte? Verbiesterte Altintellektuelle fanden ebenso wenig eine politische Bühne wie neuere linke Filme.

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Bild: screenshot bundesregierung.de

Der letzte Strategiewechsel. Unsere Neokonservativen sind weitsichtig. Sie denken voraus. Sie nehmen den nächsten Zyklus, den die Geschichte zu nehmen pflegt, schon heute vorweg, indem sie wie in den fünfziger Jahren den bösen Nazi, der am besten auch böser Kommunist ist, als Einzelfall wieder einführen und ihm, und das ist das neue, die Gesamtheit der Deutschen, ob Volk, ob Wehrmacht, als Nazigegner, gar als Antifaschisten entgegensetzen. Damit ist sowohl der Begriff Antifaschismus usurpiert und seines Inhalts beraubt (wie vorher der „Nazi“), als auch, dramaturgisch wohl begründet, den Guten („wir“ alle) der aus der Volksgemeinschaft gestoßene Böse entgegengesetzt. Paradebeispiel ist der Film „Die Gustloff“ (2008), quotenreicher Zweiteiler im Fernsehen. Wir setzen uns hier mit ihm auseinander, weil er die Richtung für Nachfolge-Filme vorgibt. Als Berater für den Film holte sich das gemeinnützige Zweite Deutsche Fernsehen jemanden, der bis auf den heutigen Tag in rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten Publikationen seine Heimstatt findet: Heinz Schön. Er trug zu einer Festschrift für Holocaust-Leugner David Irving bei.

Die Gustloff (Joseph Vilsmaier 2008) …

Ende Januar 1945 transportiert das Schiff Wilhelm Gustloff eine Einheit von tausend Marinesoldaten nach Kiel. Ostpreußenflüchtlinge dürfen zusteigen. Viele Tausende. Der rettende Hafen wird nicht erreicht. Von sowjetischen Torpedos getroffen, versinkt der Transporter. Das Liebespaar wird gerettet. Gott sei Dank. – Soweit die Handlung. Nicht die Titanic, sondern die Gustloff war „die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten“, lernen wir. Der Zeitgeschichteunterricht hält mehr bereit. Die Zivilisten, die im Film zu Wort kommen, sind auf die hyperkorrekte Tour Antifaschisten oder doch unglückliche Angepasste, hilfsweise Apolitische. Und die Marinesoldaten? Auch keine Nazis. Es geht ihnen um fachgerechte Kriegsführung, ja sogar um die Rettung von Millionen defätistischer Zivilisten aus dem bedrohten Ostpreußen. Zur Wehr setzen müssen sie sich nicht nur gegen den Feind, sondern vor allem gegen die Nazis. Die gibt es also. Wo? Das sind die paar Offiziere mit Gestapohintergrund, Sadisten. Sie foltern und erschießen harmlose Zivilisten und im Ernstfall auch den eigenen Schäferhund, den Waldi. Zu den Nazis müssen wir einen lächerlichen Parteibonzen zählen und ein bisschen auch eine Denunziantin und vielleicht sogar die Mädels im Schiffsbordell, und die wollen doch nur ihren Spaß haben. Toll trieben es die alten Nazis. So richtig böse ist das nicht. Direkt was zum drüber nachdenken. Ich meine jetzt, zum drüber nachdenken, dass im Jahr 2008 ein öffentlich-rechtlicher Film hochgejubelt wird, der nahtlos an die schlimmen Jahre der Adenauerzeit anschließt, in denen die brave Wehrmacht gegen die bösen Nazis ausgespielt und reingewaschen wurde. Berüchtigter Paradefilm ist „Nacht fiel über Gotenhafen“, 1959, der erste Film über den Untergang der Wilhelm Gustloff. Die Hafenstadt Gdingen trägt darin immer noch ihren Nazinamen. Die restaurative Tendenz, gar die Großdramaturgie ist jetzt fast ein halbes Jahrhundert danach vom ZDF-Zweiteiler kopiert worden. Gotenhafen bleibt Gotenhafen und damit beim Nazinamen  für die Stadt Gdingen. Wer „Die Gustloff“ heute mit dem Film von 1959  vergleicht, wird staunen, wie stark sich der neue Film von 2008 an sein Vorbild hält. Das Adenauer-ZDF lebt und ist rüstig. Es lebe die Restauration.

In beiden Filmen ist ausgeklammert, dass es deutsche Verbrechen in der SU gegeben hat. Der Feind kam wie das Schicksal über Deutschland. Und wenn es ein Kriegsverbrechen gab, dann war es das, die Gustloff zu versenken. So wird es „von vielen“ gesehen. Jawohl, es gab Kriegsgräuel. Begangen sind die von den Russen. Punkt.

Was davon hängen bleibt, wird wohl das „die-Deutschen-waren-alle-dagegen“  und das „wir-sind-die-Opfer“ und das „das-wird-doch-mal-gesagt-werden-dürfen“, damit endlich Schluss damit ist, dass das böse Ausland die deutschen Opfer als Kollateralschaden abtut. Film- und TV-Star Kai Wiesinger, Hauptdarsteller in „Die Gustloff“ freut sich, „dass es in Deutschland inzwischen möglich ist, unsere eigene Vergangenheit auf diese Art im Film darzustellen“.

 … und das Fazit

Das Zweite Deutsche Fernsehen war von Konrad Adenauer, Bundeskanzler von 1949 bis 1963 und prägend für die Zeit des Wirtschaftswunders, im Jahr 1961 als Regierungsfernsehen initiiert worden, um der aufmüpfigen ARD etwas entgegenzusetzen. Wenn das ZDF jetzt mit der Ideologie der „Gustloff“ nahtlos an die Militärfilme der Adenauerzeit anschließt (das gute Militär im Zweifrontenkrieg gegen wenige böse Nazis sowie gegen alle Russen), dann ist  mit Hilfe der rechten Politik dank der Filme von heute die Adenauerzeit wieder etabliert worden. Die deutschen Filme seit 2000 signalisieren, dass wir uns mitten in der politischen Restauration befinden.

Mit einem explizit politischen Bekenntnis würden die Filme, die von der Neuen Constantin produziert werden, allerdings das große Publikum nicht erreichen. Um politisch wirken zu können, geben sie sich unpolitisch. Filme wie „Das Experiment“ (Oliver Hirschbiegel 2001) und „Die Welle“ (Dennis Gansel 2007) finden ihre Lust darin, das Menschenbild durch ein Tierexperiment zu ersetzen und befriedigt zuzusehen, wie die Menschenratten aller Selbstverwirklichung ledig, tun, was sie tun müssen, nämlich blind und fremdgesteuert in die Grube zu fahren, will sagen, den Lemmingen gleich über die Steilküste ins Meer.

Hirschbiegel („Der Untergang“) fand seine Lust dabei zuzukucken, wie zwölf Männer, die zwar nicht in der Tierversuchsanstalt, wohl aber im Gefängnis stecken, dort zu Schweinen werden. Fremdbestimmung und Unfreiheit regieren und damit Passivität und Hinnahme. Gesellschaftliche Zusammenhänge und gar Selbstbestimmung und Einflussnahme sind diesem Menschenbild fremd.

Ähnlich feiert „Die Welle“ die Lust an Unfreiheit und Unterordnung. Dennis Gansel („Napola – Elite für den Führer“) gibt dem Verhaltens-Determinismus einen bejahenden, absurd-dekorativen Rahmen, – womöglich aus politischer Naivität. Geschichte, Lebenslauf, soziale Situation sind diesen Menschen, Mitläufer von Natur, ausgetrieben. Sie sind degradiert zu biologischen Wesen, beliebig instrumentalisierbar. Was der Sache nach gesellschaftlicher Rollback ist, gibt sich in diesen Filmen vergangenheits-  und zukunftslos. So war es immer. Die Nazis waren sich auch sicher gewesen: „Wir sind das tausendjährige Reich“. Dann hätten wir jetzt den tausendjährigen deutschen Film.

Dietrich Kuhlbrodt 2006,

Dieser Text ist auf deutsch erstmals in der filmzentrale erschienen.

 

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Dietrich Kuhlbrodt ist Verfasser des Buches:

Deutsches Filmwunder – Nazis immer besser

Konkret Literatur Verlag (2006)

199 Seiten

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