Wozu eine Ausstellung, wenn sich die Ästhetik des Widerstands auf der Straße formuliert?
Was macht die Kunst, wenn das Leben sie überholt? Es klingt wie ein Klischee. Doch in genau diesem Dilemma steckt die 13. Istanbul-Biennale. Noch zu Beginn des Jahres schien Kuratorin Fulya Erdemci den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Denn mit ihrer Idee vom “öffentlichen Raum als politischem Forum” hatte sie die ideologische DNA der damals noch ungeborenen Bewegung vom Gezi-Park vorformuliert. Und der Titel der Berliner Preview für die Schau Ende Mai im Kunstraum Tanas klang nachgerade prophetisch. Denn was hatte die türkische Regierung mit ihrer harten Reaktion zwei Tage später anderes demonstriert als “Agoraphobia – Die Angst vor der Öffentlichkeit”? Doch kaum war der Aufstand am Taxim aufgeflammt, verkümmerte die Biennale zu einem Mauerblümchen der Revolte.
“Mom, am I human” schrieben einige Aktivisten auf ein Banner im Gezi-Park. Und machten sich damit über das Biennale-Motto “Mom, am I barbarian?” lustig, das Erdemci dem Titel eines Buches der berühmten türkischen Poetin Lale Müldür entlehnt hatte. Wozu noch eine Biennale, die umständlich “zeitgenössische Formen der Repräsentation, Exklusionsmechanismen der Stadttransformation und die Rolle der Art-Industrie darin” untersuchen will, das fragten sich nicht nur viele Aktivisten, wenn die Bewegung Gezi schon mission accomplished gemeldet hatte? Und zwar praktisch, ästhetisch und symbolisch.
Für ein paar Tage gelang den Protestlern die Wiederaneignung des öffentlichen Raums. Der künstlerisch inspirierte Protest machte selbst einfallsreiche türkische Künstler neidisch. Den standing man, den tanzenden Derwisch, die smiling bricks-Barrikade, das öffentliche Iftar-Dinner zum Fastenbrechen hätten auch sie nicht toppen können. Das bunte Gewimmel der temporären Republik Gezi demonumentalisierte den Taksim wie die Politik im Allgemeinen. Und zu allem Überfluss kreierte sie genau die Ansätze einer anderen Welt mit einer neuen Sprache, die auch Erdemci mit “ihrer” Biennale zum Vorschein hatte bringen wollen. “Materialisierte Utopie” jubelte die Kuratorin, die selbst jeden Tag im Gezi-Park verbracht hatte, im Sommer.__________________________________
“Was geschehen ist, verändert uns alle”
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Ihr Utopia auf Zeit errichteten die Protestler ohne Hilfe solcher Sponsoren, ohne die die private Istanbuler Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) keine ihrer Kunstbiennalen durchführen könnte. Fast jeden Abend musste sich Erdemci auf einem der abendlichen Foren, auf denen die Türkei nun Basisdemokratie übt, rechtfertigen. Betreibt die Biennale nicht genau die Gentrifizierung der Stadt und die Kapitalisierung der Kunst, die sie beklagt? Darf sie Geld von dem Megakonzern Koc annehmen, der zwar im Hotel Diwan den Gezi-Demonstranten Tür und Toiletten offen hielt, aber eine der größten Waffenschmieden der Türkei ist? Unter dem Druck der türkischen Verhältnisse brechen plötzlich paradigmatisch alle Widersprüche des Biennalen-Systems auf.
„Was geschehen ist, verändert uns alle” hatte Erdemci die Gezi-Kämpfe bilanziert. Das gilt vor allem für ihre Biennale. Sie strich den ursprünglichen Plan, den Gezi-Park zum Ausstellungsort zu machen und verkürzte sie um drei Wochen. Weder soll die Biennale der Regierung als Feigenblatt für die Freiheit der Kunst dienen, noch den Initiativen die öffentlichen Plätze streitig machen. Sie beharrt auf der Grenze zwischen Kunst und Leben. Und stellt in der schon traditionellen Antrepo 3-Halle im Istanbuler Hafen und der griechischen Grundschule in Galata aus, die letzten Herbst ihre Bewährungsprobe während der 1. Design-Biennale bestand. Dazu kommen der Projektraum 5533 im Handelszentrum IMC im Stadtteil Unkapani, das schon Hou Hanrus Biennale 2007 als Standort diente, sowie die Kunsthäuser Salt und Arter in Beyoglu.
Wie Erdemci spontane Initiativen an der Biennale beteiligen will, ohne sie dem Markt auszuliefern oder zu vereinnahmen, dürfte der Quadratur des Kreises gleichkommen. Trotzdem soll die Biennale keine Fortsetzung des türkischen Kampfes werden. Gerade mal zehn Künstler kommen aus der Türkei. Unter ihnen Halil Altindere und Sener Özmen. Jimmie Durham, Werke der 2012 verstorbenen, ägyptischen Videokünstlerin Amal Kenawy, Cinthia Marcele aus Brasilien oder Christoph Schäfer aus Hamburg den Blick sollen den Blick in die Welt öffnen. Zumindest in einem Punkt orientiert sich die Biennale aber an ihrem Vorbild. Der Eintritt wird in diesem Jahr erstmals frei sein. Auch die Republik Gezi konnte schließlich jeder frei betreten.
Text: Ingo Arend, Monopol 9/13
MEHR INFORMATIONEN:
The 13th Istanbul Biennial exhibitions, titled “Mom, am I Barbarian?”, curated by Fulya Erdemci will take place at Antrepo no.3, Galata Greek Primary School, ARTER, SALT Beyoğlu and 5533 between 14 September and 20 October 2013.
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