YES, WE CAN (SOMETHING, ANYTHING, MAYBE, PLEASE!)
„Geschichte beginnt als Farce und endet als Tragödie. Oder umgekehrt“.
ARGO (Regie: Ben Affleck)
Die United States of America werden, glauben wir der kulturellen Repräsentation in Romanen, Filmen oder Comics, von unerlösten, dynamischen und neurotischen Menschen bewohnt, die dazu tendieren, mal das Beste und mal das Schlechteste einer Gesellschaft in Demokratie und Kapitalismus zu verkörpern. Nicht nur die Gesellschaft, sondern auch jede einzelne Seele kennt den tiefen Riss zwischen den beiden Tendenzen der amerikanischen Geschichte, den Kampf zwischen den fundamentalistischen, bigotten und militanten und den liberalen, weltoffenen und humanistischen Kräften, die sich nicht erst seit dem schrecklichen, großen Bürgerkrieg gegenüberstehen. Lange nicht so übersichtlich ist das, wie man es gerne hätte. Und jeder neue Wahlkampf um das Präsidentenamt machte es erneut deutlich, wenn auch die Kommentare tun, als wäre es jeweils eine ganz neue Erkenntnis: Die amerikanische Gesellschaft ist tief gespalten, und die Spaltung wird immer tiefer. Es gibt Orte, an denen sich diese Spaltung offen zeigt, in den Kirchen, in den Bibliotheken, in den Parteiräumen, und es gibt Orte, in denen sie sich weniger zeigt, im Starbucks, beim Baseball, oder im Kino. So nimmt es nicht Wunder, dass in einem Film wie „Das Leben des David Gayle“ (2002) des Briten Alan Parker, jemand über den scheinbar amerikanischsten der mehr oder weniger vereinigten Staaten sagt: „Never trust a state with more churches than Starbucks …“ Auf dem Weg über den Ozean verliert sogar diese Aussage an Eindeutigkeit, war uns nicht immer die Einheit von Religion und Kapitalismus so unheimlich? Eine so widersprüchliche Gesellschaft mag für den einzelnen manchmal recht anstrengend sein, to say the least, für das Kino zwischen populärer Kunst und Industrie ist es der perfekte Nährboden. Aus Gesellschaften, die mit sich selbst zufrieden sind, nicht wahr, Deutschland, kommen selten gute Filme. Aus Gesellschaften, die vor sich selbst erschrecken können, schon.
Das Kino, je größer desto mehr, ist eine langsame Industrie, und seine Kultur ist entsprechend asynchron. Wenn es so etwas gibt wie den richtigen Film zur richtigen Zeit, dann hat es irgend eine Vorahnung gegeben, oder der traditionell auch nicht gerade aktuelle Zeitgeist hat so seine ein, zwei Jahre gebraucht, um zu bemerken, was los ist. In aller Regel aber scheint das Kino der Politik (und ihrer Stimmung) hinterher zu sein, so dass allenfalls seine zweite Amtszeit einem Präsidenten wie Barack Obama zu Kinofilmen verhelfen kann, die zu seiner politischen Agenda passen.
Wenn ein Demokrat im weißen Haus sitzt, gibt es mehr Vampirfilme,
und wenn es ein Republikaner ist, dann gibt es mehr Zombiefilme.
Schon immer gibt es in der Sozialgeschichte des amerikanischen Films die Analogie von Präsidentschaft und Grundton der Mainstream-Filme: Die Roosevelt-Filme wie die New Deal-Komödien, die Eisenhower-Filme des stählernen Lächelns, die Kennedy-Filme mit ihren Erneuerungsträumen, die finsteren Reagan- und später die Bushistischen, revanchistischen Filme, dazwischen: Clintonianismus als soziale Rückbesinnung. Die entsprechenden Nerds haben es statistisch berechnet: Wenn ein Demokrat im weißen Haus sitzt, gibt es mehr Vampirfilme, und wenn es ein Republikaner ist, dann gibt es mehr Zombiefilme.
Einer näheren Nachprüfung halten solche Zuschreibungen in der amerikanischen Filmgeschichte allerdings nicht immer stand. Die „eindeutigen“ Beispiele sind eher in der Minderheit: Wir konnten zweifellos „Reaganistische“ Filme beobachten, und in manchen von ihnen, denken wir zum Beispiel an „Iron Eagle“ aus dem Jahr 1986, in dem explizit davon die Rede war, dass nun, rechtzeitig zum militärischen Schlag, nicht mehr „Schlaffi“ Carter, sondern „Cowboy“ Reagan im Weißen Haus regiere, wurde in der Tat auf die liberale und skeptische Hälfte der amerikanischen Gesellschaft so gepfiffen wie Mitt Romney auf die Armen pfeift. Wir konnten Bushistische Filme erkennen, fundamentalistische Phantasien voller Blood Poetry (anders als bei den Reaganistischen Filmen weniger Filme von Zustimmung und Affirmation, als Filme des mörderischen Nihilismus und der Hoffnungsarmut), und umgekehrt war der bekennende Demokrat Steven Spielberg neben seinen Erfolgsfilmen in seiner Karriere stets bestrebt, eine cineastische demokratische Gegengeschichte seines Landes zu entwickeln.
Natürlich dürfen die politischen Unterschiede zwischen den beiden Flügeln der amerikanischen Politik nicht so hoch eingeschätzt werden wie es die kulturellen Unterschiede sind. Beide Seite versuchen sich des Kinos und des Fernsehens zu bedienen, und sie benutzen dabei eine bemerkenswert ähnliche „Sprache“. Die radikalere Kritik – auch in einem Film – sieht offensichtlich hinter diesen Widerspruch in Geschichte und Kultur, und ein scheinbar so radikaler Kritiker seines Landes wie Michael Moore kommt am Ende doch nur zu der Überzeugung, dass es besser sei, die Demokraten zu wählen. Umgekehrt benutzt die Gegenseite im Wahlkampf durchaus Mooresche Ästhetik in dem Film, der beworben wurde mit der Schlagzeile, es handele sich um „den Film, von dem das Weiße Haus nicht will, dass Sie ihn sehen“. Das funktionierte immerhin so gut, dass „2016 – Obama’s America“ von Dinesh D’Souza im Wahljahr zum zweit-erfolgreichsten Film (nach einem durchaus „republikanisch“ zu verstehenden Film, „Expandables 2“) werden konnte. Nur Michael Moore selbst übertraf die Einspielergebnisse für einen „Dokumentarfilm“. Zwei Tage vor der Wahl lief im Kabelfernsehen zur Prime Time der Film „Seal Team Six: The Raid on Osama bin Laden“, der einen glücklichen Ausgang des „Kriegs gegen den Terror“ suggerierte und bei dem Harvey Weinstein zusätzliche Szenen einfügen ließ, die Barack Obama in besonders strahlendem Licht zeigten, assistiert von der Produzentin Meghan O’Hara, ihrerseits Vertraute von Michael Moore.
Solche Geplänkel spielen am Ende des Tages auch in der Sozialgeschichte des amerikanischen Films nur eine marginale Rolle, und ein Film für Obama ist noch lange kein „obamistischer Film“. Hollywood, traditionell eher der demokratischen Seite zugeneigt, vergisst sehr schnell, auch peinliche Vorkommnisse wie Clint Eastwoods grotesken Dialog mit dem leeren Stuhl oder Matt Damons öffentlichen Zweifel an einer zweiten Amtszeit für Obama. Aber vielleicht hatte er recht, und vielleicht steckte es in einer ganzen Reihe von Filmen: „Ich glaube nicht wirklich, dass die Republikaner oder die Demokraten das Ausmaß der Wut, die die meisten Menschen im Land angesichts der Ungerechtigkeit fühlen, verstehen.“ Größer als die Kluft zwischen Demokraten und Republikanern ist noch allemal die zwischen einer politischen Klasse und einer anderen, die sich von ihr weder verstanden noch vertreten fühlt. Die radikalere politische Satire macht daher zwischen den demokratischen und den republikanischen Politikern kaum einen Unterschied.
Man möchte indes von einer prinzipiellen Teilung der amerikanischen Gesellschaft in einen liberalen und in einen fundamentalistischen Teil ausgehen, und diese Teilung spiegelt sich natürlich auch in den Filmen. Die Beziehung des Mainstream-Kinos zu dieser Teilung, die offenkundig eine Patt-Situation mit wechselnden Pendel-Ausschlägen bewirkt, wird allerdings durch die eigene kulturelle Ökonomie relativiert. Und da steht einiges gegen eine allzu deutliche Parteinahme:
- Der „Wert“ eines Films, auch in seiner Lizenz-Vermarktung, entscheidet sich blitzrasch (und erheblich irrational) am Startwochenende, so dass ein Film, der sich definitiv auf die eine oder andere Seite stellt, schlechte Karten hat. Die Vorfeld-Vermarktung lässt auch einen Überraschungscoup eher unwahrscheinlich werden; ein Film, der zu liberal oder zu reaktionär daherkommt, mag schon vor seinem Start von gegnerischem Shitstorm vernichtet werden.
- Der Hollywood-Film kann sich nicht mehr allein auf den Binnenmarkt verlassen, er muss auf dem globalen Bildmarkt drängen; das Übertreiben von Pop-Patriotismus, Bigotterie und provinzieller Borniertheit, das bei einem Teil des amerikanischen Publikums womöglich durchaus gut ankäme, würde die weltweite Vermarktung erschweren: Ein Hollywood-Film muss also zugleich amerikanisch sein und darf es nicht übertreiben mit dem Amerikanertum, wie es sich vielleicht „ungeschminkt“ zeigen möchte. Ein Film wie „Ice Age“ spielt drei mal so viel auf dem Auslands- wie auf dem Binnenmarkt ein. Neben Europa tritt freilich auch der wachsende asiatische, vor allem der chinesische Markt (Dreamworks’ „Kung Fu Panda 3“ wird bereits als amerikanisch-chinesische Coproduktion entstehen), und dort, nur zum Beispiel, gelten andere Vorstellungen von politischem Bewusstsein in einem Kinofilm.
- Ein durch und durch liberaler Film kann ökonomisch so wenig bestehen wie ein durch und durch fundamentalistischer Film, denn er würde gleichsam automatisch die andere Hälfte des Publikums ausschließen (und einen entsprechenden Teil der dort doch immer noch ein wenig einflußreichen Kritik erzürnen, so wie einst die Clint Eastwood- und Charles Bronson-Filme der Post-Kennedy-Ära die liberale Kritik erzürnte, zu Recht oder zu Unrecht, und wie eine Generation später die Schwarzenegger- oder Stallone-Filme es taten).
- Der Kino-Besuch in den USA wird mehr und mehr zu einem Luxusvergnügen. Auch dieses Jahr sind die Eintrittspreise wieder gestiegen, während die Besucherzahlen zurückgehen und Filme, die nichts Spektakuläres versprechen sehr schrecklich an den Kassen untergehen.
- Kleine Filme, die sich an ein erwachsenes, wenngleich zahlenmäßig beschränktes Publikum wenden, insbesondere in der Form sozialer Dramen, Culture Clash-Komödien oder Feelgood Movies bergen weniger Risiko und können daher eher einmal auch Stellung beziehen.
Aus allen diesen Parametern ergibt sich ein, sagen wir einmal vorsichtiges Erzählen in Hinblick auf klare Statements; stattdessen entwickelt sich ein Empfinden für Akzente und Konnotationen. Die Hollywood-Mainstream-Filme sind daher weder „unpolitisch“, noch flüchten sie nachhaltig vor der Wirklichkeit in eine Phantasiewelt, wie man es gern unterstellt, sie funktionieren vielmehr „verschachtelt“ und verspiegelt, mehrfach lesbar und selbstwidersprüchlich. Das macht natürlich auch den Reiz ihrer Narrative, denen das „Infantile“ eher als Maske dient. In einer Serie wie der „Avengers“-Comic-Verfilmungen lassen sich die politischen Impulse der Gesellschaft durchaus ablehnen, ein heftiger Dialog zwischen den Interessen der ökonomischen und der politischen Seite der Liberalismus, der Konflikt zwischen den Werten und den Interessen, den Ängsten und den Hoffnungen. Das amerikanische Mainstream-Kino, sofern es noch amerikanisch sein kann, dient in den gelungensten Beispielen einer gewissen Annäherung, wenigstens einer Abgleichung der Impulse zwischen dem fundamentalistischen, rückwärtsgewandten („rechten“) und dem liberalen, modernistischen („linken“) Flügel. Eine solche Strategie freilich produziert gelegentlich zwei Dinge, die den Genuss an Kunst, Handwerk oder wenigstens Unterhaltungsqualität gelegentlich empfindlich stören kann: Verlogenheit oder Neurose.
Vom amerikanischen Kino eindeutige Bekenntnisse zu erwarten, ist daher eher, was den Mainstream- Sektor anbelangt, unrealistisch, zumal bei einer Industrie, die vor dem Scheitern so viel Angst haben muss, dass sie von vorneherein mehrheitlich auf die (scheinbar) sicheren Elemente von Sequels, Serien, Remakes und Franchise setzen muss. Die Kunst eines amerikanischen Kinos von Rang besteht darin, auf möglichst kreativen, möglichst akzeptablen semantischen und mythischen Umwegen zum Herz dieses amerikanischen Doppelgesichts zu gelangen. (Der Western übrigens war für dieses Vorhaben, in Zeiten als er noch eher unterschwellig wirkte, den Konflikt zwischen dem demokratisch-liberalen-modernen und dem biblisch-patriarchalisch-republikanischen Flügel, ein ideales Genre.) Der Konflikt zwischen diesen beiden so unversöhnlichen Teilen der amerikanischen Gesellschaft, von deren tiefer Spaltung man umso erschreckter sein kann, je näher man ihr kommt (weshalb die Mainstream-Filme dafür Sorge tragen, dass man ihr nicht zu nahe kommt), scheint immer so etwas wie eine gespenstische Wiederkehr des amerikanischen Bürgerkriegs. Und vielleicht deshalb ist es ein Gebot der Zeit, der zentralen Hoffnungsgestalt dieser Zeit, dem Präsidenten Abraham Lincoln, wieder nahe zu kommen – und genau so naheliegend ist es, dass das politische Biopic vermieden wird, und Lincoln als abstruser Mash Up-Held (der mit „Abraham Lincoln: Vampire Hunter“ allerdings furchtbar einging, während die Asylum Billig-Version „Abraham Lincoln versus Zombies“ immerhin wohligen Trash-Appeal verbreitet) oder Zentrum eines Verschwörungsthrillers wie bei Steven Spielberg auftritt. Da muss man die Obamistische Tendenz gleichsam nach-inszenieren, etwa in der groß angekündigten Premiere des Films im Weißen Haus.
Die Filme, die einer Präsidentschaft zuzuordnen sind, lassen sich vielleicht in drei Gruppen einteilen. Nennen wir es die Alltagsbewältigungsfilme (Filme, die davon sprechen, wie man mit Gemeinsinn und Solidarität Probleme lösen kann), die „Wertefilme“ (Filme, die an verpasste und verlorene Werte erinnern, an die Freiheit oder an das Recht, zum Beispiel) und die historischen Mythenfilme, ein Rewriting der amerikanischen Geschichte.
Eine Reihe von Filmen reagierten auf die Finanzkrise (die ja auch in den USA einerseits eine Vertrauenskrise war und andererseits eine Unzahl persönlicher Katastrophen nebst einem allgemeinen Absinken bedeutete), doch keiner von ihnen war so erfolgreich wie einige jener Filme, die auf 9/11 reagierten, war hier doch noch einmal, neben der Spaltung in die „revanchistischen“ Gewaltfilme wie „Collateral Damage“, die Zusammenrück-Filme wie Oliver Stones „World Trade Center“ und die humanistischen Trauer-Filme („Valley of Elah“) durchaus das Gemeinsame stärker als das Trennende. Am Beginn der zweiten Obama-Adminsitration gibt es ein solchen Bezugspunkt nicht mehr; in dieser Situation hilft auch nicht so etwas wie eine Hoffnung auf einen New Deal; die meisten Finanzkrisen-Filme sind eher schwarz und zynisch: Das Ende ist in Filmen wie „Cosmopolis“ näher als ein Neuanfang. Und wenn ein solcher konstruiert wird, glaubt kaum jener daran: Den absurden Feelgood Movies wie „I Wonder How She Does it“, die auf so triviale wie unglaubwürdige Art den Konflikt zwischen Familienleben und Karriere in der Biographie einer Frau aus dem gehobenen Mittelstand phantasiert, stehen dunklen Nachtphantasien wie David Cronenbergs „Cosmopolis“ oder „Arbitrage“ von Nicholas Jarecki gegenüber, in dem Richard Gere als Finanzjongleur in der Krise, der nur von jemandem bezwungen werden kann, der noch mehr den Gesetzen des Haifischbeckens entspricht als er selbst. Der zweite Obamismus des verblassten „Yes We Can“ und der minuierten sozialen Hoffnungen muss mit bescheidenen Motiven arbeiten oder buchstäblich ins Wolkige ausweichen. „Cloud Atlas“ ist als eine solche bizarre Mischung zu lesen, ein pathetische Mahnung an den Gemeinsinn und die Verantwortung („Unser Leben gehört uns nicht allein“), zugleich aber die Delegation an eine höhere Macht, die Metaphysik, und im Kern darin kleine Hoffnungen auf den trotzigen Gemeinsinn alter Leutchen wie im Feelgood Movie nebenan.
Der zweite Obamismus mag sich auch in einigen Filmen zeigen, die sich dafür ganz und gar nicht geeignet wissen, und die vor allem durch den Vergleich wirken, wie „Dredd“ von 2012, der neben dem „Judge Dredd“-Film mit Sylvester Stallone bemerkenswert un-ideologisch wirkt, die, seinerzeit sicher nicht zu Unrecht als „faschistoid“ kritisierte Anmaßung des Polizisten-Vollstreckerhelden und die Verachtung gegenüber dem „menschlichen Abschaum“ gar nicht mehr thematisiert.
Die kritischen Töne aber überwinden die Barrieren des Mainstreaming hier und dort, etwa wenn es in „Killing them Softly“ von Andrew Dominik heißt: „Americe is not a Country – it’s a business“. Eben darum geht die Frage, die sich für das Kino als ganz konkrete Repräsentationsaufgabe stellt: Das Land oder das Geschäft? Eine echte Einheit scheint es auch im Film nicht mehr zu geben. So wird, was wahlweise eine Rückkehr in die amerikanischen Wertegemeinschaft und ihr wärmendes Miteinander oder der Abstieg à la „ 2016 – Obama’s America“ erscheinen mag, eher in Nebenarbeiten oder Akzentverschiebungen sichtbar.
a) Politrics, oder eine kritische Distanz zum Teapartyism. In „The Campaign“ (2012) liefert Jay Roach eine ziemlich hemmungslose Satire auf das amerikanische Politik-Show-Business, und gern nimmt er alle Sottisen des Republikaner-Kandidatin Romney auf, insbesondere natürlich sein Statement gegen die Armen als Sozialschmarotzer oder Geographie-Kenntnisse à la Sahra Palin. Ganz eindeutig wird hier der Wahlkampf von den Millionenverdienern im Hintergrund manipuliert, und wie bei Capra wird ein naiver junger Mann als Kandidat aufgebaut, der gerade noch rechtzeitig das Spiel durchkreuzt. Hier muss man im Fernsehduell das Vaterunser aufsagen. Zwei Vollidioten kämpfen ums politische Amt, und Will Ferrell als Cam Brady entwickelt seine Bush-Persiflage aus „Saturday Night Life“ weiter. „The Watch“ (2012 – Regie: Akiva Schaffer) bekommt seinen grotesken Zug – eine „Bürgerwehr“ von eher trotteligen als gefährlichen weißen Vorstadtmännern will das Gemeinwesen gegen Aliens schützen – in der Tiefe durch einen Bezug zu einer realen Bürgerwehr, durch den in Florida Februar 2012 ein unschuldiger Passant erschossen wurde.
b) Es ist, vage genug, eine Idee, nach dem Wert des Lebens und nach dem der Gesellschaft zu fragen, wie in einem Zeitreise-SF-Film à la „Looper“ (2012 – Regie: Rian Johnson). Der Zynismus (auch der der Kritiker, wohlgemerkt) verschwindet, wo ein Amerika der nahen Zukunft gezeigt wird, in dem es keine soziale Fürsorge mehr gibt, keine Solidarität und eigentlich keinen Staat: Für ein wenig ruhiges, sicheres Leben wird hier nahezu jeder gern zum Auftragsmörder. Einen Diskurswechsel könnte man auch in dem Polizeifilm – schon immer ein Gradmesser für die politische Stimmung im Land – „End oft he Watch“ (2012 – Regie: David Ayer) sehen, wo man bei allem Zynismus auch den Idealismus der beiden Polizisten-Helden Jake Gyllenhaal und Michael Pena spürt, die ihren Auftrag zu dienen und zu schützen noch ernst nehmen und ganz nebenbei geht es auch um eine sehr distinkte Aufhebung der rassistischen Hierarchien: Der neo-obamistische Film akzeptiert, dass das Amerika der nahen Zukunft nicht mehr weiß dominiert ist.
c) Verantwortung lernen, Familie vom Bollwerk in die Keimzelle der gegenseitigen Verantwortung verwandeln, wie in „Fun Size“ (2012 – Regie: Josh Schwartz), wo das High School Girl den Babysitter-Job vermasselt und dann auf eine nächtliche Suche nach dem verschollenen kleinen Bruder gehen muss. Wie zumeist, so ist auch hier erst einmal ein „Zentrum“ oder eine Bezug verloren – der Tod des Vaters – der zu einem trotzdem weitermachen führt, und ganz nebenbei geht es auch um die Integration der Außenseiter und Nerds, die vordem gern einmal die komischen Feinde abgegeben haben. Das neo-obamistische Kino scheint es auf Bewegungen der Inklusion abgesehen zu haben (das, immerhin, kann man von den Überraschungserfolgen des europäischen Wohlfühlkinos lernen: das so offenbar nicht nur älter sondern auch „sozialer“ wird.)
d) Die sozialen Komödien versuchen sich wieder an einem appelativen Touch. „Here Comes the Boom“ (Das Schwergewicht, 2012 – Regie: Frank Coraci) erzählt so eine Geschichte von einem Musiklehrer (Kevin James), der aus seiner Lethargie erwacht und sich lieber im Mixed Martial Arts-Kampf verhauen lässt (weil auch der Verlierer hier kassieren darf), als eine musische Abteilung der Schule auflösen zu lassen. Die Mitglieder der verschiedensten Randgruppen und Imigrantenkulturen tun sich zusammen, und eine Solidarisierung wie in einem alten Capra-Film setzt ein (freilich nur wieder bis zu einem „Du musst gewinnen“- Ende, das den Feelgood-Aspekt und die Inklusion konterkariert).
e) Ein Rewriting der Geschichte insbesondere in Bezug auf die letzten Kriegseinsätze, das etwa Ben Afflecks „Argo“ über den bizarren Coup der Befreiung amerikanischer Geiseln aus der kanadischen Botschaft durch eine Fake-Filmcrew im Jahr 1979 zeigt, und das zugleich Thriller und Hollywood-Satire ist. (Pünktlich zu Obamas Dienstantritt erschien übrigens Mike Nichols’ „Charlie Wilson’s War“, und auch da wurde die Geschichte als Farce gezeigt.) 2009 legte Steven Soderbergh mit „The Informant“ eine ähnlich groteske Fabel aus der Industriewelt vor: Matt Damon als äußerlich so spießig-mittelständischer Kleinbürger, der in Wahrheit Millionen durch einen Coup ergaunert, der so hirnrissig FBI und Justiz und seine eigene Firma narrt, dass es schon wehtun muss. Diese Filme funktionieren nur, weil sie auch die Ideologie, die hinter den Systemen steckt, untersuchen. In „Zero Dark Thirty“ geht Kathryn Bigelow der Mission zur Jagd auf Osama Bin Laden nach, als „Anatomie einer Jagd“, wie sie es selber nennt. Dieses „Anatomische“ ist es, was im neo-obamistischen Kino nach dem Punkt sucht, wo der Widerspruch zwischen Land und Geschäft noch einmal zu überwinden wäre.
f) Die Abwendung des schlimmsten, wie in der wunderlichen Mischung von Apokalypse und RomCom „Seeking a Friend for the End oft he World“ (2012 – Regie: Lorene Scafaria): Nicht nur der Trottel (Steve Carell), der selbst angesichts des drohenden Weltuntergangs weiter brav ins Büro geht (was für ein Bild für den Mittelstand in der Zeit der Finanzkrise!), – sondern auch die Welt kann gerettet werden, durch die Liebe. Na schön.
g) Schließlich ist ein „demokratisches“ Hollywood-Kino geprägt durch Impulse der auch nachträglichen Inklusion, während das „republikanische“ Kino eher mit der Konstruktion von Feindbildern und Super-Amerikanern beschäftigt ist, die sie bezwingen. So kommen Filme wie „Red Tails“ (2012 – Regie: Anthony Hemingway) gerade recht, die den afroamerikanischen Anteil an den Siegen im Zweiten Weltkrieg preisen und auf die gemeinsamen Werte zurückweisen, die möglicherweise zwischendurch verloren gingen. Zwanzig Jahre lag verbrachte dieser Stoff in der development hell. Was den Film von realen und patriotischen Filmen des Genres unterscheidet ist, dass er die afroamerikanischen Piloten nie aus dem Blickwinkel der Weißen, nie als willige Gehilfen sieht, dafür aber übernimmt er wiederum ästhetische Muster des klassischen Kriegsfilms, vor allen Auflösungen durch Malick oder Spielberg (an den Kinokassen wurde dies nicht honoriert).
Ein Obama-Kino wäre vielleicht eines, das sich nicht nur aus der Umklammerung durch den Teaparty-Wahnsinn und die Finanzkrise zu befreien versucht, sondern auch von der „fearocracy“, der Herrschaft der Furcht und durch die Furcht, die man seit dem 9/11 beklagt hat. Es ist ein Projekt, den „Krieg gegen den Terror“ zu beenden, jedenfalls in der furchtbaren Gestalt, die er angenommen hat und die nach Guantanamo und in die Folterpraktiken führte. Auch im Horror-Genre scheinen sich gegen die Torture Porn-Serien allmählich die softeren Spukhaus- und Mystery-Filme durchzusetzen, so wie sich der Bourne-Art der Agentenfilme und der neue Bond noch bis zur Selbstauflösung damit herumschlagen, und im Fernsehen ist die Zeit der „24“-Paranoia vorbei. Ein Post-Fearocracy-Kino, ein Kino jenseits der „Fear Industry“ ist am Ende auch ökonomisch sinnvoll auf einem Markt, der offensichtlich nicht allein von den Neurosen und Ängsten leben kann und will. Barack Obamas erklärte Lieblingsserie ist schließlich „Homeland“, die Jagd nach einem „Umgedrehten“ amerikanischen Agenten, die dem Zuschauer den Glauben an die klaren Linien in jeder Hinsicht raubt. Nicht einmal der filmischen Erzählweise einer Erinnerungs-Rückblende: Die Renaissance mag beginnen mit dem Abschied von den einfachen Lösungen.
So zaghaft sich neues zeigt, so spürbar ist auch der Abschied des alten. Einen so persönlichen, engagierten Kritiker wie den Oliver Stone der frühen Jahre gibt es nicht mehr, und seine scharfe Kritik an den „Reaganomics“ in „Wall Street“ konnte er so wenig wiederholen mit seiner Folge „Wall Street: Money Never Sleeps“, noch hatte sein Portrait von Bush unter dem Titel „W“ die zornige Kraft, die sein „Nixon“ gehabt hatte. Das Ermüden dieser Autoren ist symptomatisch. In „Savages“ sieht man den Kampf der Drogenkartelle noch um jeden lukrativen Markt auch als politische Metapher auf das Agieren der globalen Konzerne; eine Gegenkraft ist nicht in Sicht.
„The Expendables 2“ oder andere Filme mit den alten Helden beim letzten Gefecht sind auch manchmal ironische manchmal melancholische, gelegentlich auch hysterische Abschiedsfilme. So wie Filme wie „The Watch“ vor lauter Hysterie den Anschluss verpassen, denn wenn die eine Seite siegt, darin hat die andere immer recht, ist das alte Amerika beim Teufel. Oder in mehr oder weniger zynischen Abgesängen auf ein Prinzip der Konkurrenz, in dem niemand irgend jemandem trauen kann, wie in Aaron Harveys „Catch .44“. Und ein Abschiedsfilm ist auch „Back in the Game“ (2012 – Regie: Robert Lorenz) über den alten Eastwood-Charakter, der sich mit der Veränderung des Landes schwer tut und letzte Bestätigungen seines Talents findet, vor allem aber Versöhnung über die Generationen hinweg. Das ist es wohl, wovon ein neo-obamistisches Kino noch träumen kann.
Georg Seeßlen, epd-Film
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