Hiesige Politiker scheinen vom Ausmaß der Überwachung überrumpelt. Dabei wird dieses Problem bereits seit Jahren in Fernsehserien breit diskutiert.
Keine Ahnung von Popkultur zu haben kann zum Problem werden. Zumal wenn man im Hauptberuf Populist ist. Für deutsche Politiker wird es gerade problematisch, und vielleicht merken sie es. Vor allem begreift der Medienkonsument dieser Tage, dass für das Führungspersonal im Bundestag keineswegs nur das Internet Terra incognita ist. Offenkundig sieht man dort auch nicht ordentlich fern oder wenn, dann nur deutsche Konfektionsware. Das ist natürlich keine Lösung.
Dabei hätten sich Merkel und ihre Entourage leicht, ganz spielerisch, ja auf unterhaltsame Weise an das für sie so schwer begreifliche Thema Netz, Überwachung, USA heranführen lassen können. Sie hätten erfahren können, dass viele Amerikaner denken, die CIA wisse um ihre Nutzlosigkeit im Kampf gegen den Terror, und höre deshalb umso aggressiver bis dahin unbescholtene Bürger ab, überall in der Welt. Nicht weil es im Kampf gegen den Terror Sinn machen würde, sondern weil es technisch möglich ist und weil man unter Erfolgsdruck steht, also Schuldige liefern muss.
Und sie hätten lernen können, dass es ein Millionenpublikum plausibel findet, dass sich die Sicherheitsbehörden trotzdem am liebsten mit internen Zwistigkeiten befassen. Denn auch um herauszufinden, ob der Ehemann aus der anderen Abteilung eine Affäre hat, eignet sich NSA prima. Wo das alles zu erfahren ist? Im Fernsehen.
Die Massenunterhaltung beschäftigt sich seit jeher gern mit den Geheimdiensten, aber seit 9/11 hat das Genre ein interessantes Update erfahren. Technikaffin und alltagsverankert erzählen die TV-Serien von dem massiven Angriff auf die Zivilgesellschaft, den die politischen Eliten in den westlichen Demokratien in Auftrag gegeben haben, nachdem sie hilflos zusehen mussten, wie zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers flogen. Die neuen Agentengeschichten kratzen dabei das Grundprinzip des Genres und des westlichen Selbstverständnisses an: die legitime Hegemonie des Westens. Stattdessen zeigen sie, wie brutal das „Superrecht Sicherheit“ (Innenminister Friedrich) die Menschenrechte aushöhlt.
Tote Agenten sind billiger als lebende
Da wäre zum Beispiel die ziemlich lustige Serie „Covert Affairs“ (USA seit 2010). Gnadenlos verspottet sie die CIA. Der Running Gag: Folge dem „Protokoll“, nicht den Terroristen. Wer will schon Verbrechen aufdecken? „Die USA sind in einer albernen Spion-versus-Spion-Stimmung“, schreibt die Kritikerin Alessandra Stanley in der New York Times zum Auftakt der Serie.
Genau diese Albernheit ist aber nicht nur harmlos. Sie zeigt, wie wenig das liberale Amerika seinen Sicherheitsbehörden zutraut und wie sehr es davon ausgeht, dass für den Überwachungsapparat Menschenleben nicht zählen. Gleich in der ersten Episode stellt die kühl-sympathische Bürovorsteherin klar: Tote Agenten sind besser für uns, denn sie sind billiger als lebende. Das Publikum goutiert diesen Zynismus.
TV-Serien sind dann erfolgreich, wenn sie den Zeitgeist einfangen. In diesem Sinn sind Fiktionen sozialrelevante Dokumente. Sie müssen Konventionen bedienen, also leicht verständlich sein, und gleichzeitig neugierig machen, also Tabus brechen.
„Covert Affairs“ bricht mit der Annahme, dass die CIA oder das noch schlechter angezogene FBI ernsthaft arbeitende Einrichtungen wären oder gar für die gute Sache kämpften. Und behauptet stattdessen, dass davon auch niemand mehr ausgehe, also niemand, der halbwegs zurechnungsfähig ist. Auggie, ein blinder Agent (hallo Allegorie!), fasst es so zusammen: „Wir sind ein Club Med, nur ohne Freigetränke.“
Unheimliche Stimmung von Verfolgungswahn
Selbstbezüglichkeit, Konzeptlosigkeit, in Brutalität umschlagende Paranoia – und die selbstverständliche Aussetzung von Bürgerrechten, das sind auch die Themen von „Homeland“ (USA seit 2010). Diese vielfach ausgezeichnete Serie zählt zu den erfolgreichsten überhaupt. Wiederum steht eine junge Agentin im Zentrum. Aber Carrie wird mit ihrem ehrlichen Aufklärungswillen schnell zur Exotin im eigenen Laden. Gleichzeitig machen sie ihre psychischen Probleme zu einer unzuverlässigen Heldin. Das Gleiche gilt für ihren Gegenspieler, den Irakveteran Brody.
„Homeland“ albert nicht rum, „Homeland“ ist ernst und inszeniert ästhetisch einigermaßen ambitioniert eine unheimliche Stimmung von Verfolgungswahn und Hilflosigkeit: Keiner weiß mehr, was stimmt und wem man trauen kann. Es ist ein Kampf von jedem gegen jeden, den die USA in die Welt exportieren. Die natürlich auch ohne die Supermacht alles andere als friedlich, freundlich oder sympathisch ist. Und so lautet die Botschaft der neuen TV-Serien: Die US-Behörden sind fast so gefährlich wie die Terroristen, die sie jagen. Fast so gleichgültig, wie sie töten, verraten sie Menschen, ohne dem höheren Ziel – der Sicherheit – näher zu kommen.
Wer amerikanische Geheimdienst-Serien ansieht, kommt also nicht mehr auf die Idee, die USA wären die verlässlich Guten. Das gilt natürlich auch für die Kult-Serie „24“ mit Kiefer Sutherland in der Hauptrolle, die von 2001 bis 2010 auf Fox ausgestrahlt wurde. Auch sie wurde massenhaft konsumiert, auch in Deutschland, auch mit ihr hätten sich hiesige Entscheidungsträger in die Problematik einführen lassen können.
Trotzdem stellt sich die Frage, ob diese Bankrotterklärung für die Geheimdienste die Massen nicht in eine große Gleichgültigkeit einübt. Im Sinne von: So ist es eben. In Zeiten des internationalen Terrorismus ist die Demokratie nicht mehr zu retten. Oder schärft dieses Unterhaltungsformat im Gegenteil das Bewusstsein dafür, dass die aktuell agierenden Eliten auf internationale Bedrohungen immer die falsche Antwort haben?
Zuschauer werden für beide Interpretationen Angebote in den Serien finden. Auf der Handlungsebene aber entwickeln die Serien keine Vision davon, wie man Terroristen bekämpfen könnte, ohne dabei die Demokratie zu schrumpfen. Am Ende setzen alle Akteure auf Repression. In dieser inszenierten Auswegslosigkeit liegt bei aller harschen Kritik ein reaktionäres Element. Visionen, wie die Geheimdienste in ihrer Überwachungswut eingedämmt werden könnten, werden nicht diskutiert. Offenbar fehlen hier die Ideen.
Die Serien liefern also keine Anleitung, wie die Demokratie, wie Bürgerrechte zu retten wären. Was sie aber leisten, ist die Sensibilisierung für den Schmerz und die Tragödie, die mit dem Verrat der Demokratie verbunden sind. Massiv stellen sie die Frage: Wohin führt uns der Überwachungswahn? Und ihre Antwort fällt im religiösen Amerika so eindeutig wie biblisch aus: in die Hölle.
Um diese weithin akzeptierte Interpretation der US-Elite als massiver Gegnerin von Menschenrechten sollte man zumindest wissen.
Also, liebe deutsche SpitzenpolitikerInnen: Ihr versteht das Internet nicht, ihr wisst nicht, wie man downloaded? Okay, aber von der Erfindung der DVD habt ihr schon gehört, oder?
Ines Kappert, taz 29.07.2013
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