„Iraner lieben die USA“
Die Iraner neigen dazu, das Gegenteil ihrer Regierung zu tun, sagt der Schriftsteller Amir Cheheltan. Er erklärt, warum Sanktionen nur den Menschen schaden und wie er Auto fährt.
Amir Cheheltan: Irgendwie schon. Teheran ist nicht nur die Hauptstadt des Iran, eigentlich ist Teheran alles für die Iraner. Dabei ist die Stadt jung, sie repräsentiert nicht das traditionsreiche Persien wie Isfahan oder Tabris. In den letzten fünfzig Jahren ist die Stadt extrem schnell gewachsen, was bedeutet, dass so gut wie keine Teheraner in Teheran leben. Teheran, mit seinen 15 Millionen heute, ist eine Stadt der Zugereisten. Die meisten sind Fremde hier, sie fühlen sich weder für die Kapitale noch für die Menschen in ihr verantwortlich. In dem Sinne ist Teheran vielleicht ein Psychogramm für Iran. Gleichzeitig sind alle Möglichkeiten dieses Landes in dieser Stadt konzentriert: das politische Leben, das ökonomische, das kulturelle – alles findet in Teheran statt.
Und doch ist die Stadt für Sie eine Wunde.
Ja, eine Wunde, die nicht zu heilen ist. Auch wenn sie sich ab und zu mal erholt, am Ende breitet sie sich weiter aus. Teheran leidet, und die Fäulnis nimmt zu.
Was hält Sie dort?
Die Energie. Alle Probleme sind eingebettet in eine ungeheure Energie. Es ist die Energie der Jugend, die hier lebt. Zwei Drittel der Iraner sind unter dreißig Jahre alt. Manchmal ist diese Dynamik auch beängstigend. Sie hat keinen Platz, um frei zu sein. Sie staut sich und kann leicht explodieren. Mich aber inspiriert sie. Viele europäische Kollegen beneiden mich um diese anregenden Umstände, dann sage ich immer: Ich gebe sie euch, und ihr gebt mir für eine Sekunde den Frieden in euren Köpfen, den euch eure Länder erlauben.
Ende der 90er waren Sie für zwei Jahre im Exil, in Italien.
Ja, das war eine schlimme Zeit. Zwei Kollegen von mir wurden in Teheran gekidnappt und ihre Leichen auf die Straße geschmissen. Ich selbst stand auch ein paar Mal auf einer Liste von unerwünschten Schriftstellern.
Experten halten es für wahrscheinlich, dass Israel gegen Iran noch dieses Jahr vorgehen wird. Ist die sich zuspitzende Kriegsgefahr in Teheran Stadtgespräch?
Nein. Obwohl ich auch denke, dass die Gefahr sehr ernst zu nehmen ist. Aber dass wir vom „Westen“ bedroht werden, ist eine Rhetorik, die wir im Iran seit 33 Jahren kennen. Das regt hier niemanden mehr auf.
Iraner machen sich derzeit also nicht mehr Sorgen als sonst auch?
Nicht wirklich. Wir sind so mit unseren internen Problemen beschäftigt. In den letzten drei, vier Monaten sind die Inflation und die Erwerbslosigkeit rapide emporgeschnellt. Die Preise haben sich aufgrund der Sanktionen verdoppelt. Die Leute haben ihre Situation ohnehin schon so satt. Sie können jetzt nicht auch noch über einen kommenden Krieg nachdenken.
Wie sieht es bei Intellektuellen und KünstlerInnen aus?
Die kommende Konfrontation steht auch nicht auf der Agenda der Intellektuellen. Niemand kann 24 Stunden pro Tag in Angst leben. Aber die, die die Nachrichten lesen – und ich gehöre dazu –, wissen, dass es noch nie so ernst war wie dieses Mal. Auch ich versuche zu vergessen, dass wir unmittelbar vor einem Krieg stehen. Aber ich wache oft mitten in der Nacht auf, so als ob ich zu viel Kaffee getrunken hätte.
Sehen Sie einen Ausweg?
Wenn Israel Iran angreift, wird der Nahe Osten danach nicht mehr derselbe sein. Historisch gesehen, waren die Iraner nie gegen die Juden. Radio Israel beispielsweise war bis vor zehn Jahren der beliebteste Sender in Iran. Jetzt gibt es mit den Satelliten und Internet mehr Auswahl, deswegen hat er an Popularität verloren. Aber wenn Netanjahu jetzt angreift, dann vergibt sich Israel eine große Chance auf Verständigung, die letzte.
Seit einigen Monaten gibt es eine große Facebook-Kampagne, die anfangs von jungen Israelis ausging: „Iranians, we love you“, und die Antwort kam prompt: „Iran loves Israel“. Welche Chance räumen Sie dieser digitalen Diplomatie ein?
Keine große. Obwohl so viele mitgemacht haben …
… Wir liked it auch …
Hoffen wir, dass es wirkt.
Eröffnen die Friktionen innerhalb der iranischen Elite die Möglichkeit, den Konfrontationskurs von Ahmadinedschad zu kritisieren?
Etwas Luft gibt es dadurch, ja. Aber vergessen Sie nicht, Iran war nie ein so totalitärer Staat wie Nordkorea oder Irak. Die Opposition war immer hörbar, auch das hält das Land lebendig.
In Ihrem 2011 auf Deutsch erschienenen Roman „Amerikaner töten in Teheran“ zitieren Sie den von der CIA weggeputschten Premierminister Mohammed Mossadegh: „Regieren um jeden Preis“ sei ihm nicht möglich. Beschreibt das Ihre Moral?
Es ist auch die Sicht von Mossadegh selbst. Er fürchtete sich vor einem Blutbad und hat daher seine Niederlage hingenommen, ohne noch einmal zu den Waffen zu rufen. Aber in Iran akzeptiert man bis heute nicht, dass ein absolutes Festhalten an der Macht moralisch unhaltbar ist.
Die Protagonisten in Ihren Romanen, egal ob sie Opfer der Machthaber sind, Mitläufer oder Profiteure, alle sind beschädigt und kompromittiert.
Wegen der vielen Katastrophen in den letzten hundert Jahren sind die Leute nicht so normal, wie sie sein könnten oder sollten. Die Spannung, die Anspannung kocht unter der Oberfläche dieser Stadt.
Ist der Verkehr deswegen so irre aggressiv?
Ja, er gibt einen Hinweis auf die Anspannung, ist ein Zeichen dafür, dass etwas falsch ist.
Und wie fahren Sie?
Wenn ich aus dem Ausland komme, versuche ich die ersten drei Tage ein guter Autofahrer zu sein. Dann habe ich keine Wahl mehr. Dann fahre ich wie alle anderen auch.
Ist dieses radikale Autofahren vielleicht eine Forderung nach Freiheit? Einmal schnell vorankommen. Wo ansonsten jede Bewegung im öffentlichen Raum restringiert wird?
Einverstanden. Wenn man endlich einen gewissen Raum kontrollieren kann, dann neigt man zur Übertreibung.
Iran ist eine extrem junge Gesellschaft. Ihre Romane aber gehen immer zurück in die Geschichte des 20. Jahrhunderts, wie die CIA den Schah 1953 an die Macht geputscht haben, wie die iranische Republik entstand, wie es ab da weiterging. Wollen Sie den jungen Leuten ihre Geschichte erzählen, damit sie nicht verloren geht?
Zunächst einmal will ich verstehen, was eigentlich passiert ist. Ich hab keine Antworten oder Lösungen, aber ich versuche ein größeres Bild zu entwerfen – um den Fehler darin zu erkennen. Warum sind wir, wie wir sind? Warum diese ganzen irrationalen Entscheidungen? Warum neigen wir dazu, uns am Ende unseren Gefühlen zu überantworten? Ich verstehe das nicht, also grabe ich in der Geschichte. Zudem tendieren alle unsere Regierungen dazu, eine bestimmte Geschichte des Iran zu erzählen. Ich suche nach Ergänzungen, Alternativen. Und wenn die Jugend damit etwas anfangen kann, freut mich das.
Der Romantitel „Amerikaner töten in Teheran“ scheint eindeutig. Was interessiert Sie an der antiwestlichen Haltung im Iran?
Der Titel meint beides: Amerikaner töten in Teheran, und lasst uns Amerikaner töten in Teheran. Es geht um dieses Wechselspiel. Iraner lieben den Westen, die USA – gleichzeitig hat der Putsch der Amerikaner 1953 in Teheran die iranische Seele verletzt, besser gesagt: infiziert. Sie ist krank seitdem. Trotzdem sprechen viele Teheraner liebend gern Englisch mit amerikanischem Akzent …
… und sehen aus wie hippe Amerikaner, zumal die jungen Männer. Die meisten Schilder sind zweisprachig, jedes einzelne Absperrband in Teheran warnt in Farsi und Englisch vor Gefahren …
Trotzdem wird der Westen gern für viele politische Probleme verantwortlich gemacht. Gleichzeitig neigen die Iraner dazu, das Gegenteil von ihrer Regierung zu tun. Gab sich der Schah amerikanisch, suchte man die Abgrenzung in der persischen Kultur. Verbrennt die Regierung amerikanische Flaggen, suchen die Leute nach Dingen in der amerikanischen Kultur, die sie mögen.
Nachdem die Demokratiebewegung 2009 niedergeschlagen wurde, hieß es: „Das Feuer ist aus, aber unter der Asche glüht es.“ Wie sieht es heute aus?
Es stimmt bis heute. Frustrationen kann man überwinden, aber nicht den Wunsch nach Freiheit.
Wie könnten andere Länder diesen Freiheitswunsch unterstützen – jenseits von Sanktionen?
Ja, die schaden nur den Menschen, nicht der Regierung. Die europäische Herangehensweise scheint mir komplett falsch zu sein. Während des Iran/Irak-Krieges haben sie Waffen an beide Seiten verkauft, heute verkauft Europa Waffen an Israel, darauf hat Günter Grass zu Recht hingewiesen. Diese Haltung schafft viel Enttäuschung. Die vielleicht größte Bitte der Iraner ist: Haltet euch fern von der Region. Denn das erste Opfer bei einer Konfliktlösung durch den Westen sind die Menschenrechte. Je näher ihr kommt, desto gefährlicher wird es für uns.
Diesen Sommer wird der letzte Band Ihrer Teheran-Trilogie auf Deutsch erscheinen: „Teheran, Stadt ohne Himmel“. Können Sie uns den Titel erklären?
Natürlich nicht. Aber vielleicht so viel: Manchmal denke ich, die Kräfte, die unser Schicksal leiten und formen, haben diese Stadt einfach übersehen: kein Himmel für Teheran.
Interview: Ingo Arend & Ines Kappert (taz 23.05.2012)
Bild: Amir Hassan Cheheltan (* 1956), writer from Iran I 23. Oktober 2009 CC BY-SA 3.0 TH. Korr
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