Eine der Entdeckungen des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs. Zunächst sieht der Film nach abgestandenem, pseudosozialkritischem Schnickschnack aus. Doch nach einer nicht sehr geglückten Einleitung mausert er sich zu einer erfrischenden Exkursion zu dem, was man eine europäische Befindlichkeit der braven Bürger (oder all derer, die sich dafür ausgeben) nennen könnte.
Pilar (Teresa Madruga) und Aurora (Laura Soveral) sind Nachbarinnen, beinahe Freundinnen. Das Alt-Werden schmiedet zusammen. Dabei ist Aurora mit ihren exzentrischen Einfällen doch eher eine Nervensäge denn eine freundliche Zeitgenossin. Nach ihrem Tod kommt Pilar mit Ventura (Henrique Espirito Santo) zusammen. Er war einst Auroras Geliebter. Und die Geschichten aus der Vergangenheit, die er erzählt, haben es in sich.
Wie es sich gehört, um Wirkung zu haben, mündet alles in eine Liebeskummergeschichte. Ihren Ausgang nimmt sie in Afrika. Und da wird es spannend. Denn ganz nebenbei werden da plötzlich Aspekte kolonialen Hochmuts und Übermuts reflektiert. Ist das schon inhaltlich interessant, weil es auf Befindlichkeiten der Gegenwart verweist, begeistert die formale Umsetzung, geprägt von expressivem Spiel in Stummfilmmanie und der originellen Bildsprache, die der Schwarz-Weiß-Fotografie eine enorme Farbigkeit entlockt. Man staunt und ist amüsiert, wie unterhaltsam eine Auseinandersetzung mit der historischen Last des Kolonialismus sein kann – und merkt im Nachhinein, wie viel Futter einem der Film zum Nachdenken liefert.
Peter Claus
Tabu, von Miguel Gomes (Portugal/ Deutschland/ Brasilien/ Frankreich 2012)
Bilder: Real Fiction
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