Queen of Darkness
«Lolita» einmal anders: Mit dem Roman «Das Ende der Unschuld» ist die amerikanische Autorin Megan Abbott endlich auf Deutsch zu entdecken.
In ihren letzten Tagen an der Uni wusste Megan Abbott aus Detroit, dass sie nur eines wirklich wollte: Romane schreiben, die in den Lesern nachbrennen wie Whisky in der Kehle. Schon seit ihrer Kindheit hatte sie sich dem «appeal of noir» hingegeben, wie sie es ausdrückt, der Faszination der Kultur des Dunklen also, genauer dem Film noir und den Romanen, die dazugehörten. Einer coolen, durchgestylten Welt aus Dandy-Gangstern, schönen Femmes fatales, Spielhöllen und dem ganzen Dreck des Tötens. Einer Welt auch, die auf ewig im Amerika um 1950 festgeschrieben ist. Und die ganz sicher keine typische Mädchenwelt ist. Aber Megan Abbott war davon besessen.
Ihre Abschlussarbeit an der Uni hiess deshalb «The Street Is Mine» und war eine literaturwissenschaftliche Analyse jener Helden, die sich in einer quasi erotischen Aufwallung auf die dunkle Seite der Gesellschaft begeben und Zerstörung und Selbstzerstörung gleichermaßen genießen.
Wie einst Rita Hayworth
Megan Abbott kam für sich selbst zum Schluss, dass sie ihren heiß geliebten Forschungsgegenstand zu ihrem Lebensinhalt und Beruf machen müsse. Sie inszenierte sich fortan als Baby-Femme-fatale, mit dem gleichen roten Haar, das Rita Hayworth zu Zeiten von «Gilda» getragen hatte, in schwarzen Kostümen und mit roten Lippen. Und sie schrieb Krimis, die in den 50ern spielten, hartgesotten, trocken, perfekt recherchiert, mit schroffen Heldinnen, die erst durch die Hölle des Gefühlslebens gehen müssen, bis sie schließlich nichts mehr spüren als die stahlharte Gier nach dem nächsten Diamanten. Feminismus noir, gewissermaßen. Megan Abbott hat sich damit ein ganz eigenes und äußerst süffiges Genre geschaffen, und wer die Ästhetik des Film noir mag, der wird begeistert sein über Abbotts rotzige, trashige – und nicht ganz so ernst gemeinte – Ergänzung zur dunkel glitzernden Glamour-Kultur von einst.
Es schadet nichts, all dies zu wissen. Denn was nun von Megan Abbott zum ersten Mal auf Deutsch vorliegt, ist ganz anders. Oder eine logische Weiterentwicklung. «The End of Everything», das Ende von allem, heisst der 2011 erschienene Roman im Original. Was für ein schöner, schicksalshafter, großer Titel. «Das Ende der Unschuld» heißt er auf Deutsch, das ist, wenn auch wahnsinnig präzis, mal wieder einer dieser zaghaften Übersetzungsversuche, den die amerikanische Literatur nicht verdient hat.
Blonder Darling, rasende Furie
Natürlich geht es um junge Mädchen, die sich danach sehnen, ihre jungfräuliche Unschuld zu verlieren, deren Denken und Tun jedoch derart schuldbeladen ist, dass es eine Zeit wirklicher Unschuld gar nie gegeben haben kann. Denn die Welt, in die uns Megan Abbott hier versetzt, die ist, wie ihre Fifties-Krimis, von einem klaren Trieb durchdrungen. Aber hier ist es nicht der Trieb nach Geld und Glanz, sondern der Trieb nach dem Trieb selbst. Megan Abbott, die Interviewfragen gerne mit Freud-Zitaten beantwortet, hat sich ganz und gar an Freuds These gehalten, dass das unschuldige Kind ein Mythos sei. «Das Ende der Unschuld» ist gewissermaßen eine Neuschreibung von Nabokovs «Lolita» – bezeichnenderweise stammt der Roman aus dem Jahr 1955, also aus Abbotts Lieblingszeit. Erzählt wird jetzt allerdings aus Sicht eines Mädchens, und die Geschichte spielt auch nicht in der fernen, sondern in der relativ nahen Vergangenheit der 80er-Jahre.
Angesiedelt ist die Geschichte um das Verschwinden der 13-jährigen Evie Verver in Grosse Pointe, einem verschlafenen, gepflegten Vorort von Detroit. Von da kommt Megan Abbott, von da kommt auch Jeffrey Eugenides, in Große Pointe bringen sich seine rätselhaften «Selbstmordschwestern» («The Virgin Suicides») um, in Große Pointe erlebt sein Zwitterwesen aus «Middlesex» seine Pubertät.
Als literarischer Ort ist Grosse Pointe also durchwoben vom Geist schwieriger Mädchen, und Megan Abbott spinnt dies gekonnt weiter. Da ist Lizzie, die Erzählerin, ebenfalls 13 und mit der ganzen Passion einer Pubertierenden verliebt in den Vater ihrer besten Freundin Evie. Da ist Evies große Schwester Dusty, blond, wunderschön, sportlich, der Traum jeder Highschool, doch im Kampf um die Liebe ihres Vaters wird sie zur rasenden, gewalttätigen Furie und ähnelt damit Megan-Abbott-Gestalten wie der schillernden Unterweltchefin Gloria aus dem Krimi noir «Queenpin». Und dann ist da eben das Leid um Evie, denn die ist entführt worden, vom bisher unbescholtenen Mr. Shaw, der sich fast über Nacht in Nabokovs lüsternen Humbert Humbert verwandelt hat. Aber wieso?
Immer tiefer verstrickt sich Lizzie selbst in den Fall, und während ein schwerer, schwüler Sommer über Grosse Pointe liegt, ergeht sie sich in wilden Fantasien über Sexualität, Romantik und Gewalt. Nicht ahnend, dass die Wahrheit weit schwärzer sein wird. Für sie, für Evie, für mehrere Familien, für Grosse Pointe, das wieder einmal eine – fiktive – Katastrophe junger Mädchenblüten nur knapp überlebt.
«Das Ende der Unschuld» ist ein Psychodrama mit mehreren äußerst fragilen Oberflächen, ein in der Sommerhitze flimmerndes Bild aus jugendlich übersteigerten Vorstellungen und Einbildungen, ein schmerzhaftes Buch über Jugend und sexuelles Erwachen. Sehr viel feiner gebaut und gedacht als Megan Abbotts unterhaltsame Gangsternovellen, aber im Abgang genauso hart.
«Das Ende der Unschuld» ist ein schmerzhaft flimmerndes Buch über Jugend und sexuelles Erwachen.
Simone Meier (Tages-Anzeiger, 27.03.2012)
Megan Abbott: Das Ende der Unschuld.
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Isabel Bogdan.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012. 287 S.
Die Noir-Krimis von Megan Abbott sind bei Simon & Schuster erschienen (nur Englisch).
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