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Über die kinematografische Zerstörungslust im Allgemeinen und den Angriff aufs Weiße Haus im Besonderen

Warum ist „großes Kino“, auch Blockbuster oder Popcorn-Film genannt, mittlerweile ohne Zerstörungsorgien in besorgniserregendem Ausmaß kaum noch denkbar? Da ist die eine, die einfache, nennen wir sie die Roland-Emmerich-Antwort: Weil Zerstörungen Spaß machen, so wie eben Kinder beinahe noch lieber als damit zu spielen, ihr Spielzeug kaputtmachen, aus einer Mischung von Allmacht und Neugier heraus. Die Antwort der Bilderindustrie ist beinahe noch einfacher: Warum müssen wir auf der Leinwand New York zertrümmern, das Flugzeug abstürzen, das Weiße Haus in Schutt und Asche legen lassen? Weil wir es können. Weil das Kino die Macht dazu hat!

Und da ist eine andere, die behavioristische Antwort, die eher vom Zwang zur Aufmerksamkeit als von der Lust erzählt: Bei einem Unfall auf der Autobahn müssen doch auch alle gaffen, sie können gar nicht anders, die Menschen. Schließlich, womöglich mit dieser Aufmerksamkeitsstrategie verbunden, mag etwas Kathartisches darin stecken: Es hat andere erwischt. Ich (oder mein Stellvertreter auf der Leinwand) sind noch einmal davongekommen. Vielleicht, weil wir die Besseren sind. Außerdem war alles sowieso nur ein böser Traum. Wie, im Übrigen, sollten denn noch Helden entstehen, wenn es nichts mehr zu erobern gibt, als im Angesicht der fundamentalen Destruktion?

Man mag wohl auch von seltsamen Widerspiegelungen sprechen: Spuken nicht genug Bilder der realen Zerstörung der Twin Towers durch die Katastrophenfilme von Hollywood? Hat die cineastische Zerstörungswut nicht Konjunktur in Krisenzeiten? Träumen sich nicht die inneren Verlustängste ein äußeres Zerstörungsbild für jenen Mittelstand, der besonders gern „verunsichert“ ist, und der besonders gern ins Kino geht?

Was ist es Wert, verteidigt zu werden

und mit welchen Mitteln?

Und dann ist da auch noch die furchtbare, die adornitische Erklärung, dass nämlich Leute, die sich so angelegentlich die Katastrophen imaginieren, sie irgendwie auch „wollen“. Als ersehnte Strafe, als Reinigung, vielleicht zu einem Neuanfang hin. So trügen wir die Angstlust ins Kino als Opferplatz. Hier muss das Schlimmste geschehen, damit wir uns an das Schlimme da draußen gewöhnen, im Alltag und in der Geschichte. Denn dort gibt es etwas Schrecklicheres als die Katastrophe. Den Stillstand. Die Endlosschleife von Alltag und Ökonomie.

Wie man es auch sieht, dieses Explodieren und Einstürzen, dieses Auseinanderbrechen und Verbrennen, diesen tiefen Fall des Errichteten, dieses tückische Eindringen der Terroristen und der Computerfehler, stets geht es zugleich um einen realen Raum und um einen symbolischen. Stets handelt es sich um den Angriff auf einen Wert! Man erkennt die „Heiligkeit“ einer Sache im Augenblick ihrer Vernichtung.

So macht das Kino gleichsam etwas kaputt, um herauszufinden, was es uns eigentlich Wert ist. Wenn man Antoine Fuquas „Olympus Has Fallen“, den ersten der beiden Filme ansieht, die einen Angriff auf das Weiße Haus phantasieren, lässt sich diese Wert-Konstruktion ex negativo fast mit Händen greifen. Der Film kitzelt förmlich den Patriotismus aus einer postheroisch gestimmten Gesellschaft heraus, ohne Umwege, ohne Raffinesse. Die Spezialeffekte dieses Films geben sich keine Mühe, das Symbolische zu verbergen. Es ist das Bild der Katastrophe, das die Helden rekonstruiert. Denn ein Angriff auf das Weiße Haus ist ein Angriff auf Amerika, ist ein Angriff auf die Freiheit.

Roland Emmerich, der sich den Ruf eines schwäbisch-amerikanischen Abbruchspezialisten der Mainstream-Kinematografie redlich verdient hat, geht in „White House Down“ etwas subtiler vor. Die Zerstörungsbilder oszillieren zwischen dem Symbolischen und der sinnlichen Erfahrung. In seiner Schilderung der Administration flackern aktuelle Bezüge auf, einschließlich eines Schlenkers zur digitalen „Exfiltration“ einer NSA. An manchen Stellen könnte man glatt meinen, da sei etwas „kritisch gemeint“.

Und dann: Niemand kann Dinge so sauber kaputt machen wie Roland Emmerich. Selbst die größte Katastrophe erscheint bei ihm reinlich wie das Ergebnis eines Kehrwochen-Endes. Zerstörungsakte sind ordentlich aneinander gereiht, auch in der fundamentalsten Vernichtung entsteht nicht wirklich Chaos.

Aber im Kern geht es um dieselbe Frage. Was ist es Wert, verteidigt zu werden und mit welchen Mitteln? Und wie weit muss es kaputt gehen, bis sich jeder im Umkreis des magischen Ortes diese Frage stellt. Schnell, denn es muss gehandelt werden.

Man muss ins Kino gehen, um zu sehen, dass die Dinge, die einen Wert verkörpern sollen, so wirklich sind, dass man sie kaputtmachen kann. Und man muss ins Kino gehen, um zu sehen, dass sie in Wahrheit unkaputtbar sind. Denn nur hier lassen sich Wert und Materie so problemlos wieder spalten, wie sie zuvor amalgamiert sind. Durch die Zerstörung des Abbildes wird das Sinnbild unzerstörbar. Und nur hier können wir ganz und gar sicher sein: Wenn ein Spielzeug kaputt ist, kriegen wir gleich wieder ein neues.

Georg Seeßlen, DIE ZEIT, 29.08.2013,#36

Bild: White House Down von Roland Emmerich; © Sony Pictures Releasing

 

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