Amüsanter als der Titel vermuten lässt
Als tief im Süden, hinter den Bergen, die Neugier siegte
Die Vorspeise ist eine Überraschung, sagt der Koch. Sie feiern den 23. Geburtstag der HO. Ein Gericht von früher, sagt er, dass jetzt eine Renaissance als Delikatesse erlebe. Als sie essen, fragt die Genossin aus Berlin, so ihre kulinarische Bildung demonstrierend: „Heilbutt? Bachstelze?“ Es ist Maikäfer. Dieser Film von Carsten Fiebeler über den legendären Koch Rolf Anschütz, der die „japanische Abteilung“ des in der DDR sagenumwobenen Suhler „Waffenschmied“ erfand, ist deutlich unterhaltender als der Titel „Sushi in Suhl“, unterhaltender auch, als anzunehmen war.
Natürlich, das ist ein fröhliches Denkmal für den Helden und keine Auseinandersetzung mit der DDR – und das ist bei diesem Stoff auch in der Ordnung. Und DDR kommt vor, die Menge. Auch wenn es heißt, dies sei kein Film über die DDR, sondern einer über das Träumen: Es ist einer über das Träumen gleichsam in den Farben der DDR. Die Japaner laden Rolf Anschütz ein nach Japan. Das, sagt die Chefin, das dürfen die nicht. „Wir müssen ihn delegieren.“ Und die Japaner wollen dem DDR-Menschen einen Orden verleihen. Das, sagt die Chefin, kann nicht sein, den ersten Orden muss er von uns bekommen – und er muss größer sein als das Ding von den Japanern. Das „Banner der Arbeit“ ist größer.
In solchen heiter durch den Film flirrenden Sätzen wird mehr über das Land, seine Mentalität und sein Lebensgefühl erzählt als in der Analyse so manches beruflichen DDR-Kenners. Solch ein Film kann nicht die Grundlage der Beschäftigung mit der DDR sein, aber er ist eine mentale Ergänzung für die Menschen, die dort gelebt haben. Es muss, wenn wir einmal in der gastronomisch-literarischen Abteilung sind, es muss nicht immer Stasi sein.
Carsten Fiebeler erzählt seinen Film mit einem heiteren Realismus der Form, überwölbt von einem Hauch Märchenschleier. Die Stimme des Sohnes erzählt aus dem Off. Das begründet die Haltung des Erinnerns, des Verklärens auch, und es spannt kleine Brücken über die Untiefen der Erzählung: Was der Sohn erzählt, das muss nicht ausführlich in Handlung übersetzt werden, es reicht eine andeutende Episode. Das gilt in Sonderheit für die Ehe-Krise von Anschütz, der sich wohl engagierter um Sushi und Genehmigungen bemüht hat als um Frau und Kind. Diese Geschichte fremdelt in der heiteren Handlung, die keinen Raum, keine Atmosphäre hat für ein wirkliches Problem. Und für eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Helden auch nicht, das sind Andeutungen, um die grundsätzliche Authentizität behaupten zu können.
Der Film macht Spaß, das konnte nicht als selbstverständlich gelten, bis der Held sein kleines Japan der DDR und der HO abgerungen hat, bis ihn ein Japaner zum Abschied sagt ‚Tief im Süden hinter den Bergen hat die Neugier gesiegt.“ Das ist der Film. Dann kommt Anschütz doch noch nach Tokio – und dann hat der Film nichts mehr zu erzählen, dann muss er nur noch zu Ende geführt werden. Und wenn es heißt, es gäbe ein Problem mit dem „Rückreisevisum“ und der Held deshalb mehrere Wochen in Japan bleiben muss, dann ist das eine merkwürdige, fragwürdige Hilfskonstruktion. Schließlich, weder wollten die Japaner ihn internieren, noch wollte die DDR Rolf Anschütz zum Wolf Biermann der Gastronomie machen. Der Film braucht diese Konstruktion wohl, um das Lied von der Heimatliebe zu singen, von dem Thüringer, der nur leben kann in seinem kleinen Haus am Wald. Nicht, weil das nicht stimmt, ist es schade, sondern weil die Geschichte so zum heimattümeligen Langweiler wird, der jeden Humor verliert.
Bis dahin aber macht es Spaß. Die Chargen der HO, die gleichsam die Befehlskette der DDR und ihr Funktionieren repräsentieren – „Eigeninitiative ist der Tod der Planwirtschaft“ –, die Papierkrise in Rumänien und die eingeleiteten Maßnahmen. Das ist alles recht schön, solang Rolf Anschütz für den Weltfrieden und die Anerkennung der DDR kocht. Und das verdankt sich, vor allem, Uwe Steimle. Dieser Schauspieler riecht und schmeckt, sozusagen, nach DDR, er kann sehr geerdet sein und doch zugleich leicht über dem Boden der Realität schwebend, deren Üblichkeiten ignorieren. Es scheint nicht sicher, ob so einer so etwas in der DDR geschafft hätte, aber als Kino ist es schön. Und wir freuen uns, dass es in der Klassikerstadt keinen Gemüse-Pionier gab. Anderen Falles gäbe es nächstens ‚Wirsing in Weimar“.
Henryk Goldberg, Thüringer Allgemeine 17.10.2012
Bilder: Movienet
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