Côte d’Azur und Kino – da denken wohl die meisten sofort an die alljährlich im Mai stattfindenden Filmfestspiele in Cannes. Das könnte sich durch diesen Spielfilm ändern.
Es geht um das Thema Nummer eins: die Liebe. Allerdings wird sie hier nicht als süß und himmlisch-schön verklärt. Es geht eher darum, dass sie auch höllisch schmerzhaft sein kann. Aber auch das ist noch nichts Besonderes. Besonders wird der Film durch die Intensität von Inszenierung und Schauspiel.
Die Geschichte beginnt banal: Mann trifft Frau. Ein Lächeln, ein Blick, eine Telefonnummer. Geplänkel. Drehbuchmitautor und Regisseur Jacques Audiard knüpft im weiteren Verlauf des Geschehens mit seiner Lust an emotionsreichem Erzählen effektvoll an den Stil seines Welterfolges „Ein Prophet“ aus dem Jahr 2009 an. Wie dort, so sind es auch diesmal die Ecken und Kanten, die ihn interessieren. Audiard hetzt die sensible, gebildete und gut situierte Killerwal-Trainerin Stéphanie (Marion Cotillard) und den grobschlächtigen, ungebildeten und alles andere als reichen Gelegenheitsarbeiter und Möchtegern-Kampfsportler Ali (Matthias Schoenaerts) in einen geradezu mörderischen Clinch einander widersprechender Gefühle. Dieser Clinch rührt nicht allein daraus, soziale und psychische Gegensätze überwinden zu wollen. Ein schwerer Schicksalsschlag verstärkt die Story: die junge Frau erleidet einen Unfall mit tragischen Folgen. Damit wird’s existenziell. Verklärung bleibt aus. Ganz klar wird gezeigt, dass Stéphanie Ali im Grunde nur ausnutzen, sich an seiner Stärke aufrichten will. Doch der lässt nicht mit sich spielen. Das daraus folgende Mit- und Gegeneinander des Paares zieht das Publikum in eine Achterbahnfahrt der Gefühle voller extremer Höhen und Tiefen – wobei lange ungewiss bleibt, wohin die Reise geht.
Regisseur Jacques Audiard und Ko-Autor Thomas Bidegain haben den Schauspielern reichlich Gelegenheit für nuancierte Charakterbilder geschaffen. „Oscar“-Preisträgerin Marion Cotillard und Matthias Schoenaerts gelingen denn auch frappierende Studien von Menschen in physisch und psychisch vertrackten Situationen. Sie erreichen vor allem in den leisen, verhaltenen Momenten eine atemberaubende Authentizität. Dadurch fühlt man sich als Zuschauer Seite an Seite mit den Protagonisten. Man kann sich tatsächlich einfühlen. So reagiert man zunächst auch regelrecht schockiert auf das Finale. Selbst völlig nüchterne, sachliche Naturen greifen da wohl zum Taschentuch. Ob es eher Tränen des Glücks oder der Traurigkeit sind, die da provoziert werden, wird nicht verraten. Nur dies: Es entfaltet sich ganz großes Kino, getragen von einem Zauber, den keine andere Kunst entfachen kann!
Peter Claus
Der Geschmack von Rost und Knochen, von Jacques Audiard (Frankreich/ Belgien 2012)
Bilder: Wild Bunch (Central)
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