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US-amerikanische Medien haben das Jahr 2013 zum „Jahr des schwarzen Films“ erklärt. Tatsächlich kamen einige bemerkenswerte Spielfilme schwarzer Künstler heraus. Besondere Aufmerksamkeit bekam bei den Kritikern (und seit dem Filmfestival Toronto bei Jurys) das Anti-Sklaven-Drama „12 Yaers a Slave“. Das Publikum in den USA hat den Film sehr gut angenommen. Interessanterweise jedoch ist dort ein anderer „schwarzer“ Film weitaus erfolgreicher: „Best Man Holidays“. Der Zuspruch zu dieser Komödie lässt hoffen, dass es bald egal sein könnte, ob ein Film von weißen oder schwarzen Künstlern gemacht wird. Wenn es soweit ist, ließe sich tatsächlich von Gleichberechtigung reden. Doch davon sind wir wohl noch weit entfernt.

„12 Years a Slave“ gilt als großer Favorit für den „Oscar“ für den besten Spielfilm des Jahres. Gerade gab’s den Golden Globe als bestes Drama slave_320_2von den Vertretern der Auslandspresse in Hollywood. Das stärkt die „Oscar“-Favoritenposition. Die Golden-Globe-Entscheidungen seit Jahrzehnten als wegweisend für die „Oscar“-Vergabe.

Steve McQueen, jetzt 44, machte 2008 mit seinem Debüt „Hunger“, einem IRA-Drama, und dann 2011 mit „Shame“, dem Porträt eines Sexsüchtigen, auf sich aufmerksam. McQueen bietet keine gefällige Unterhaltung. Seine Geschichten von Menschen in Extremsituationen deuten immer auf extreme gesellschaftliche und soziale Schieflagen. Dabei ist seine Grundhaltung des Erzählens von großem Ernst geprägt.

Anregung für den dritten Spielfilm des einst als Fotograf und Video-Artist bekannt gewordenen Londoners ist das jetzt 160 Jahre alte Erinnerungsbuch des Geigers Solomon Northrup. Northrup lebte in Saratoga Springs, nördlich von New York, in den Nordstaaten, wo die Sklaverei verboten war. Die Musik machte ihn nicht reich. Aber er hatte für sich und seine Familie genug. Northrup wurde jedoch ein Opfer der damals gängigen Sklavenjagd der Südstaatler. Er wurde entführt und verkauft. Erst zwölf Jahre später, 1853, kam er frei.

Beschauliche Baumwollfelder-Romantik gibt es nicht: Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) wird körperlich und seelisch gequält. Das wird deutlich gezeigt. Manche Momente sind nur schwer auszuhalten. Aber: Regisseur Steve McQueen stellt das Brutale nicht aus, schlägt daraus keinen unredlichen Nervenkitzel. Einmal etwa wird Solomon aufgehängt und kann nur überleben, wenn es ihm gelingt, mit den Zehenspitzen den Kontakt zum Boden nicht zu verlieren. Die Szene ist quälend lang. Zum Symbol für das kaum zu fassende Unrecht, das den Versklavten angetan wurde, wird sie, weil auch das Drumherum zu sehen ist: die anderen Gefangenen, die scheinbar stur weiterarbeiten, um ja nur selbst wenigstens noch diesen einen Tag durchzukommen, eine Frau, die Solomon mit einer kleinen Geste, einem Hauch Wasser, hilft, dabei voller Furcht ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt. Auf der anderen Seite: Plantagenbesitzer Edwin Epps (Michael Fassbender), eine Bestie. Man fasst es nicht, wenn er die von ihm bis zur völligen Erschöpfung Geknechteten nachts aus dem Schlaf reißt, damit sie für ihn Tanzen. Und Solomon, der Geiger, muss dazu aufspielen. Kein Wunder, dass viele Rezensenten Parallelen zu den Foltern in den Konzentrationslagern der Nazis slave_320sehen. Steve McQueen selbst vergleicht die einhundertsechzig Jahre alten Aufzeichnungen des wirklichen Solomon Northrup mit dem Tagebuch der Anne Frank: „Eine Alarmglocke, ein Schlachtruf, dass so etwas nie wieder passieren darf.“

Ganz klar: Solomon allein hat nie und nirgends die Möglichkeit, der Hölle aus eigener Kraft zu entkommen. Heldentum hat keine Chance. Erst das Auftauchen eines engagierten Gegners der Sklaverei, gespielt von Brad Pitt, der den Film mitfinanziert hat, bringt Rettung. Auch hier: kein falsches Pathos, kein falscher Jubel. Durchweg ist die filmische Gestaltung, die mit schlichter Eleganz einen Parcours durch verschiedene Zeitebenen absolviert, furios. Ganz auf die in nahezu jeder Einstellung präsente Hauptfigur konzentriert, reißt Steve McQueen die Zuschauer sofort mitten ins Geschehen. Lange Szenen ohne sichtbare Schnitte zwingen zum Hingucken, obwohl man doch so gern wegsehen möchte. Hans Zimmer hat dazu eine sich nicht aufdrängende Musik komponiert, die das Brutale der Bilder verstärkt, ohne sie aufzupeitschen. Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor fesselt mit einer oft wortlosen, ganz auf dezente Mimik angewiesenen Studie eines durchschnittlichen Charakters. Das zeigt sich besonders, wenn der Schlächter Epps Solomon zwingt, die Sklavin Patsey (Lupita Nyong’o) auszupeitschen. Die Kamera zeigt die Qual der jungen Frau, zeigt die Scham Solomons, zeigt die perverse Lust von Epps, der sich daran weidet, wie das Fleisch geradezu vom Rücken Patseys fliegt. Und Solomon kann nichts tun. Er, das Opfer, muss zum Täter werden, um sich und die junge Frau zu retten. Klar wird gezeigt: Solomon ist ein keineswegs ungewöhnlicher Mann. Doch er hat die Kraft, noch im größten Elend an seine Würde zu glauben und sichert damit sein Überleben. Dabei wird er nicht zum Übermenschen stilisiert. Das ist es, was ihn dem Publikum so nahe bringt.

Der Film wirkt insbesondere als Geschichtslektion, in den USA sicher in noch stärkerem Maße als hierzulande. Am Ende fällt der Schlüsselsatz: „There is nothing to forgive.“ („Es gibt nichts zu vergeben.“) In der Filmgeschichte fällt dieser Satz als Trost für Solomon. Als Kinobesucher nimmt ihn jedoch als Statement eines schwarzen Künstlers mit Blick auf die US-amerikanische Historie. Der Satz klingt bitter, blickt man allein auf Hollywood. In der jetzt mehr als einhundertjährigen Geschichte der Filmfabrik, die bis heute das US-amerikanische Selbstbild entscheidend prägt, spielen die Schwarzen nach wie vor eine Nebenrolle. „Oscar“-Ehren gab es immerhin für einige Schauspieler und Protagonisten anderer Gewerke. Noch nie aber bekam ein Schwarzer den Regie-„Oscar“ oder wurde ein von einem Schwarzen inszenierter Film als „Bester Film“ des Jahres geehrt.

Peter Claus

12 Years a Slave, von Steve McQueen (USA/ England 2013)

Bilder: Tobis