Traumfabrik, Illusionskino, fern der Realität – man kann ganz viel gegen diesen Film vorbringen. Aber: Man kann ihn auch ganz einfach als wundervoll komponiertes und gespieltes (!) Märchen genießen! Ich gehöre nicht zu denen, die dem Eskapismus allenthalben das Wort reden. Doch ab und an ein Törtchen mit zuviel Zucker und Sahne darf schon sein, wenn es derart klug serviert wird, wie in diesem Fall.
Regie geführt hat Susanne Bier. 2011 gewann sie mit „In einer besseren Welt“ den Oscar für den Besten nicht-englischsprachigen Film. Wer den Film gesehen hat, ist vielleicht überrascht, nun etwas ganz Leichtes von dieser Regisseurin zu sehen zu bekommen. Vielleicht hat sie sich ja gedacht, dass sie den großen Vorjahreserfolg so schnell nicht wiederholen kann, und vielleicht will sie auch entsprechenden Erwartungen an ein neues großes Drama aus dem Weg gehen. Da ist die Wahl eines komödiantischen Stoffes nur zu gut zu verstehen.
Susanne Biers nun schon zwölfter Spielfilm entführt an die sonnige Küste des Mittelmeeres nach bella Italia, so schön, wie es nicht mal in Reisprospekten ist. Dabei enthält die Geschichte einiges, das alles andere als schön zu nennen ist. Hauptfigur Ida (Trine Dyrholm), Friseurin in Kopenhagen mit muffligem Lebenspartner und heiratswütiger Tochter, beendet gerade eine Therapie gegen den Krebs. Alles sieht nach einem Erfolg aus. Doch wirklich sicher ist sich Ida nicht. Die Angst nagt an ihr. Dazu kommt heraus, dass Partner Leif (Kim Bodnia) schon seit längerem mehr als ein Techtelmechtel mit der jungen Tilde (Christiane Schaumburg-Müller) hat. Wirklich fröhlich macht sich Ida also nicht auf den Weg Richtung Sorrent. Dort will Tochter Bitten (Lina Kruse) ihren Patrick (Sebastian Jessen) ehelichen. Dessen Vater, Philip (Pierce Brosnan), wird zu einer Schlüsselfigur für Idas weiteres Leben. Man weiß es sofort, es wird gar kein Geheimnis drum gemacht: die Beiden sind füreinander bestimmt. Er hat vor Jahren seine Frau durch einen Unfall verloren. Das Anwesen bei Sorrent war einst der Ausgangspunkt seiner internationalen Karriere als Fruchtgroßhändler. Klar, Italien ist schließlich das Land, da die Zitronen gedeihen wie sonst nirgendwo. Klischees wie das von den Zitronen werden lustvoll ausgespielt, klassische Komödienkonstellationen mit Verve zelebriert. Dazu gehört, dass Ida und Philip bei der ersten Begegnung, sie kennen sich noch nicht, alles andere als gut miteinander klar kommen. Klar gibt es, wir sind in einer Komödie, auch eine Nebenbuhlerin, Philips Schwägerin Benedikte (Paprika Steen). Zu allem Überfluss taucht dann auch noch Leif mit seiner Gespielin auf. Und sehr schnell ist klar, dass Philips Sohn Patrick an der Seite der liebenswerten Bitten niemals glücklich werden kann. Turbulenzen also sind programmiert.
Das Geschick, mit dem Susanne Bier alle kleinen und kleinsten Randgeschichten inszeniert hat, ist bewundernswert. Mit Lust am Filigranen hat sie alle Szenen um die Stars Trine Dyrholm und Pierce Brosnan arrangiert, so dass die Zwei in aller Pracht ihr Können leuchten lassen dürfen. Und deren Können ist enorm. Sie machen aus den am Reißbrett entworfenen Figuren und Situationen lebenspralle Studien. In einer Schlüsselszene, Ida badet im Meer und Philip kommt dazu, muss sich Trine Dyrholm wirklich vollkommen entblößen, die Figur der Ida mehr als nackt zeigen – und das macht sie mit einer Größe, die einen im Zuschauerraum den Atem anhalten lässt. Anders als in „Mamma mia!“, woran man natürlich angesichts des Settings bei ihm denkt, darf Pierce Brosnan mehr als gut aussehen und zeigen, was er schauspielerisch drauf hat.
Man darf wohl verraten, dass es ein Happy Ende für Ida und Philip gibt. Denn selbst darf man noch einmal staunen, wie geschickt hier Kino-Standards benutzt und zugleich unterlaufen werden. Siebter Himmel ohne Fallen nämlich wird dem Traumpaar nicht in Aussicht gestellt! Man verlässt das Kino mit der berühmten sprichwörtlichen Träne im Knopfloch und lächelt selig, wenn man das nass geheulte Zellstofftaschentuch in den nächsten Papierkorb schmeißt.
Peter Claus
Love Is All You Need, von Susanne Bier (Dänemark/ Schweden/ Italien/ Frankreich/ Deutschland 2012)
Bilder: Prokino
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