Eine unglaubliche, aber wahre Geschichte aus der DDR
Geschichten, die das Leben geschrieben hat, taugen nicht unbedingt fürs Kino. Künstlerische Überhöhung ist gefragt. Plattes Eins-zu-eins-Erzählen reicht nicht. Autor Jens-Frederik Otto und Regisseur Carsten Fiebeler waren sich darüber offenkundig klar. Drum haben sie die unglaubliche aber wahre Geschichte von der Entstehung eines japanischen Restaurants in den 1960er Jahren in der DDR, in Thüringen, in Suhl, ins Märchengewand gehüllt.
Mit entsprechend verträumten, weichen Bildern geht es los, und mit der dazu passenden Stimme eines Erzählers. Es ist Robert, der Sohn der Hauptfigur, der sich erinnert. Die Erinnerung beginnt mit dem berühmten „Es war einmal… “ Schon dieser Auftakt löckt den Stachel gegen die allgemeine Ansicht, dass die DDR nur grau war. Nein, es gab auch Farbtupfer. Wobei: Das Grau wird nicht verdeckt. Doch es geht um einen legendären „Farbtupfer“, es geht um den „Waffenschmied“. Das war ein Restaurant, in dem japanisches Essen serviert wurde. Wer dort einkehren wollte, brauchte viel Geduld. Die Warteliste war lang. Ein Jahr konnte es dauern, ehe man Platz bekam. Rolf Anschütz stand hinter dem Projekt. Lange musste sich der Koch aus Leidenschaft mit Würzfleisch und Sättigungsbeilage, sprich Weiß- oder Rotkohlsalat, begnügen. Doch er wollte mehr. Was wahr ist. Seinem Leben folgt der Film. Erstaunlicherweise mausert der sich nicht zur Ballade voller mutigem Widerstand gegen das verordnete Spießbürgertum, die Mangelgesellschaft oder gar persönliche Beschränkungen. Rolf Anschütz, mit knorrig-kauzigem Kleine-Leute-Charme von dem vor allem als Kabarettisten bekannten Dresdner Schauspieler Uwe Steimle verkörpert, war nicht gegen SED, Schießbefehl oder geistige Selbstbeschneidung. Er war auch nicht dafür. Rolf Anschütz war ein Träumer. Er war ein Mann, der nicht nach rechts und nicht nach links guckte, sondern in die Kochtöpfe der spärlich eingerichteten Küche in seinem Lokal. Die Idee, japanisch zu kochen, kam ihm zufällig. Er setzte sie zunächst aus reiner Lust am Experimentieren für einige Freunde um. Doch nichtsahnend trat er damit eine Folge von Ereignissen los, die ihn – schließlich im „Namen des Weltfriedens“ – zum kulinarischen Vertreter Nippons im Osten Deutschlands aufsteigen ließ. Dabei bekam er nicht mit, wie er zum Spielball der allgegenwärtigen Staatsmacht wurde. Ja, er merkte nicht einmal, wie er mit dem persönlichen Erfolg als Thüringer im Kimono seine eigene Identität einbüßte und deshalb schließlich seine Familie, Frau und Sohn, verlor.
„Sushi in Suhl“ bietet weder eine überdrehte Klamotte noch eine kitschige Stasi-Schmonzette. Geboten wird eine launige Geschichte vom Aufstieg eines Hans-im-Glück, und, ja, auch, von seinem Fall.
Regisseur Carsten Fiebeler, Jahrgang 1965, stammt aus Zwickau. Das liegt am Eingang zum Westerzgebirge und zum Vogtland, ist also landschaftlich und sicher auch von der Mentalität dem knapp zweihundert Kilometer westlich gelegenen Suhl recht ähnlich. Daraus resultiert sicherlich in hohem Maße Fiebelers Gespür dafür, zwischen den Dialogen und Bildern atmosphärisch dicht das Lebensgefühl in der DDR zu erfassen. Was die große Stärke des Films ist. Der weder satirisch überzogene noch sentimentale und erst recht nicht ostalgische Ausflug in die untergegangene Welt pseudo-sozialistischer Beschränktheit stimmt also von A bis Z. Dazu kommt als Erfolgsgarant die Liebenswürdigkeit, mit der alle Charaktere gezeichnet sind. Uwe Steimle in der Hauptrolle und nahezu allen Akteuren um ihn herum und neben ihm gelingen pointierte Charakterstudien oder doch zumindest -skizzen. Das verleiht der Story vom Höhenflug und Sturz des kleinen Mannes eine große Wirkung.
Und doch: Am Ende verlässt man das Kino mit einem etwas flauen Gefühl im Magen. Denn das Porträt des unpolitischen Mannes, der nicht merkt, wie er mit Sushi, Sake und Reishäppchen sehr wohl politisch instrumentalisiert wird, gibt sich in Erzählton und -haltung selbst zu unpolitisch. Der Film bleibt durchweg auf der Ebene des leicht verklärten Sich-Erinnerns. Rolf Anschütz reagiert immer nur auf das, was ihm mehr oder weniger ungewollte an Schicksal zugeschoben wird, er agiert nie wirklich von sich aus. Das wird am Ende dann sogar fatal, wenn der Film den verständlichen Glauben des Träumers, dass er es doch gut habe in der DDR und die Nase lieber nicht hinaus in die weite Welt steckt, eins zu eins als Lebensweisheit verkauft. Spätestens da hätte es eines filmischen Kommentars bedurft. Denn die Wirklichkeit hat solcherlei Selbstkasteiung nicht erst im November 1989 ad absurdum geführt. Schade. Mut zur kritischen Reflexion hätte – bei allem Respekt vor dem wirklichen Rolf Anschütz – dem Film insgesamt, aber vor allem zum Finale, sehr viel mehr Biss und damit Nachwirkung verliehen. Da die Filmemacher die Haltung der Hauptfigur zu ihrer eigenen gemacht haben, wirkt’s am Ende, als fänden sie die DDR mit all ihrer Not, den Beschränkungen und der regierenden Dummheit, ein nicht mal goldener Käfig für viele Menschen, ganz in Ordnung und bedauerten den Fall der Mauer. Das liegt sicherlich nicht in ihrer Absicht. Doch der Verzicht auf jedwede kommentierende Positionierung lässt diesen irritierenden Eindruck aufkommen.
Peter Claus
Sushi in Suhl, von Carsten Fiebeler (Deutschland 2012)
Bilder: Movienet
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