Mit dem Begriff der „Banalität des Bösen“ hat die Publizistin Hannah Arendt der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terror der Nazis eine entscheidende Wendung gegeben. Geprägt hat sie den Terminus vor etwa einem halben Jahrhundert in Folge ihrer Beobachtungen beim Prozess gegen den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann in Jerusalem. Das hat ihr damals zahlreiche Anfeindungen eingebracht. Vor allem davon erzählt dieser Spielfilm – und das auf packende Weise fern aller langweiligen Schulbuch-Zeitbetrachtung.
Regisseurin Margarethe von Trotta nähert sich der Persönlichkeit der Publizistin Hannah Arendt (Barbara Sukowa) aus heutiger Position. In unserer Zeit gilt Hannah Arendt – und das ohne Zweifel zu Recht – in Zentraleuropa und in Nordamerika als eine der wichtigsten Denkerinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schon vor Erscheinen des Buches „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ 1963 in den USA und ein Jahr später in Deutschland hatte sie sich zum Beispiel mit Schriften zum Thema Totalitarismus einen Namen gemacht. Arendts entscheidende Erkenntnis aus dem Prozess von April bis Dezember 1961 schockierte viele Menschen: der Organisator des Massenmordes der Nazis ist – ganz sachlich betrachtet – nichts als ein geistloser Bürokrat, ein nicht denkender „Schreibtischtäter“. Mit scharfem Verstand analysiert Hannah Arendt das Eichmanns „Funktionieren“, sein Handeln als allein von ideologischem Irrsinn und von Befehlsausführung bestimmt. Zudem stellt sie in ihren Texten Fragen zur Rolle der so genannten „Judenräte“, von den Nazis beispielsweise in den Ghettos zwangsweise eingesetzte „Vertreter“ der geknechteten jüdischen Bürgerschaft. Das führte zu besonders wütenden Kontroversen. Sogar langjährige Weggefährten, wie der nach Israel emigrierte Kurt Blumenfeld (Michael Degen), kündigten ihr die Freundschaft.
Regisseurin Margarethe von Trotta und Schauspielerin Barbara Sukowa sind mutig. Nach „Rosa Luxemburg“ (1986) und „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ (2009) wagen sie sich erneut an das Porträt einer ungewöhnlichen Frau. Hannah Arendt (1906 – 1975) also. Die Denkerin, die in ihren Arbeiten auf bedeutende Geistesgrößen wie Kant und Hegel aufbaute, weigerte sich stets, die Bezeichnung Philosophin für sich anzunehmen. Dabei gehörte sie ohne Zweifel zu den Menschen des 20. Jahrhunderts, die das Demokratieverständnis in Folge der Auseinandersetzung mit dem Terror der Faschisten, dem des Stalinismus und anderer Diktaturen entscheidend mitgeprägt haben. Da stets von eigenem Erleben und eigenen Erfahrungen geprägt, sind ihre Schriften auch für Leute verständlich, die keine akademische Ausbildung haben. Arendt schrieb immer mit dem Verstand und mit Gefühl, ohne jedoch gefühlig zu werden. Das ist in diesem Fall auch Margarethe von Trotta und ihrer schon erprobten Mitautorin Pamela Katz gelungen. Sie entwarfen ein facettenreiches Porträt der Frau, die als Jüdin vor den Nazis flüchten musste. Die Handlung setzt ein, da ist Hannah Arendt längst US-amerikanische Staatsbürgerin. Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie glücklich mit dem Hochschullehrer Heinrich Blücher (Axel Milberg) verheiratet. Heinrich, der kein Jude ist, teilt mit Hannah neben der großen Liebe eine grundsätzliche politische Haltung. Aber auch er verzweifelt gelegentlich an der scheinbaren Rigorosität seiner Gefährtin. Schon allein, wie das Miteinander dieses Paares bar jeder Sentimentalität auch mit manchen Spannungen gezeichnet wird, zeigt die Sensibilität des Films. Hannah Arendt wird nicht als Heldin stilisiert. Anbetung bleibt aus. Dem Drehbuch kam sicherlich zugute, dass Margarethe von Trotta und Pamela Katz mit einigen Menschen sprechen konnten, die Hannah Arendt gekannt haben, mit ihr zusammengearbeitet. Die sicherlich sehr verschiedenen Erinnerungen der Zeitzeugen haben zu einer reichen Charakterisierung der Protagonistin geführt. Besonders spannend ist, wie es gelingt, Hannah Arendts öffentliches und privates Auftreten als Einheit zu zeichnen, eine Einheit, die vom Bewusstsein Arendts für die Macht des von sich selbst in die Welt gesetzten Bildes geprägt ist. Hannah Arendt, so wie hier gezeigt, ist eine Frau, die versucht, jedes Wort und jede Geste zu kontrollieren, egal, wann und wo sie erscheint. Nur gelegentlich, etwa in Gesprächen mit der engen Vertrauten und Mitarbeiterin Lotte Köhler (Julia Jentsch), verweisen die Dialoge ein wenig zu deutlich darauf. Überwiegend gelingt es der Inszenierung und dem Schauspiel von Barbara Sukowa, das Innere der Persönlichkeit Hannah Arendts feingeistig und ohne vordergründige Verweise zu spiegeln. Der Sukowa gelingt es, das Denken der Protagonistin sichtbar zu machen. Verblüffend! Sie porträtiert Hannah Arendt als Frau zwischen Stolz und Selbstzweifeln, Bewusstsein für die Verantwortung jedes Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und fast kindlicher Sehnsucht nach stiller Geborgenheit fernab aller Probleme, als kluge Frau und als Liebende. Dabei kommt nie der Eindruck auf, Barbara Sukowa hake hier dieses und dort jenes ab. Es wirkt als leuchteten alle Facetten des Charakters von Hannah Arendt durchweg gleichzeitig auf. Das ist von enormer Faszination und ermöglicht dem Zuschauer eine große Nähe.
In einigen Szenen – die, die kurz Jahrzehnte zurück blicken, und die mit den Momentaufnahmen vom Eichmann-Prozess – wird bewusst auf Distanz gebaut. Das wirkt der Gefahr einer Verkitschung effektvoll entgegen. Die Bebilderung des Prozessgeschehens erfolgt beispielsweise auch mit Archivmaterial. Damit wird obendrein unaufdringlich deutlich, dass Margarethe von Trotta sich zur Subjektivität ihrer Sicht auf die Ereignisse und Personen bekennt, die direkt auf die Persönlichkeit Hannah Arendts zielen, und nicht den Anspruch der allein selig machenden Weisheit erhebt. Das ist von schöner Bescheidenheit, die dem Film wahre Größe gibt.
Peter Claus
Hannah Arendt, von Margarethe von Trotta (Deutschland/ Frankreich/ Israel/ Luxemburg 2012)
Bilder: NFP (Filmwelt)
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