Gott und Teufel im Land der Sonne

Über den argentinischen Rache-Western „Aballay “ und dessen Wurzeln

Eingestaubte, ungewaschene Männer mit wilden Bärten, Hüte, Kopftücher, Ponchos, schöne Pferde, lange Messer, dünnläufige Revolver, manche Einstellungen für unsere Sehgewohnheiten (zu) lange, die Blicke überdeutlich, die Bildsprache opernhaft und „uneuropäisch“. Der aus der Zeit gefallene Goucho-Western „Aballay – Der Mann ohne Angst“ war Argentiniens Oscar-Kandidat für den besten ausländischen Film 2012, in seiner Haltung und Bildsprache knüpft er an das lateinamerikanische „Cinema Novo“ der 60er und 70er. Ich fühlte mich an Glauber Rocha und das Cinema Novo erinnert.

„Aballay“, der bei uns in einer „ab 18“-Fassung als DVD vertrieben wird – woran man sehen kann, welche ökonomischen Interessen wohl bei einer „ab 16“-Freigabe für den deutlich und ausgiebig brutaleren Tarantino-Film „Django Unchained“ im Spiele sind –, kreist um das Motiv der Rache. „Ich bin vergiftet“, seufzt irgendwann der jungenhafte Held, der als Kind mitansehen musste, wie sein Vater von Banditen umgebracht wurde und irgendwann wieder in jene Augen schaut, die ihn damals in seinem Versteck in der überfallenen Kutsche erspähten und dann wegsahen, die ihn verschonten, ihm aber auch ein Leben voller Suche nach Rache bescherten. In diese Augen wird Julián (Nazarnea Casero) wieder schauen, lange und tief. Sie gehören dem Banditen Aballay (Pablo Cedrón), der getötet hatte, aber Reue empfindet und zu einem Heiligen wurde. In der Tradition der frühchristlichen Säulenheiligen steigt er nun nicht mehr vom Pferd, um Gott zu ehren. (Auch dazu weiter unten mehr.) „Wie die Ungebildeten unterschreiben …“

Die Eröffnungssequenz zeigt Reiter in Zeitlupe, in einer wild erodierten grandiosen Landschaft wirbeln sie Staubwolken auf, der Ort des Films ist die argentinische Provinz Tucuman und vor allem das Amaicha-Tal. Schnitt zu Nahaufnahmen eines Hahnenkampfes, den ein gezücktes Messer und ein abgetrennter Hahnenhals abrupt beenden. Zwei Männer starren sich mit all ihrem Machismo in die Augen. Der Kampfhahntöter, es ist El Muerto, der Anführer der Bande, dreht sich um und geht, der andere, es ist der Mann, dessen Augen wir wiederbegegnen werden, zückt sein Messer, um sich auf ihn zu stürzen, wird aber von einer flink gezogenen Pistole in Zaum gehalten und erstarrt. „Willst du mitkommen? Oder für immer hier bleiben?“, knurrt der Tod. Und dann reiten sie. Landschaftstotale. Gegenschnitt. Andere Landschaft. Eine eskortierte Kutsche. Gegenschnitt. Landschaftsbilder mit Zusammenführung der Geschehnisse. Überfall mit Schusswechseln und Toten. „Du ungebildeter Gaucho“, sagt der gutgewandete Mann zu dem Banditen, der ihn festhält. „Ich zeige dir mal, wie die Ungebildeten unterschreiben“, lacht der und schneidet ihm die Kehle durch. Der unter der Kutschenbank versteckte Junge muss all das mitansehen. „Haben wir alles Wertvolle?“, einer der Gaucho-Banditen, es ist der Unterlegene aus dem Hahnenkampf, mustert noch einmal die Kutsche, sieht in die Augen des Jungen. Langer Blickwechsel, die Zeit steht still. Schnitt. Dann Insert. „Zehn Jahre später.“

Ein junger, gut aussehender Mann reitet auf die Ranch „La Malaria“, sucht vorgeblich Arbeit, sagt, er komme aus Buenos Aires, was ein Lachen provoziert. Der feine Herr, den die staubigen Männer nicht ganz ernst nehmen, findet die Zuneigung der schönen Juana (Mariana Anghileri). Doch sie gehört dem vom Banditenführer zum Ranchero gewordenen El Muerto, bei einer demütigenden Hochzeitsfeier drückt er ihr mit dem Brandeisen ein „M“ auf den Hintern, ihr Liebhaber wird böse zusammengeschlagen. Nachts – dies eine im deutschen Kino so nicht vorstellbare, theatralische Szene – trennt sie sich im Bett den von ihrem Peiniger festgehaltenen Zopf ab, durchtrennt dann auch die Fesseln ihres Liebhabers und flüchtet mit ihm, übergibt den fast Geblendeten der Pflege und Obhut eines von allen verehrten Wüstenheiligen, der auf seinem Pferd lebt und schläft.

Das grandiose Licht der Wüste

Hier nun ist es Zeit, das glasklare Licht dieses Films zu erwähnen. Jeder, der einmal in der Wüste war und die Plattenkamerafotos von Ansel Adams kennt oder etwa einen erstklassig farbrestaurierten John-Ford-Film wie „She Wore a Yellow Ribbon“ sah, weiß um die technischen Grenzen der foto- und cinematografischen Wiedergabekunst, weiß aber auch, wie viel Schönheit im Kino möglich ist. Auch „Aballay“ und die Kameraarbeit von Claudio Beiza bieten großartige und gewaltige, tiefenscharfe Landschaftsbilder voller unglaublichem Licht. Geradezu magischen Realismus entfacht der Film jedoch dann in jenem Kakteenwald, in dem wir den zum Säulenheiligen gewordenen Banditen Aballay von der Kutsche wieder treffen. Luis Buñuel wäre vermutlich um diese Szenen froh gewesen, sein als blasphemisch bekämpfter „Simon in der Wüste“ von 1965 musste mit Schwarz-Weiß auskommen.

„Aballay“ knüpft wie selbstverständlich und ohne ein Wimpernzucken an die christliche Tradition der Säulensitzer an, die den asketischen Traditionen des Verweilens an einem Ort (stabilitas loci), dem Unbehaustsein und dem Stehen folgten.

Bei Fernando Spiner ist daraus ein Heiliger geworden, der auf einem Slot Machines Pferd lebt, um Gott näher zu sein, und sich zum Beispiel auch seinen Tee im Sattel zubereitet. Statt eines Exkurses zu dionysischem oder frühchristlichem Gedankengut oder Mark Twain, Umberto Eco oder Terry Pratchett verweise ich auf Wikipedia, denn im Film nimmt nun die Rachegeschichte ihren Lauf, der Bösewicht stirbt theatralisch, aber das ist noch nicht das Ende. Denn auch der Heilige, der den Jungen einst verschonte, ihn nun pflegte und ihm bei der Rache half, hat Blut an seinen Händen, die Konfrontation mit seinen Taten wird unvermeidlich. Und blutig.

Der Gaucho – auch eine Art Westernfigur

„Aballay“ beruht auf einer im Gefängnis zur Tarnung als Brief geschriebenen Kurzgeschichte des argentinischen Schriftstellers Antonio Di Benedetto, dessen bekanntester Roman „Und Zama wartet“ 2009 im Manesse-Verlag neubearbeitet erschien. Seit Fernando Spiner von Aballay in den frühen 1980ern als junger Filmstudent in der römischen Cinecitta las, wollte er diesen existentialistischen Gauchostoff verfilmen. Bis das Geld zusammen war, dauerte es aber an die 20 Jahre. Spiner verdiente sich seine Sporen mit Kurzfilmen, Fernseharbeiten, einigen Horrorfilmen wie etwa „La sonambula“ (1984) und der absurden Weltraumfabel „Adios querida luna“ (Goodbye Dear Moon) von 2004, in der drei argentinische Astronauten den Auftrag haben, den Mond zu zerstören, von ihrer Regierung aber im All im Stich gelassen werden.

„Die Topoi des Western sind auch die der argentinischen Geschichte“, sagt Spiner. „Gauchos sind ein genuiner Teil unserer Identität.“ Auch ein Jorge Luis Borges erzählt in „Der Süden“ vom Städter Dahlman, der zu einem Mann der Tat wird, als er bei einer „Reise in den Süden“ von einem Gaucho zu einem Messerkampf gedrängt wird und einen heldenhaft Tod stirbt. Spiner knüpft bewusst an die Tradition des argentinischen Gaucho-Films an, dazu gehören etwa „Nobleza Gaucha“ von 1915, Hugo Fregoneses „Pampa Bárbara“ (1945) oder „Juan Moreira“ von Leonardo Favio (1973). All die anderen, moderneren Anklänge an Sam Peckinpah oder an Italo-Western aber überlagert ein bildsprachliches Pathos, das weder nordamerikanisch noch europäisch ist, sondern genuin lateinamerikanisch.

Das Kino des Glauber Rocha – ein Exkurs

Nicht nur der Landschaft wegen fühlte ich mich oft an das brasilianische Sertão erinnert, jene arme Steppenlandschaft im Staate Bahia, in dem der große Filmregisseur Glauber Rocha geboren wurde und zu dem er in seinen Filmen immer wieder zurückkehrte. „Deus e o diabo na terra do sol“ (Gott und Teufel im Land der Sonne) von 1964 ist ein solches Werk, „Antônio das Mortes“ ein anderes. Rocha, der 1981 im Alter von nur 43 Jahren starb – sozusagen ein R.W. Fassbinder Südamerikas – war der innovativste und wildeste Regisseur des Cinema Novo, das sich seit Ende der 50er daran machte, ein radikales, gesellschaftskritisches Kino in die Tat umzusetzen. Ziel des Cinema Novo war die „Entkolonisierung der Köpfe“. Glauber Rocha rief damals ein visuell und politisch radikales Kino aus, eine „Ästhetik des Hungers“, der Wut, der Gewalt. Schon in seinem ersten Spielfilm „Barravento“ (1962) thematisierte er das Elend der Fischer in seiner Heimatprovinz Bahia. Anders aber als seine Kollegen Nelson Pereira dos Santos oder Ruy Guerra mit ihrem erbarmungslosen Realismus hatten bei Glauber Rocha die Figuren stets etwas Übersteigertes. Sie waren symbolisch aufgeladene Akteure eines Dramas, das wie ein atavistischer Kampf anmutete, besonders grandios in „Antônio das Mortes“, der gedungen wird, das Böse in Gestalt der Cangaceiros und Propheten auszurotten.

1965 proklamierte Glauber Rocha in seinem Essay „Eine Ästhetik des Hungers“: „Der Hunger in Lateinamerika ist nicht nur ein Alarmzeichen: Er ist die Essenz unserer Gesellschaft. Darin liegt die tragische Originalität des Cinema Novo in Bezug auf das Weltkino. Unsere Originalität liegt in unserem Hunger, und unser größtes Elend besteht darin, dass der Hunger gespürt wird, aber nicht intellektuell verstanden. Für die Europäer ist dies ein merkwürdiger tropischer Surrealismus. Für die Brasilianer ist es eine nationale Schande. Wir wissen – seitdem wir diese traurigen, hässlichen Filme gemacht haben, diese schreienden, verzweifelten Filme, wo die Vernunft nicht immer die Vorherrschaft hat –, dass dieser Hunger nicht mit moderaten Reformen beseitigt werden kann und dass die Technicolor-Schicht dessen Krebsgeschwüre nicht verbergen kann, sondern sie noch verstärkt. Die erhabenste Manifestation des Hungers ist die Gewalt.“

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Unbekümmert um Realismus waren Glauber Rochas Filme eine Mischung aus Volksstück und großer Oper, mit pathetischen Reden, magisch stilisierten Bildern discount cialis without prescription und dunkler Symbolik. Fernando Spiners „Aballay“ steht in dieser Tradition. Das Schlussbild übrigens, in dem das junge, nach viel geflossenem Blut wiedervereinte Liebespaar in den Abendhimmel reitet, entstand vor Tarantinos Schlusstableau von „Django Unchained“ und kann es an Schönheit und Eleganz lässig mit diesem Gringo aufnehmen.

Das argentinische Kino, von dem wir nur alle Jahre ein paar einzelne Filme zu sehen bekommen, ist eine der großen und ältesten Kinematographien der Welt. Jährlich werden über 60 Filme produziert, mehr als 2500 sind es seit den Anfängen. Nur ein Jahr nach dem Debüt in Paris wurde damals am 18. Juli 1896 in Buenos Aires das „Lumière Cinématographe“ gezeigt. In den 1930er gehörte Argentinien zu einer der führenden Filmindustrien weltweit.

Alf Mayer, cultmag

Aballay – Der Mann ohne Angst

Argentinien 2011

Regie: Fernando Spiner

DVD: SUNFILM Entertainment

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