23 Connection
Im Zuge einer diskordianischen Individuation treffe ich auf Jürgen Ploogs alternative Literaturzeitschrift „Gasolin 23“, die er in den Jahren 1973 – 1986 zusammen mit Carl Weissner & Jörg Fauser editierte. Schliesslich ist es wohl Wolfgang Rüger, Herausgeber von Bitter Lemon/Paria-Verlag, der mir empfiehlt, Jürgen Ploog einfach mal im Frankfurter Westend anzurufen.
Wikipedia schreibt über Jürgen Ploog: „Sein schriftstellerisches Werk steht ganz im Zeichen der von Brion Gysin „entdeckten“ und von William S. Burroughs weiterentwickelten Cut-up-Technik. Sie dient Ploog als adäquates Ausdrucksmittel für seinen Lebensrhythmus als Langstreckenpilot. Die konstanten Ortswechsel, das verschobene Zeitkontinuum, die Desorientierung und die ständigen Déjà-vus Leben erzeugen dieses Cut-up-Gefühl.“
Ein paar Tage später sitze ich bei ihm in einer modernen Wohnung mit Blick auf die zum Greifen nahe Frankfurter Skyline. Seine enorme Ausstrahlung im Autopilot-Modus beruhigt mich wie einen flüchtigen Passagier, der unter Flugangst leidet. Ich genieße die extrem lockere Gesprächsatmosphäre. Ploog, ein offensichtlich ganz außergewöhnlicher Gentleman, lädt mich sanft ins Auf und Ab seiner period kosmopolitischen Gleitflüge in andere Wahrnehmungszonen ein.
Es bleibt nicht bei einem Besuch bei ihm. So etwa um 1987/8 herum bin ich auf Suche nach neuen künstlerischen Anregungen und im Zuge dessen kommt es zu bald folgenden Versuchen, mit Ploogs Texten Hörstücke den Hörspielabteilungen von Rundfunksendern anzubieten.
Wir tauchen zusammen ein in Sphären seiner exotischen Texträume und ein erstes, gemeinsames „vol de nuit“ („Nachtflug“) entsteht 1989 für den Bayrischen Rundfunk, eine Lesung, eingebettet in kompromisslose Musik, kein Spiel. Bald folgen noch weitere kurze Hörstücke in Kooperation, wie z.B. „Lorita“ und „Raum hinter den Worten“.
vol de nuit
(Text & spoken words by Jürgen Ploog. Music & drawings by Alfred 23 Harth. Radio play produced by A23H for the Bayrische Rundfunk in 1989.)
Der amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs malte bekanntlich auch. Jürgen Ploog und ich besprechen, ihn zu einer Ausstellung seiner Bilder nach Frankfurt zu holen, wo ich seit 1984 die Avantgardegalerie ‚waschSalon‘ in den Räumen meines ehemaligen „centrum freier cunst“ unterhalte. 1990 fliegt Jürgen seinen Freund mit einer Lufthansamaschine von Kansas und Chikago aus zur ersten Burroughs Exhibition in Deutschland: „Paintings On Paper“. Im Frankfurter Hof bringe ich Mr. Burroughs und seinen Sekretär Mr. Grauerholz unter, beide sind dann natürlich persönlich bei der Vernissage in der Galerie ‚waschSalon‘ im März 1990 anwesend. Am folgenden Tag findet eine kleine Pressekonferenz dort noch statt, die u.a. zu verschiedenen Textausgaben z.B. auch in Walter E Baumanns Kunstmagazin „Rogue“ führt, einem Interview von Hadayatullah Hübsch und der Anthologie Kozmik Blues — William Burroughs Special.
Vor dreiundzwanzig Jahren galt Burroughs noch als Bürgerschreck. Wolfgang Rüger, Udo Breger, Burroughs, Ploog & ich besuchen das Geschäft Waffen Engels in der Kaiserstrasse. Am Tag der Finissage finde ich sehr erstaunlicherweise einen grossen, afrikanischen Tigersalamander vor der Galerietür…
Zeitlich parallel zu diesen Ereignissen vertiefe ich mich in die CD-Gestaltung einer Liebeserklärung an Paris. Hierzu lade ich den Karlsruher Maler und Schriftsteller Wolf Pehlke ein, sich für zwei Wochen in meinem kleinen Apartment im Boulevard Diderot, Nähe Bastille, einzunisten und mir Briefe – Paris Letters – nach Frankfurt zu schicken. Es gelingt ihm, die berauschende Wirkung dieser Stadt in Nischen und Nebenschauplätzen zu skizzieren, ganz ohne touristischen Voyeurismus Oh la la, sondern als love letters in Parenthesis, die ich schliesslich 1990 zur CD „Sweet Paris“ im Studio zusammensetze.
Ploog und Pehlke treffen bei der Eröffnung der Burroughs-Ausstellung in Frankfurt zusammen und es erwächst eine bis heute andauernde, spezielle Beat Farm Freundschaft. Ende 2011 machen wir zu dritt die Gegend ums Karlsruher ZKM unsicher, wo im Folgejahr eine grosse Retrospektive zu William S. Burroughs als Mixed-Mediakünstler ansteht, kuratiert vom Übersetzer & Verleger amerikanischer Beatliteratur, Udo Breger, der schliesslich verpasst, Ploog und Pehlke in diese Ausstellung mit einzubinden. Denn Ploog war mit Burroughs befreundet, stand seit Anfang der 60er im Briefwechsel mit ihm. Wer weiss in Deutschland mehr über Burroughs‘ Arbeiten als Jürgen Ploog?
1993 eröffne ich für zwei Jahre lang das Kunstmikrosystem „Gedankenhotel“ im Frankfurter Bahnhofsviertel, ohne Publikum, aber mit zehn über die Dauer verteilten Gästen und dokumentiere deren diverse Aktionen in den speziellen Räumen des „Gedankenhotel“ und dessen buntem Umfeld für spätere Bild/Textmappen. Ploog ist Gast Nr.4 . Dort entsteht unter anderem auch die CD „Remember me?“, eine mit A23H-Improvisationen unterlegte „Gedankenhotel“-Lesung Ploogs, die später herausgegeben im Engstler-Verlag/Engpol Medien erscheint.
Mystic
(by Alfred Harth’s Imperial Hoot, 1999. Footage from the Gedankenhotel by Alfred Harth, 1993/4, with Jürgen Ploog and Yi Soonjoo)
Im Quersumme-dreiundzwanzig-Jahr, 1+9+9+4, findet in der New Yorker Universtät, NYU, eine „Beat Generation Conference“ statt – 50 Jahre nach ersten Treffs von Jack Kerouac, Allen Ginsberg & William S. Burroughs in seinem New Yorker Apartment. Ploog & ich, wir sind bei mehrtägigen Vorträgen in der NYU und einem Konzert in The Town Hall als zuhörende Gäste mittendrin. Nebenbei entsteht mein Gelegenheitsvideo über den Freejazzpianisten Cecil Taylor, einen der verschiedenen Teilnehmer der „Beat Generation Conference“ aus allen Kunstsparten. Auf vielen Sub-meetings trifft Ploog alte Freunde und Bekannte, Ginsberg signiert mir zwischendurch vordatierend ein Stückchen Zucker…
Ich komme diese illustren Tage wiederholt in einem legendären Hotel unter. Einer der New Yorker Künstler/Taxifahrer hatte mir rein zufällig einen nächtlichen Tipp für meinen damaligen Besuch der Jazzloftszene zugesteckt: Im Jahr 1975 erstmals im verschneiten Manhattan ohne Unterkunft spät abends ankommend, wundere ich mich stark, als mich das Yellowcab direkt & unkompliziert in ein kunstüberladenes Hotellobby ausspuckt. Im Zimmer werfe ich mein Sax aufs Bett & schaue durchs dunkle Schiebefenster auf ein gelblich illuminiertes Empire State Building im Schneetreiben – ein Geschmack von Jazz wie ein querstehendes Gefühl. Es ist das Chelsea, 23. Strasse.
Alfred 23 Harth, Jahresende 20+1+2
Foto: Jürgen Ploog (© Susanne Schleyer/autorenarchiv.de)
MEHR INFORMATIONEN:
PDFs der „Gasolin 23“ Ausgaben auf Gasolin Connection
Texte von Jürgen Ploog auf Gasolin Connection
A Cut-Up Novella by Jürgen Ploog
Video: William S.Burroughs in Frankfurt Main
A23H Fotoset: Gedankenhotel
Bild rechts: CC BY-SA 3.0 DE, www.ploog.com
VERANSTALTUNGSTIPP
HEIMWEH-BLUES AUS DEM KELLER
JÜRGEN PLOOG, FLORIAN VETSCH & ANNA BÖGER LESEN FÜR CARL WEISSNER
SAMSTAG, 26.01.2013, 20 Uhr
Hessisches Literaturforum im Mousonturm e.V.
Waldschmidtstraße 4
60316 Frankfurt am Main
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- Alfred Harth: Jenseits von Paradox(Erinnerungen) - 23. August 2016
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