Denis Diderots Roman „Die Nonne“ – erstmals 1792, nach seinem Tode, in Deutschland erschienen, 1796 in Frankreich – gehört zu den Dauerbrennern des bürgerlichen Literaturkanons und hat sich bereits einmal als erstklassige Vorlage für einen Spielfilm erwiesen. 1966 kam die Adaption von Jacques Rivette heraus, besetzt mit Anna Karina, Micheline Presle und – in einer ihrer wenigen hochdramatischen Rollen – Liselotte Pulver. Der Film beschäftigte damals die Zensur, weil er angeblich die Gefühle von Katholiken verletze. Regisseur Guillaume Nicloux muss heutzutage wohl keine Angst vor Ähnlichem haben. Leider dürfte er auch weniger wirksam sein als die nun schon bald fünfzig Jahre alte Kino-Version des Buches. Denn Nicloux hat sich zum einen für eine übermäßig, ja, angestrengt spröde Inszenierung entschieden, die nur selten die Lust am Schauen bedient, zum anderen ist es ihm nicht gelungen, Isabelle Huppert zu „bändigen“. Die Diva agiert in einer Schlüsselrolle als sexuelle übergriffige Ordensmutter. Sie spielt derart überzogen, dass nahezu alle ihre Szenen in Lächerlichkeit abgleiten. Allerdings: Pauline Etienne als jugendliche Suzanne Simonin, die von ihrer Mutter (beachtlich: Martina Gedeck) ins Kloster gesteckt wird, fasziniert durchweg. Nicloux zeigt das Klosterleben als Beispiel eines totalitären Systems. Nicht der Glaube an sich wird in Frage gestellt. Es geht gar nicht um Glauben oder Nicht-Glauben. Es geht darum, die Verwerflichkeit der Unterdrückung von Individualität zu geißeln. Die zarte, aber Willenskraft ausstrahlende Pauline Etienne ist dafür die Ideale Interpretin. Sie dürfte selbst Zuschauer in den Bann ziehen, die angesichts der stilistisch gelegentlich etwas unbeholfen wirkenden Inszenierung mit Nostalgie an den Rivette-Film von 1966 denken (den es zum Glück auf DVD gibt).
Peter Claus
Die Nonne, von Guillaume Nicloux (Frankreich/ Deutschland / Belgien 2013)
Bilder: Camino (Filmagentinnen)
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