2007 waren wir „Oscar“. Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck ergatterte für „Das Leben der Anderen“ den nach wie vor begehrtesten Filmpreis der Welt. Seine Stasi-Schmonzette wurde in der Kategorie „Best Foreign Language Film of the Year“ („Bester fremdsprachiger Film des Jahres“) gekürt. Schön wär’s, gelänge das mal wieder. Noch schöner: mit einem wirklich guten Film. Autor und Regisseur Georg Maas darf sich Hoffnungen machen. Die deutsche „Oscar“-Auswahlkommission hat seinen neuen Spielfilm erkoren. Am 16. Januar wissen wir, ob es wirklich Chancen gibt.
Preise gab es schon für das neue deutsche (in Koproduktion mit Norwegen realisierte) Anti-Stasi-Drama, beispielsweise in Biberach und Emden bei den dortigen Filmfestivals. Ob Georg Maas Chancen hat? Henckel von Donnersmarck setzte auf Kitsch. Das tut er nicht. Er baut auf Krimispannung mit zeitkritischen Bezügen. Erzählt wir eine von Tatsachen und dem bisher unveröffentlichten Roman „Eiszeiten“ der Autorin Hannelore Hippe inspirierte Story. Im Zentrum steht eine Frau (Juliane Köhler), etwa Ende 40, verheiratet, Mutter und Großmutter. Alle nennen sie Katrine. Auch sie nennt sich so. Sie lebt mit ihrer Familie, zu der auch die Oma Ase (Liv Ullmann) gehört, in Norwegen. Geboren wurde Katrine im Dunstkreis des Menschenzuchtprogramms „Lebensborn“ der Nazis. Ase, ihre norwegische Mutter, hatte sich damals in einen deutschen Besatzungssoldaten verliebt. Der Mann wurde an die Ostfront versetzt. Das Baby kam erst vor Ort in ein „Lebensborn“-Haus, dann nach Sachsen. Sachsen gehörte nach Ende des Zweiten Weltkriegs zur sowjetischen Besatzungszone, später zur DDR. Für das Mädchen Katrine wurde dies zum Verhängnis: Sie blieb in einem Kinderheim. Wenn der Film all dies in einem geschickten Geflecht von Bildern aus dem Jahr nach dem Mauerfall und aus der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgefächert hat, wissen wir als Zuschauer bereits auch: die Frau, die sich „Katrine“ nennt, ist nicht Katrine. Sie ist eine, die in den späten 1940er, frühen 1950er Jahren in die Fänge der Stasi, des ostdeutschen Geheimdienstes geraten ist und als Agentin, mit der Identität Katrines, nach Norwegen geschleust wurde. Jahrzehntelang hat die Agentin unentdeckt in der falschen Identität gelebt. Das droht nun aufzufliegen. Denn ein ehrgeiziger junger Anwalt (Ken Duken) will die Verbrechen der Nazizeit gesühnt wissen. Er arbeitet für eine Kanzlei, die eine Wiedergutmachung für die „Lebensborn“-Opfer erstreiten will. „Katrine“ ist klar, dass damit ihre wahre Identität ans Licht geraten wird. Sie muss handeln. Kurz entschlossen knüpft sie Kontakte zu den Gewährsmännern der Stasi. Die gibt es, längst existiert die DDR nicht mehr, nur noch im Untergrund. Doch von dort aus richten die Dunkelmänner der untergegangenen Diktatur im stalinistischen Sinn weiteres Unheil an. Schließlich muss „Katrine“ um das Wohl ihrer Familie bangen. Welcher Schritt ist der richtige?
Georg Maas und sein Team konzentrieren sich darauf, diese Frage zu beleuchten und Antworten darauf auszuloten. Leider. Denn: je weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr wird sie zur Kolportage. Es hätte viel anregender und fesselnder sein können, das Innere der Frau im erlogenen Leben zu erkunden, ihre Beweggründe zunächst für das Spitzeln, dann für das Schweigen, am Ende für eine überraschende Tat zu ergründen. Das aber bleibt nahezu völlig aus. So sitzt man schließlich da und hat wieder mal einiges Schreckliche aus der deutschen Historie erfahren. Nachhaltig emotional bewegt aber verlässt man das Kino nicht. Wo von Donnersmarck einst viel zu gefühlig war, ist Maas zu nüchtern. Und wenn er doch einmal Emotionen spiegelt, dann führen Inszenierung und Musik gefährlich nah in die Nähe des Sentimentalen. Da retten dann die Akteure den Film. Sie, die Schauspieler, allen voran Juliane Köhler und Liv Ullmann, haben einige intensive Szenen. Ihnen gelingt es immerhin punktuell, das Miteinander von Privatem und Gesellschaftlichem anzudeuten. Kurz vor dem Finale beispielsweise gibt es einen stummen Blickkontakt von „Katrine“ und Ase. Juliane Köhler und Liv Ullmann lassen da in Sekunden die Tragik zweier Frauen, denen die Identität gestohlen wurde, spüren. Die Darstellerinnen erzählen wortlos davon, was es heißt, in einem falschen Leben gefangen zu sein, nicht zu wissen, wer man selbst wirklich ist. Da endlich packt es einen. Doch es ist zu spät, um nachhaltig, über den Film hinaus, Wirkung zu zeigen.
Wird es der Film in die Endrunde des „Oscar“-Gerangels schaffen, gar den kleinen vergoldeten Mann bekommen? Verlässliche Voraussagen sind unmöglich. Den Filmschöpfern, deren gute Absicht unbestreitbar ist, sei aller Erfolg gegönnt. Doch es bleibt das Warten auf einen wirklich guten, mitreißenden Spielfilm, der die Historie Deutschlands im vorigen Jahrhundert zugleich tiefschürfend und massenwirksam reflektiert.
Peter Claus
Zwei Leben, von Georg Maas (Deutschland/ Norwegen 2012)
Bilder: Farbfilm (24 Bilder)
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar